Thema: Leben & Arbeiten

Claudia am 30. Januar 2003 — Kommentare deaktiviert für Umzug geschafft: Vom Wohnen und Gestalten

Umzug geschafft: Vom Wohnen und Gestalten

Tag 5 in der neuen Wohnung. Gleich kommt der Hausmeister mit einem Tischler, um in der Küche ein paar Dielen zu erneuern. Das machen die ganz ohne dass ich sie dazu aufgefordert hätte, einfach so, weil sie „durch“ sind! Ich bin positiv überrascht über soviel instandhalterisches Engagement von Seiten der Hausverwaltung, dabei ist es nicht einmal ein frisch saniertes Haus, wo verbliebene Mängel eher mal beseitigt werden, sondern ein ganz normaler Berliner Altbau.

Blick auf den Rudolfplatz

Das Einräumen und Einrichten ist jetzt erstmal geschafft, die (neun!) Umzugskísten sind ausgepackt, die wenigen Möbel verteilen sich gut in den beiden großen Räumen und der Küche. Das Gefühl von Weitläufigkeit bleibt glücklicherweise erhalten, passend zu diesem wunderbaren Blick aus dem dritten Stock raus auf den Rudolfplatz. Vorhänge braucht es eigentlich nicht, denn es gibt kein Gegenüber. Meine Vormieterin hatte auch keine, doch aus Gründen der Gemütlichkeit will ich von dieser Tradition abweichen. Der erste Versuch war allerdings ein Flop, in zwei Zentimeter Tiefe trifft der Bohrer auf Eisen. Na, mal sehen, es muß ja nicht alles in der ersten Woche passieren.

Ich glaube, in dieser Wohnung werde ich lange bleiben. Sie ist wie für mich gebaut und bietet (fast) alles, was ich im Laufe meiner bisherigen Wohn- und Umzugserfahrung als angenehm und schön erlebt habe: hohe Altbaudecken mit Stuck, Flügeltüren, abgezogene Dielen, ein großer Erker und ein Balkon. Dazu nach vorne und hinten jede Menge Aussicht, ich bin richtig entzückt! Im Frühling wird es in den großen verbundenen Höfen, die sich hinter dem Haus bis zur Spree erstrecken grünen soweit das Auge reicht. Ein Geschenk!

„Das ist deine erste eigene Wohnung, die ein bißchen Stil hat“, sagte mein liebster Freund, als er herumging und begutachtete, wie ich die Gegenstände in den Räumen verteilt hatte. Das ist ein großes Lob. Von uns beiden ist nämlich er immer derjenige, der es locker hinbekommt, aus nichts eine gute Atmosphäre zu schaffen – mir scheint, ein bisschen habe ich im Lauf der zehn Jahre des Zusammenwohnens doch von ihm gelernt.

Dabei hab‘ ich noch fast gar nichts GETAN, nichts angeschafft, Vorhänge und ein Teppich fehlen – aber zuwenig ist bei weitem besser als zuviel! Das ist eine der Maximen angenehmen Wohnens, hinter der ich jetzt voll stehe: Erstmal mit dem Nötigsten einziehen, nur alles benutzbar machen und sonst nichts weiter verändern. Indem ich mich dann in den Räumen aufhalte und den „Spirit of Place“ erlebe, ergeben sich die fehlenden, bzw. noch notwendigen Dinge wie von selbst: sie wenden eine Not, die erst einmal gespürt werden will! Wenn ich meine Habe dann in den vorhandenen Regalen, im Sideboard und auf den Kleiderhaken und Ständern verteilt habe, DANN erkenne und fühle (!) ich, ob mir noch ein Schrank oder ein anderes Behältnis FEHLT. Ich kaufe es nicht einfach so, weil es im Laden oder im Prospekt gut aussieht und irgendwo schon noch hinpasst.

