Thema: gesund leben

Claudia am 25. Januar 2002 — Kommentare deaktiviert für Gemütliche Gewölbe – ein Saunabesuch

Gemütliche Gewölbe – ein Saunabesuch

Zwei Geländer säumen die Treppe hinunter in den Keller, eins für Erwachsene und ein weit niedriger angebrachtes für Kinder. Die „Gewölbesauna“ am Prenzlauer Berg empfängt mich überaus familiär, kein Drehkreuz, keine Automaten, kein Kartenverkauf, ich muss mir den Weg zum Check-In durch die niedrigen Nut-und-Federholz-vertäfelten Räume selber suchen. Ein Mittsechziger im Bademantel sagt freundlich „Guten Tag“, ich bin hier im Osten Berlins, da geht man nicht so wortlos aneinander vorbei wie in den West-Saunas. In Glaskästen sind Massage-Utensilien ausgestellt, an den Wänden hängen Bescheinigungen, dass der Betreiber sich 1993 und ’94 mehrfach weitergebildet hat – na super, aber wo geht’s hier zur Sauna?

Aha, zwei Türen weiter ist das Bistro. „Heute Hackepeter“ steht an der Tafel, es riecht nach Kantine. Das fröhliche Mädel hinterm Tresen informiert mich, dass ich erst beim Gehen zahlen muss. Einen Schrank könne ich mir in der Umkleide (nur „gemischt“) selber aussuchen, den Schlüssel behalten oder bei ihr abgeben – ganz wie’s beliebt. Wer mal in den üblichen hochtechnisierten Saunas drei verschiedene Armbänder mit Schlüsseln und „Chips“ am sonst nackten Leib tragen musste, weiß das zu schätzen. Erstens ist das Schlüsselwesen nervig, und zweitens heizen sich die Metallteile in der Sauna so auf, dass man sich Verbrennungen holen kann, wenn man nicht aufpasst.

Handtuchumhüllt und mit den vorgeschriebenen Badeschlappen an den Füßen erkunde ich die Räume: Finnische Sauna, Kräutersauna, Dampfbad, ein paar Duschen und sogar ein kleines Tauchbecken. Die optische Gestaltung der ganzen Anlage ist gewöhnungsbedürftig – an den Decken verlaufen dicke Heizungsrohre, gelegentlich umschlungen von verstaubtem Plastik-Efeu. Die Holzverkleidung wirkt wie von einem Hobby-Heimwerker ohne jeden Sinn für Feinheiten, Türfüllungen fehlen gelegentlich ganz, ein bisschen Baustellentouch herrscht vor.

Ich beginne mit dem Dampfbad, das zwar einen rauschenden Springbrunnen bietet, aber deutlich nach Moder riecht. (In Dampfbädern muss ich immer an Kohl und Jelzin denken, die ihre Treffen ganz entspannt im Dampf abgerundet haben sollen – tolle Idee!). Nach einer Abkühlungspause wechsle ich kurz vor dem stündlichen Aufguss in die 100 Grad heiße Finnische, nehme die obere Bank, denn da ist noch viel Platz. Die Anwesenden, sechs Männer und zwei Frauen, plaudern über die Klimakatastrophe: „Wenn der Golfstrom umkippt, werden wir erfrieren oder ersaufen und die da unten verdursten. So rottet sich die Menschheit selber aus!“ Die Laune ist trotzdem ungetrübt. Ich mag an den Ost-Saunas, dass es da so viel lockerer zugeht, jedenfalls ist es kein Verstoß gegen ungeschriebene Regeln, fremde Menschen anzusprechen. Wer im Ruheraum Ruhe sucht, kann dafür dann schon mal Pech haben.

Das Mädel vom Tresen erscheint und beginnt mit dem Aufguss, dem rituellen Kern eines jeden ordentlichen Saunagangs: ein mehr oder weniger theatralisch zelebrierter Auftritt des Personals, manchmal untermalt durch „lose Reden“ aus dem Publikum („Nimm doch gleich die Peitsche!“). Oh, ich hätte nicht die obere Bank wählen sollen! Dreimal gießt sie Wasser auf die heißen Steine und wedelt heftig mit dem Handtuch, hier oben ist es der reine Gluthauch, mir bleibt fast der Atem weg, auf der Haut kondensiert der heiße Dampf – und das bei 100 Grad! Kaum ist sie fertig, muss ich SOFORT nach draußen stürzen, womit ich mich für die anderen als hoffnungslose Anfängerin oute. Man geht nämlich frühestens zwei Minuten nach dem Aufguss raus, nicht vorher. Überleben ist mir allerdings wichtiger als der gute Ruf, eine kalte Dusche und das Tauchbecken retten mich vor dem zerkocht werden – paradiesisch! Zwar wackelt das Geländer und beim Blick auf die Becken-Innenbeleuchtung frag‘ ich mich, wie oft das Wasser hier wohl ausgetauscht wird – aber was soll’s, ich werde halt noch mal duschen.

Von heftigen Hitze- und Kältereizen ermüdet, zieht es mich jetzt in die Horizontale. Dazu muss ich den Nassbereich mit den Saunas verlassen und durch den Küchengeruch zurück in die Umkleide, von der die beiden Ruheräume abzweigen. Der eine ist nach draußen offen, gerade gut für einen kurzen Moment im Freien – nackt herumlaufen mitten im Winter, das hat schon was! Im anderen Zimmer stehen sage und schreibe sechs Liegen, komplizierte quietschende Gestelle, Typ Campingstuhl 60er-Jahre, denen ich auch nach längerem Forschen nicht ansehe, wie man sie von der Sitz- in die Liegestellung kippen könnte. Das Licht ist zu hell zum Schlafen und zu dunkel zum Lesen, dafür liegen überall Wolldecken herum, alle verschiedenfarbig mit den unterschiedlichsten Mustern. Der Anblick erinnert ein bisschen an unaufgeräumte Auffanglager für Katastrophenopfer. Immerhin, hier kann ich mich auch ohne Bademantel gut einpacken, es ist nicht gerade sehr warm. Netter Service, denk‘ ich mir, so was hab‘ ich noch in keiner Sauna gesehen – bis ich mich plötzlich frage, wie viele Saunabesucher sich wohl schon vor mir in dieselbe Decke gehüllt haben mögen?

Tja, es ist wirklich nett hier, auch nachher noch, am Tresen, wo ich einen „sauren Teller“ zu mir nehme, Essiggurke, Sol-Ei, Dosenchampignons und eingelegter Blumenkohl. Komme mir vor wie auf einer Zeitreise ins altberliner „Milljöh“. (Mein Wunschgetränk „Cola Light“ haben sie natürlich nicht, typisch ost! Das hat’s früher nicht gegeben und also wird es heute auch nicht angeschafft, sowas mögen eh‘ nur Wessis….)

Für neun Euro bietet das „Gewölbe“ ein Sauna-Erlebnis mit Wohnzimmer-Touch: gewachsenes Kiez-Leben, alteingesessene Schwitzbadkultur statt kommerziell-anonymes Wellness-Ambiente. Die selbstgebastelte und leicht verschmuddelte Anmutung der Räume gehört halt dazu, genau wie die gewöhnungsbedürftigen Gerüche, die offensichtlich sonst niemanden stören. Der Laden scheint zu brummen, trotz oder gerade wegen alledem?

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Claudia am 18. Januar 2002 — Kommentare deaktiviert für Traum, Tunnel, Tietze-Syndrom

Traum, Tunnel, Tietze-Syndrom

Es ist halb vier. Die Ziffern der Uhr leuchten hämisch herüber, ich kann nicht schlafen. Fließe hin und her zwischen Wachen und Dösen, nicht auf der linken noch auf der rechten Seite halte ich es lange aus, auf dem Rücken schon gar nicht. Nein, ich rege mich nicht auf, wirklich nicht, das nützt nichts sondern macht es nur schlimmer. Das Jucken an der Rippe unter der linken Brust, das mich seit Jahren begleitet, nervig, aber nicht wirklich beängstigend, hält mich wach. „Tietze-Syndrom – möglicherweise“, sagte mal ein Arzt vor ein paar Jahren, „leider nicht erforscht, ich kann Ihnen nur eine Cortison-Depotspritze anbieten. Das ist gar nicht so schlimm, wie man meint“. Hab‘ ich abgelehnt, damals, wie kann er mir nur sowas anbieten, wenn er gar nicht weiß, was ich habe? Keine Arztbesuche mehr seither, ein paar Recherchen im Netz auf eigene Faust, ohne Ergebnis. Weiter → (Traum, Tunnel, Tietze-Syndrom)

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Claudia am 23. Dezember 2001 — 1 Kommentar

Vom Elend des Sitzens

Morgen werd‘ ich mich ins weihnachtliche Endgetümmel werfen und mir ein Klemmbrett und einen Astronautenkuli zulegen, der auch dann noch schreibt, wenn die Spitze gen Himmel zeigt – so als Weihnachtsgeschenk für mich selbst, das mich hoffentlich zeitweise vom SITZEN befreit!