zwei leere Zimmer

Wie anders bin ich früher an neue Räume heran gegangen! Einziehen bedeutete immer erstmal voll renovieren. Egal, in was für einem Zustand die Zimmer waren, „Rauhfaser weiß“ und „alles neu“ mußte sein, bedeutete eine Art Aneignung des Ambientes durch mühselige und anstrengende Bearbeitung der Oberflächen. Ohne mir viel Gedanken zu machen, hatte ich dieses Herangehen von meinem Vater übernommen, der ein großer Do-it-Yourselfer war.
Es beschränkte sich nicht aufs Streichen und Tapezieren, mein In-Besitz-Nehmen einer Wohnung war auch immer mit scharfem Gerät, Staub, Lärm und gewaltätigen Eingriffen verbunden: ich eroberte das Gelände sozusagen mit der Schlagbohrmaschine, brauchte überall Regale und Beleuchtungen, Verkleidungen und Podeste an, ohne je Rücksicht auf die Gegebenheiten zu nehmen: ich ERSCHUF die Wohnung, die ich bewohnen wollte, praktisch erst durch mein brachiales Vorgehen – das ja immer auch bedeutete, beim Auszug einen ähnlichen Aufstand machen zu müssen, um alles wieder zu verspachteln und in eine neutrale Ordnung zu bringen.

Wie anders jetzt! Die Wohnung, die wir gerade verlassen haben, erforderte nur ein paar wenige ausbessernde Pinselstriche, minimalste Füllarbeiten und ein bißchen putzen. Sieht nun genauso „topmodernisiert“ aus, wie beim Einzug. Das kommt, weil ich von meinem Lebensgefährten den inneren Ekel übernommen habe, Eingriffe in die Substanz vorzunehmen, die nicht unbedingt sein müssen. Ein Loch bohren? Mit einer Maschine? Gar so, dass man da etwas anbringen kann, was auch ein Gewicht trägt? Um Himmels Willen! Geht es nicht auch anders? Besser, man stellt etwas auf den Boden oder hängt Dinge an vorhandene Leisten, Träger, Rohre, Geländer – jede Alternative ist zu überdenken inklusive des Verzichts, bevor so etwas Heftiges, Lautes und Gewaltätiges wie eine Bohrmaschine zum Einsatz kommt.

Früher hab ich diese Haltung belächelt, oft hat sie mich auch geärgert, denn sie erschien mir als bloße Behinderung: ich hatte meine gestalterische Idee und wollte sie auf die Schnelle – mit allen Mitteln! – umsetzen. Da die Technik das Gerät zur Verfügung stellt und Materialien wie auch Energie erschwinglich sind, spricht doch nichts dagegen, sich seine Umwelt nach eigenem Willen zu gestalten. Warum sollte ich auf diese Möglichkeiten verzichten und mich den Verhältnissen anpassen, wie ich sie gerade vorfinde?

Wer jetzt glaubt, an der Stelle komm ich mit ÖÖko und Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung, täuscht sich. Klar, das alles ist unbestritten lebenswichtig für die Zukunft der Menschheit, aber mal ehrlich: wie nachhaltig wirken diese guten (aber rein „vernünftigen“) Gründe in der eigenen Psyche, wenn es ums ureigene Wohlbefinden, um die Vorstellungen von Schönheit und Glück, vom guten Leben geht?

Lassen wir die Vernunft beiseite, es ist etwas Anderes, das mich dankbar sein läßt, heute nicht mehr immer und überall gleich „durchgreifen“ zu müssen: eben diese VORSTELLUNGEN vom Schönen sind nämlich der Knackpunkt, den es genauer zu betrachten gilt. Wenn ich meine Umgebung nur als zu gestaltendes Material ansehe und nicht als vorhandene Form mit eigener Geschichte und eigenem Recht, woher nehme ich dann eigentlich meine (Wunsch-)Vorstellungen, wie die Dinge aussehen sollen? Offensichtlich wachsen sie nicht in mir, denn mit Bestehendem halte ich mich ja gar nicht erst auf, gebe den Dingen so, wie sie sind, keine Chance, eine Zeit lang auf mich zu wirken. Wenn ich sofort umplane und umarbeite, umgehe ich das FÜHLEN dessen, was ist, kann also gar nicht erkunden, was mich wirklich stört, was mir gut tut und was mir in einer konkreten Umgebung fehlt. Ich bleibe dann im Reich des Denkens hängen: Denke, dass das, was da im Laden oder im Prospekt wunderbar aussieht, auch für mein Arbeitszimmer gut sein müßte; denke, dass die Farbkombination, die in der Ausstellungshalle bei Kunstlicht so exotisch wirkt, auch in meinem hellen dritten Stock gut kommt – und ich irre mich!