Mit der Hand schreiben? Vor kurzem noch hätte ich nicht im Traum an sowas Archaisches auch nur zu denken gewagt! Während einer Besprechung Notizen zu machen stellt mich regelmäßig vor das Problem, diese hinterher wieder entziffern zu müssen. Fähigkeiten, die man nicht regelmäßig übt, gehen eben über kurz oder lang verloren und die Handschrift steht seit Einführung der Textverarbeitung unverkennbar auf der Abschussliste.

Aber in der Not frisst der Teufel Fliegen! Ich kann einfach nicht mehr sitzen. Seit Wochen schon merke ich, dass es mich wegzieht vom Monitor – nicht, um „da draußen“ im realen Leben auf Abenteuer auszugehen, sondern weil mir alles weh tut und ich mich nach wenigen Stunden schon wie „gestaucht“ fühle. Trotz Super-Bürostuhl, trotz Yoga, Fitness-Center, Sauna und gelegentlichen Spaziergängen gelingt es nicht mehr, die vielen Stunden vor dem Gerät so auszugleichen, dass ich mich in meiner Körperlichkeit vergessen kann. Schultern, Rücken, Lendenwirbel und Beine meinen schon nach etwa einer Stunde, nun sei es genug.

Was soll ich also tun? Mir einen anderen Job suchen? Ganz unmöglich, alles, was ich gut kann, braucht das Computer-Cockpit als Werkzeug und Kanal zur Welt. In einer Zeit, in der auch die letzten „Problemgruppen“ vom Arbeitsamt in PC-Kurse gezwungen werden, ist das keine Möglichkeit mehr, die man ernsthaft erwägen könnte. Und: es ist ja nicht nur die Brotarbeit, die mich „am Netz“ hält, sondern auch freie Aktivitäten wie dieses Diary, das Schreiben und Gestalten, praktisch aller Selbstausdruck und die Kommunikation mit Menschen an anderen Orten der Welt zwingt mich vors Gerät. Dazwischen das unverzichtbare Forschen, Suchen, Sich-Informieren, Neues lernen – gar nicht mehr vorstellbar ohne Google, ohne Mailinglisten und Web-Communities!

Aber es knirscht im Gebälk der materiellen Seite meines Daseins. Der Körper beschwert sich zu Recht, dass ich ihn einfach „absetze“ und dann „fort“ bin – dort, wohin Leben & Welt mehr und mehr auswandern, wo das Produzieren und Projizieren, das Kommunizieren und alles Steuern der Welt zunehmend stattfindet: im Cyberspace, der nur über ein Interface zu betreten ist, eine Grenzanlage, die das Materielle nicht durchlässt: Sorry, wir Körper müssen draußen bleiben….

Wir sind nicht angepasst an das Leben, das wir führen„, sagt der nette Trainer im Fitnesscenter und schaut zufrieden auf die Kunden, die sich an den Geräten nolens volens in Bewegung versetzen. Neulich wollte ich da mal einfach nur in die Sauna gehen, doch als ich durch den Gerätepark lief, spürte ich die Sehnsucht des Körpers wie eine leise aber dringliche Stimme aus dem Hintergrund: Komm, lass uns ein bisschen turnen… Ein seltsames Erlebnis der Gespaltenheit: WER ist denn hier verdammt nochmal ICH???!

Zersetzung

Vor wenigen Jahrhunderten war das Leben noch Bewegung. Von früh bis spät auf den Beinen, verrichteten die Menschen elend schwere Landarbeit und bewegten sich zu Fuß von Ort zu Ort. Die Industrialisierung hat dieses organisch-naturgesteuerte notwendige und selbstverständliche Bewegt-Sein zerschlagen zugunsten abgezirkelter Bewegungen im Rahmen der mechanischen Maschine. Das Fließband erzeugte ganz neue ungekannte Leiden an Körper und Geist. Der Körper war versklavt an den Takt der Maschine, aber doch immer noch gebraucht, gefragt, am Ball des Geschehens, der Geist litt unter der Monotonie. Heute sind wir – gottlob! – auch von diesem Elend befreit. Roboter und Programme machen die Arbeit in den Fabriken und es braucht nur noch ein paar Aufseher und Knöpfchendrücker, das Ganze am Laufen zu halten, sowie unzählige Brummi-Fahrer, die – sitzend! – die Produkte durchs Land kutschieren.

Wir haben uns vom Leid der körperlichen Anstrengung befreit, uns gemütlich hingesetzt und sind sitzen geblieben. Wir treffen uns zu Sitzungen, erlassen Gesetze und Satzungen, setzen uns auseinander, kämpfen um Besitz und Vorsitz und darum, uns durchzusetzen. Wer nicht funktioniert, wird versetzt oder abgesetzt. Allem können wir uns mehr oder weniger erfolgreich widersetzen, bloß nicht dem Sitzen selbst.

Der Mensch besteht zu über 80 Prozent aus Wasser. Stehende Wasser neigen dazu, in Fäulnis überzugehen. Zersetzung droht – was tun? Ich hab‘ von einem Stuhl gelesen, der durch minimalste Schwingungen das Zellwasser in Bewegung halten soll, aber so richtig durchgesetzt scheint sich das nicht zu haben. „Kleinste Schwingungen“ würden auch nicht mehr ausreichen, um meine Missempfindungen auf dem Stuhl aufzuheben. Seit Jahren guck‘ ich mir hoffnungsvoll an, was die Möbelindustrie so an Alternativen anbietet: den Kniestuhl, den Sitzball, vielfach einstellbare und bewegliche Bürostühle. Seltsamerweise kenne ich niemanden, der wirklich auf Dauer den üblichen Stuhl gegen den Ball tauscht oder sich kniend vor dem Monitor aufhält. (Letzteres würde uns wohl auch allzu deutlich zu Bewusstsein bringen, wie unser Verhältnis zur technischen Welt beschaffen ist).

Nein, ich will nicht mehr sitzen, will stehen, zur Not liegen – aber für diese Haltungen existieren keine erschwinglichen Möbel, die es gestatten würden, Monitor, Tastatur und Maus im Zugriff zu behalten. Noch dazu will ich zwischen diesen Haltungen abwechseln, damit das Leiden am Sitzen nicht nur durch ein anderes abgelöst wird (Krampfadern im Stehen, Wundliegen im Liegen…). Warum erkennt „der Markt“ eigentlich dieses Problem nicht? Weil die Entwerfer und Macher eben auch sitzen, vermutlich unter 40 sind und gar nicht daran denken, dass da was nicht in Ordnung sein könnte.

Also mit der Hand schreiben, im Liegen, im Stehen an einem Pult – nachher abtippen braucht jedenfalls viel weniger Sitzzeit, als wenn ich vor dem Gerät einen Artikel produziere, die meiste Zeit nicht schreibend, sondern in mich hineinlauschend, was für ein Text entstehen will.

Ob das geht? Vielleicht gelingt ja so eine kleine persönliche Revolte gegen den Sitzzwang, doch die Tatsache bleibt, dass der Körper für Wirtschaft und Gesellschaft in vieler Hinsicht überflüssig geworden ist. (Wer „drin“ ist, dessen Körper ist „draussen“) Was geschieht mit Überflüssigem? Wenn es nicht verschwindet, was uns als körper-basierten Wesen nicht möglich ist, bekommt es neue Funktionen: der Körper als Ware und Statussymbol, durchtrainiert, gebräunt und gepflegt, gepierced und tätowiert dient er perfekt gestylt dem Selbstausdruck. Schließlich werden ja perspektivisch auch immer weniger Menschen gebraucht, um die technische Welt zu steuern und zu entwickeln – der Rest muß ja doch eine Beschäftigung haben!

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Claudia am 12. Oktober 2001 — Kommentare deaktiviert für Drogen: Nichts genügt!

Drogen: Nichts genügt!

Seit dem letzten Rauch-Stop vor gut zwei Wochen erlebte ich zwei „Rückwendungen“ – ich sage Wendungen statt (Rück-)Fälle, weil ich nicht zufällig, beiläufig oder unüberlegt der Versuchung verfallen bin, sondern recht bewußt für den Abend einen Gift-Input ansetzte: Rotwein UND Zigaretten… Am nächsten Tag dann wieder das „gesunde Leben“… Der Körper braucht etwas länger, das Nikotin auszuscheiden als den Alkohol, es scheint tatsächlich das stärkere und tiefer gehende Gift zu sein (so fühlt es sich auch an, wenn man genau hinspürt).

Gut ist, dass sich das Gefühl von „Normalzustand“ jetzt ohne Zigaretten einstellt. Es verlangt mich nur noch für kurze Momente (nach dem Essen…) nach der Kippe, doch vergesse ich das auch sehr schnell wieder, weil ich an dem Gedanken nicht festhalte. Und es ist schon ein kleines Wunder, zu bemerken: Dass man sich nämlich zwei Minuten später ohne jedes Verlangen vorfindet – und ganz OHNE geraucht oder irgend einen Ersatz angewendet zu haben! Das verändert sich auch nicht nach einem Abend mit zwanzig Zigaretten und mehr, das „Herausgleiten“ geschieht wie selbstverständlich.