Oh, wie oft habe ich mich schon geirrt! Und immer war es mit Aufwand und Kosten verbunden, hat mich angestrengt, mir richtig Mühe gemacht und letztlich war es ein Nichts, ja schlimmer als ein Nichts, denn ich war ent-täucht, weil meine Erwartung, um mich herum etwas Schönes zu schaffen, wieder einmal frustriert wurde. Was wiederum die Aufgabe, ein neues Mal alles umzugestalten, nahe legte – es ist dann nur eine Frage des Geldes, wann es wieder soweit ist.

Natürlich ist das Anspringen auf schöne Dinge in Katalogen, in Läden, in fremden Wohnungen und in Schaufenstern auch ein GEFÜHL. Aber es ist unverbunden mit dem eigenen Raum, ihm wird keine Zeit gegeben, es taucht isoliert auf und entschwindet wieder, bietet jedenfalls keinen wirklichen Anhalt für das Wachsen eines echten Bedürfnisses. Es entsteht in der Regel durch reine Augenlust und bleibt auf den Sehsinn beschränkt – wogegen das Zimmer, in dem ich mich aufhalte, auf meinen ganzen Körper, ja, meine psychophysische Leiblichkeit einwirkt. Und zwar lang und stetig genug, dass ich das dann auch bemerken, in Gedanken und Worte fassen kann. Dann erst WEISS ich, was ich will.

Als nächstes rede ich mit jemandem darüber. Manchmal ist das gut, manchmal eher kontraproduktiv. (Wer die Intuition hat, der eigene Wunsch sei gewiß auch das Richtige, schweigt am besten!) Zum Glück hab‘ ich mit M. erstmal über meine Idee geredet, die hellgrauen Wände in der Küche doch lieber weiß zu streichen, am besten gleich. Die Farbe hab ich mir zwar schon mal gekauft, aber das Projekt „Küchenrenovierung“ ist jetzt ins Frühjahr vertagt. Eigentlich sieht das Hellgrau nämlich gar nicht so schlecht aus, es war einfach ein besonders trüber Tag gewesen, als ich es in der Abenddämmerung zum ersten Mal richtig wahrgenommen und innerlich abgelehnt hatte. Im Frühling kann ich dann auch gleich das Fenster mit streichen, so hab ich nur einmal Baustelle.

Blick aus der Küche

Diesem Blog per E-Mail folgen…

Claudia am 24. Januar 2003 — Kommentare deaktiviert für Noch hier – schon dort – im Nirgendwo

Noch hier – schon dort – im Nirgendwo

Das Zimmer ist nun fast ganz leer, alles ist abgebaut und steht zum Transport bereit. Diesen Text tippe ich nicht mehr am großen Schreibtisch auf dem bequemen Bürostuhl, sondern an einem kleinen runden Holztischchen, das gerade genug Platz für Monitor, Tastatur und Maus bietet. Nachher werde ich ein letztes Mal ins Netz gehen, nach Mail gucken und diesen Beitrag ins Diary stellen, bevor ich alles ausstöpsele und verpacke.