Warum aber diese Input-Abende? Oberflächlich gesehen sind es ganz alltägliche Anlässe: zum Beispiel einen ganzen Tag im Auto, eine Reise zu einem Auftraggeber – abends dann der Wunsch, auf einfache und anstrengungslose Weise abzuspannen und geistig abzudriften. Also Chianti kaufen und mit dem Lebensgefährten über Gott und die Welt plaudern, angeregt durch den Wein, der geschwätzig macht und mentale Inhalte auf einmal so interessant erscheinen läßt, daß man wochenlang über sie philosophieren wollte… na, und ganz pragmatisch gesehen ist DAS eine Situation, die ich OHNE Zigaretten einfach nicht als vollständig erleben kann – noch nicht, wer weiß, vielleicht nie.

Das ist also die Oberfläche. Darunter liegt der Wunsch, in gewissen Abständen aus dem „vernünftigen Leben“ auszutreten, für ein paar Stunden in ein Dasein ohne Zukunft und Vergangenheit zu gelangen, zu leben wie ein Kind: den Augenblick feiernd, völlig ver-rückt und ohne Angst vor Folgen, ja, überhaupt OHNE viel Gedanken. Meine gelegentlichen Abende mit stofflichen Giften sind insofern reine Regressionen in einen kindhaften, prämentalen Zustand, der von der durchgehenden leichten Anspannung des „vernünftigen Lebens“ ein wenig entlastet, ohne etwas an der Grundsituation zu ändern. Und weil ich heute im Alltag lange nicht mehr so „entfremdet“ lebe wie etwa in meinen politisch aktiven Zeiten, ist das Bedürfnis nach „Ausstieg“ sehr viel geringer geworden und damit auch das Gefühl der Abhängigkeit von bewußtseinsverändernden Stoffen.

Rennen und beten

Im Forum schrieb ein Leser an einen anderen, der es geschafft hat, sowohl Alkohol als auch Zigaretten aufzugeben: „Und welche Droge nimmst du jetzt? Rennst du oder betest du??“ Ich empfinde diese Formulierung als spöttisch-zynisch, genau wie der Gefragte. Wer mal selber ernsthaft versucht hat, von diesem oder jenem Stoff zu lassen, empfindet es als wenig hilfreich, wenn jemand signalisiert: Ist doch eh alles egal, ob du dich nun zudröhnst oder Sport treibst, ob du meditierst oder malst, dein Auto pflegst oder Schach spielst…. Aus meiner Erfahrung reden so Menschen, die es für sich aufgegeben haben, aus einer bestimmten süchtigen Verstrickung herausfinden zu wollen. Und weil das letztlich nicht wirklich zufrieden stimmt, bleibt dann diese gewisse Agressivität, die sich gegen andere wendet, die es versuchen oder gar schaffen.

Insbesondere der antispirituelle Impuls ist hier erwähnenswert, denn ohne eine spirituelle Entwicklung findet niemand aus dem Kreis der Süchte (stofflicher und nicht stofflicher) heraus, davon bin ich restlos überzeugt. Das muss nicht bedeuten, im Sinne tradierter Religionen gläubig zu werden oder einer spinnerten Sekte beizutreten, sondern es geht darum, den Zugang zu einer „ganz anderen“ Seinsweise zu finden: Eine Form des Daseins, die nicht spaltet zwischen „vernünftigem Leben“ einerseits, Ekstase, Abenteuer und Exzess andrerseits, hier die Welt der Formulare, Rentenansprüche und Rationalisierungen, dort das Märchenreich der heftigen Gefühle, der Träume und Drogen, der völligen Hingabe ans Dasein.

Mit nichts als dem Weltbild unserer Gazettenweisheit (vom Urknall bis zum Antrag auf Vorsteuerabzugsberechtigung) ist eine wache und bewußte Hingabe ans Dasein jenseits eskapistischer Ausnahmezustände (=Hingabe „als ob“) nicht möglich. In diesem Weltbild bloßer Oberflächen und Zahlen kommt der Mensch, wie er (und sie) sich selbst erlebt, nicht vor. Dieses Bild der Welt zeigt immer nur ein „Aussen“, wogegen wir uns zuerst und zumeist als ein „Innen“ erleben. Das eine mit dem anderen zu vereinen, oder besser gesagt, das eine als das andere zu erkennen, ist das Ziel spiritueller Wege und Übungen. Man kann darüber endlos viele Bücher lesen, doch ersetzen diese niemals die Sache selbst, leider – sonst wäre ich lange „dort“. :-)

Bei mir ist grad eher das Fitness-Center dran. Seit fünf Wochen lauf‘ ich da übers Laufband, spiel mit den Kraftmaschinen und setz mich hinterher in die kleine Schranksauna – es ist wunderbar! Mein Leben lang hab‘ ich verkündet: Sport ist Mord – und jetzt fängt es an, mir Spaß zu machen, unglaublich! Das ist eine grundstürzende Veränderung und der Abschied von den Zigaretten scheint dadurch erstmalig richtig machbar zu werden.

Bin gespannt, wie es ist, physisch stark zu sein, erst jetzt bemerke ich nämlich, wie schwach ich doch immer war. Auch in über zehn Jahren Yoga-Übungen bin ich diesem bestimmten Aspekt der Körperübungen ausgewichen: alles, was richtig anstrengt, wobei man ins Schwitzen und in heftiges Atmen gerät, hab‘ ich weitestmöglich vermieden. Das war auch gar nicht schwer, denn Yoga-Asanas sind ja nicht zuvorderst dafür da, um Kraft und Fitness zu entwickeln, sondern Bewußtheit für das, was ist, speziell für das Zusammenwirken von Körper, Gefühl und Denken, Mensch und Welt, innen und außen. Daß ich einen bestimmten Bereich des Daseins weiterhin ausschloß, ja scheute, wie der Teufel das Weihwasser, ist mir nicht besonders aufgefallen, bzw. ich konnte die These „Sport ist Mord“ sogar besser rechtfertigen als je zuvor. Jetzt hol ich das halt nach – und mach für jetzt mit dem Schreiben Schluß und fahr ins Center!

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Claudia am 04. Oktober 2001 — Kommentare deaktiviert für Carr genügt nicht

Carr genügt nicht

Heute ist der fünfte rauchfreie Tag. Nach der letzten Ohne-Phase gab es die übliche Übergangszeit als Wenig-Raucherin – bis dann nach zwei kurzen Wochen der alte Zustand wieder hergestellt war. Und „normal“ sind bei mir so etwa dreissig am Tag, manchmal auch mehr. Dreißig, vierzig Zigaretten, die mich von morgens nach dem ersten Kaffee bis spät abends in einem Zustand kontrollierter Gewöhnlichkeit halten: Alles im grünen Bereich.

Emotionen, falls überhaupt welche die Schwelle der Wahrnehmung überschreiten, werden mit der nächsten Dosis beantwortet. „Erst mal eine rauchen, dann sehen wir weiter…“. Dieses „weiter“ erübrigt sich dann jedes Mal aufs Neue, wenn der einströmende Qualm mit all seinen Nervengiften und Wirkstoffen das innere Gerüst wieder verstärkt, die Sauerstoffaufnahme drosselt und alle scharfen und klaren Empfindungen in der großen Wattigkeit versenkt, die sich lähmend über die Lebendigkeit legt wie Mehltau auf einen blühenden Rosenstrauch.

Es ist leicht, mit dem Rauchen aufzuhören, da hat Alan Carr ganz recht. Schon nach 24 Stunden etabliert sich ein ganz anderes und sehr viel angenehmeres Körpergefühl, die Lungen haben sich bereits deutlich erholt, der ganze Gestank ist weg und auch der schlechte Geschmack im Mund. Binnen kurzer Zeit entfaltet sich eine andere Normalität, die einem allerdings noch nicht gleich als solche erscheint: RUHE in allen Zellen, echte Stille, nicht diese nervöse Zittrigkeit, die sich schon bald nach einer Zigarette aus dem Gefühl der Wattigkeit erhebt und nach der nächsten verlangt. Wow, was für ein Feeling! Sogar die Gedanken verlangsamen sich und neigen nicht mehr zum Jagen – dafür bräuchte ich ansonsten mindestens zwanzig Minuten konzentriertes „Sitzen in Stille“.

Andrerseits ist jetzt wieder das ganze verläßliche Auf und Nieder des Begehrens zum Teufel, das sich im „Raum des Rauchens“ so berechenbar zwischen Kick und beginnendem Entzug einstellen läßt (zumindest solange man das Stadium des Kettenrauchens noch nicht erreicht hat). Lähmung, Beruhigung, Betäubung, nach Entzugsphasen kurze verläßliche (!) Kicks, immer etwas zum Festhalten, ein Schnuller fürs innere Kind, stoffgewordenes Mantra „Alles ist gut!“.