Rudolfplatz

Heut war ein anstrengender Tag, aber er hat mir trotzdem sehr gefallen. Ich war schon um halb neun in der neuen Wohnung, ging dort durch die Räume, die noch wunderbar leer waren, überlegte, wohin ich dies und jenes stellen werde, ging immer wieder zu den Fenstern, um die Aussicht zu genießen. Endlich mal mehr als nur die Hauswand gegenüber – nämlich der Rudolfplatz: ein bißchen Grünanlage, Wiese, Bänke, Gebüsch, ein großer Kinderspielplatz, daneben Kirche (außer Betrieb) und Schule – und gegenüber das Offene, Unbestimmte, Weite… es entzückt mich! Das ist das Erbe von Mecklenburg, ganz bestimmt. Früher hab ich mich für Ausblicke nämlich nicht interessiert. Meine erste berliner Wohnung (ab 1979) lag im Hinterhaus, einhalb Zimmer, Küche, Ofenheizung, Außentoilette – und man schaute auf eine fensterlose Brandwand, nur etwa drei Meter entfernt. Die billige Bleibe hatte ich von dem Regisseur Rudolph Thomè übernommen, der sich später an sie erinnerte und mich bat, für drei Wochen auszuziehen. Ich bekam 1000 Mark und das Filmteam die Wohnung, wo sie einige Szenen für „Berlin Chamissoplatz“ drehten. An der Mauer gegenüber stand dann rot hingesprüht: „Anna, ich liebe dich!“, und meine Wohnung war frisch gestrichen.

Es war ein langer Tag mit viel körperlicher Arbeit: geschleppt, gepackt, geputzt, herumgefahren, Auto einladen, Auto ausladen, runter vom zweiten, rauf in den dritten Stock – viele Male viele Treppen steigen. Das Denken ändert sich dabei, stelle ich fest. Ich plaudere einfach so daher, komme von diesem zu jenem, es hat weniger Schwere, weniger Reiz, weniger Wichtigkeit – ich kann ihm Raum geben und es plappert los, aber es ist angenehm zu wissen, dass es auch wieder aufhört, weil noch viel zu tun ist, morgen, übermorgen – ganz konkrete, anfaßbare Dinge, ausräumen, einräumen, Möbel herumschieben, einkaufen, basteln, ausmessen, Lampen aufhängen, die Küche streichen – das ist so vergleichsweise ruhig, ich kann es schlecht in Worte fassen, aber jetzt verstehe ich besser, warum Kontemplative und Mystiker aller Zeiten einen Hang zu einfachen körperlichen Arbeiten hatten. Das „Übertriebene“ des Denkens verschwindet, man fühlt sich im EINKLANG, wenn man zu dem, was körperlich gerade passiert, den passenden Gedanken hegt: Stelle ich den Herd mehr rechts, oder verschiebe ich ihn eher nach links? Und wenn solche Fragen nicht auftauchen, ist es wundervoll, einfach die Empfindungen zu beobachten. Ja, so ein kleiner Urlaub vom Sitzleben durch das Umziehen ist schon toll!

Mittags dann im T-Punkt: WARUM ist das Telefon noch nicht geschaltet? Das sollte doch am 23. in der neuen Wohnung schon funktionieren! „Tja,“ sagt die Dame und blickt bedauernd in ihren Monitor, „das hat leider nicht geklappt! Aber am 28. ist die Schaltung dann ganz sicher, der Termin steht!“. Sie will nicht, dass ich auch in den Monitor gucke, was für mich erstmal ganz selbstverständlich ist, wenn ich mit ihr zusammen an einem runden Stehtisch stehe, also kein Schreibtisch den Raum in „davor“ und „dahinter“ einteilt. Was sie wohl fürchtet? Dass ich ihrem Arbeits-Interface was weggucke??? Oder erscheinen vielleicht peinliche Meldungen wie „Kunde ist Nörgler und beschwert sich bis zum Vorstandsvorsitzenden“, die sie vor mir verstecken muß? Ich jedenfalls war immer brav, nur die Telekom hat niemals funktioniert, wie versprochen, wenn ich etwas brauchte. Wirklich nicht ein einziges Mal.