Was tatsächlich ist, spürt man, wenn der Schnuller weg ist – auch dann noch und gerade dann, wenn man NICHT mehr das Gefühl hat, schnellstens wieder einen Schnuller im Mund spüren zu wollen. Eine Flut aus Wünschen und Begierden macht sich bemerkbar, ein heftiges aber vom Kopf noch nicht definierbares Verlangen, das sich fürs erste als Oralität (Freßgier!) darstellt, aber oft genug einfach in Reizbarkeit, Ungeduld und Agressivität umschlägt. Nicht ständig, keineswegs, sondern nur für Momente, Momente der Unachtsamkeit, in denen man auch noch gern den Fehler macht, einem der chaotischen Gedanken aufzusitzen, die während solcher „Anfälle“ beiläufig produziert werden: Heureka, da ist er, der mögliche Grund meiner aktuellen Mißstimmung…. er ist es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht!

Was es ist

Der Fluß der Libido, die Pforten der Wahrnehmung, das Verhältnis von Reiz und Reaktion – all diese wichtigen Möblierungen individuellen Seins geraten aus der je real existierenden Ordnung, wenn man eine lang gewohnte Psychodroge wegnimmt (oder eine neue hinzufügt). Rauchen hat für mich immer etwas geleistet, mir definitiv etwas geboten: es ist ein Mittel, das es leichter macht, sozusagen ein „falsches Leben im Falschen“ zu führen.

Flachland-Denker wie Alan Carr werden nie zugeben, dass man bei vollem Bewußtsein „die blaue Pille“ wählen kann (->Matrix), weil der andere Weg gerade als zu beschwerlich und wenig verlockend erscheint. Es ist weit einfacher, zu rauchen wie ein Schlot und in einem „inneren Gerüst“ zu leben, als sich den Gefühlen und Empfindungen des Augenblicks zu öffnen – ohne jede Absicherung, was alles an Reaktionen, Gedanken und aktiven Lebensveränderungen daraus entstehen mag. Ganz ähnlich ist es mit dem Alkohol: Es ist weit einfacher, sich gelegentlich bis zum Filmriß zu betrinken und so die eigene Rationalität kurzzeitig abzuschalten („mal was ganz Wildes erleben“), als tatsächlich in voller Wachheit hier und jetzt und womöglich mitten im Geschäftsleben das eigene rechnende Denken, das vernünftige Sich-Verhalten-Wollen aufzugeben.

Was ich tue oder lasse, entscheide ich in all diesen Zusammenhängen übrigens ganz allein. Immer mehr merke ich, daß die Einflüsse Anderer, die mich vom „richtigen Leben“ und vom „wahren Weg“ überzeugen wollen, eher schaden als nutzen. Zu glauben, ich träfe meine jeweilige Wahl nach einer übernommenen oder selbst gebastelten Moral, wäre sowieso reine Selbsttäuschung. Heute ist es für mich einfach genauso spannend und abenteuerlich, eine Droge beiseite zu lassen, wie es das früher war, einen wirkungsmächtigen Stoff in die Psyche einzubauen. Nachteil ist Vorteil: dieses Erleben steht nur langjährig Süchtigen offen! :-))

Ich strebe übrigens auch nicht mehr an „für immer Nichtraucher“ zu werden oder zu bleiben. Etwas Wichtiges in die Zukunft zu vertagen, etwas WERDEN oder IMMER BLEIBEN WOLLEN ist gerade Teil der Verwirrung, die man mit Drogen oder anderen neurotischen Verhaltensweisen schlecht und recht stabilisiert. Ich will den Kick, die Freude, die Ekstase, die Gefahr und das Abenteuer, die ganze Lebenslust im echten Leben, hierjetzt also!

(…wenn sich jetzt jemand motiviert fühlen sollte, weise die Stirne zu runzeln und mir zu mailen, jegliches Streben nach Kick & Glück sei ganz falsch: bitte nicht! Verlorene Liebesmüh! Hab ich in tausend vermutlich besseren Formulierungen im Bücherschrank stehen und entsorge es alle Jahre wieder – immer dann nämlich, wenn ich zu meiner inneren Flamme zurückfinde, zu dem, das MEHR will als sich mit dem zu arrangieren, was gerade ist.)

Bye bye Carr!

Mit Alan Carrs hilfreicher Gehirnwäsche kann man vom Rauchen loskommen, kann lernen, was diese Sucht ist und wie sie funktioniert. Dass es die „wahre Zigarette“, die man „wirklich“ genießt, nämlich gar nicht gibt, sondern daß da immer nur ein Mechanismus aus Entzug und Nachschub wirkt und wechselnde Gefühle erzeugt. Nach ein paar Tagen „ohne“ schmeckt die Zigarette nicht mehr – man muß erst wieder den Mechanismus einüben, erst wieder „ins Geschirr“ steigen, um überhaupt wieder die Anmutung zu bekommen, die Zigarette würde einem etwas geben. In Wahrheit ist da nämlich NICHTS, nichts als das gute Gefühl, wenn der Schmerz (Entzug) nachläßt – und auch das nur dann, wenn man es bis zum Entzug kommen läßt, über Nacht zum Beispiel. Normalerweise spürt man als Raucher ja nicht mehr viel, am wenigsten von den vielen Zigaretten, die man verbraucht und teuer bezahlt, um in diesem Zustand verweilen zu dürfen.

Man kann den „Raum des Rauchens“ mit all seinen Folgen und Begleiterscheinungen betreten und verlassen – aus heutiger Sicht scheint mir das eine so schwer bzw. leicht wie das andere. (Es war schließlich verdammt schwer, sich das Rauchen anzugewöhnen, damals, mit fünfzehn…) Das „Verlassen“ kann man von Carr lernen, es geht vergleichsweise leicht, wenn man die von ihm empfohlenen Geisteshaltungen und Denkweisen übernimmt. Aber schon bald ist man „drüber weg“ und dann braucht es gute Gründe, echte Motivationen, wirklich EIGENE Haltungen, um nicht wieder nach dem „inneren Gerüst“ zu greifen. Es reicht nicht, über Suchtmechanismen und übliche Selbsttäuschungen in Bezug aufs Rauchen Bescheid zu wissen, man muß anders FÜHLEN, nicht nur anders DENKEN.

Carrs Buch „Für immer Nichtraucher“ ist nichts als eine mengenmäßige Aufblähung derselben Inhalte, die aus „Endlich Nichtraucher“ weidlich bekannt sind, gespickt mit unzähligen unterhaltsamen Anekdötchen aus seinem Leben als Raucher, Nichtraucher und Nichtraucher-Guru. Und tatsächlich hab‘ ich Reaktionen von Leuten gelesen, die sagten, das Buch gäbe ihnen mehr, weil sie länger brauchen, um diesen Wälzer durchzulesen! Tja, da kann ich nur raten: Immer wieder von vorne anfangen, nie wieder ‚was anderes lesen, dann bleibt man ganz bestimmt

f ü r    i m m e r    N i c h t r a u c h e r .

(Das Thema E-Mail hab‘ ich nicht vergessen, nehm‘ ich gelegentlich wieder auf).

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Claudia am 10. September 2001 — Kommentare deaktiviert für Schöne Welt: Unter Nackten

Schöne Welt: Unter Nackten

Nie hätte ich geglaubt, eines Tages ein Sauna-Fan zu sein! Bis mich meine Schwester vor gut zwei Jahren in die Wiesbadener Thermen führte, war das ganz undenkbar: Nackt unter völlig fremden Menschen? Sich womöglich anstarren lassen, mit dem herrschenden Schönheitsideal aus den Werbespots verglichen werden? Nicht mit mir! Dazu diese Hitze: Wie soll ein Mensch bei 90 Grad überhaupt überleben? Weiter → (Schöne Welt: Unter Nackten)

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Claudia am 01. September 2001 — Kommentare deaktiviert für Luftverbesserung

Luftverbesserung

Seit vorgestern nicht mehr geraucht, auch den Milchkaffe weggelassen. Normalerweise trink‘ ich einen guten Liter pro Tag, oft auch mehr. Da Kaffe und Zigaretten eine jahrzehntelang eingeübte Verbindung aufweisen, lasse ich am besten gleich beide weg, um den Kippen zu entkommen. Weiter → (Luftverbesserung)

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Claudia am 17. August 2001 — Kommentare deaktiviert für Nüchtern trunken: Adieu AA!

Nüchtern trunken: Adieu AA!

Mein Diary-Eintrag „Auf dem Meeting„, in dem ich in aller Kürze meine Geschichte mit dem Alkohol berichte, hat viel positive Resonanz erfahren – im Forum, aber mehr noch per Privatmail. Mich hat es entspannter und glücklicher gemacht, auch von dieser Seite meines Lebens hier zu sprechen, ohne die ich nicht das wäre, was ich geworden bin – und hier zitier‘ ich mal mutig das geflügelte Wort unseres offen schwulen Bürgermeisters: Das ist auch gut so! Weiter → (Nüchtern trunken: Adieu AA!)

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