Rudolfplatz

Wunderbar geklappt hat heut morgen die Lieferung des Gasherds. Oh, wie hatte ich mir Sorgen gemacht, dass es nicht der richtige Anschluß sein könnte, dass der Schlauch vom Herd genau verkehrt herum sitzt, dass er womöglich nicht funktioniert oder man irgendwo etwas anwerfen muss und ich hab keine Schlüssel – eine Gasetagenheizung hatte ich ja noch nie und was das Kochen angeht, so liegen Jahrzehnte mit E-Herden hinter mir. Zum Glück waren die Sorgen umsonst, es lief alles ganz easy, die beiden gewichtigen Packer hatten sogar gute Laune, wir witzelten herum – ein netter Einstieg in den Tag.

Kaum waren sie weg, kam *Dirk, mein alter Freund aus der Netzliteratur-Szene, der neulich am Telefon unaufgefordert seine Umzugshilfe angeboten hatte. Fand ich klasse – immerhin sind wir aus dem Alter raus, wo man aus Umzügen versucht, eine Art Fest zu machen, viele Leute zusammen trommelt (von denen 80 Prozent auch wirklich kommen), gemeinsam ein paar Stunden schuftet und dann ins große Fressen & Trinken übergeht. Nein, Menschen meiner Altersklasse lassen üblicherweise umziehen, wir schleppen nicht mehr so gern selbst und viele haben auch soviel angesammelt, dass es freiwillige Helfer überfordern würde. Nun, die letzten beiden Male hab ich das auch so gehalten, der lange Weg nach Mecklenburg schreckte mich von der Selbstorganisation doch erfolgreich ab. Aber jetzt, etwa 500 Meter die Straße weiter bis zum Rudolplatz, und dann mit doch deutlich reduziertem Besitztum – Himmel, dafür will ich einfach keine 600 Euro ausgeben!

Also Eigeninitiative – alles, was in den Peugeot von Manfred passt, selber transportieren, für die größeren Sachen kommen morgen zwei Profis mit einem Kleintransporter. Wenn ich mich so umgucke, werden die höchstens zweimal fahren müssen – für zusammen 45 Euro die Stunde, das ist echt zivil. (Wenn man dagegen eine Obdachloseninitiative beauftragt, die in den hiesigen Kleinanzeigenblättern insererit, kostet es 50 Euro pro Helfer PLUS Auto!) Trotzdem war es wunderbar, dass Dirk mir heute geholfen hat. Die Umzugskisten hätten mich sonst überfordert – außerdem ist es netter zu zweit, die ganze Sache ist viel schneller rum. Hinterher waren wir noch gemütlich essen – DANKE DIRK!

Diesem Text mangelt es deutlich an philosophischer Dimension, sorry! Im Moment scheine ich mich am schreiben fest zuhalten, denn danach will ich ja den Stecker ziehen. Vom Netz gehen, das Telefon einpacken, den Kabelverhau auseinander nehmen – es ist mit eigenartigen Gefühlen verbunden, als täte ich etwas Verbotenes. Auch eine Art Verlustangst ist dabei: wenn ich mal draußen bin, werde ich denn wieder REIN kommen??? Rechtzeitig und ohne Verluste und ohne dass ich etwas Wichtiges verpasst hätte??? Das ist alles ganz irrational und nicht besonders ausgeprägt, nur eine „Unterstimmung“ unter den viel stärkeren Gefühlen, die im Rahmen des Umzugs aufkommen. Aber doch unüberhörbar: DER ANSCHLUSS ist das wichtigste! Um den Anschluss herum wird alles andere angeordnet. Egal, in welchem Zustand sich die neue Wohnung dann gerade befindet, sobald „der Anschluß steht“, ist alles in Butter, alles ok, die Sache gelaufen.

Am Dienstag also. Sagt zumindest die Telekom. Ich könnte das ja hier alles stehen lassen und erstmal abwarten, ob es auch klappt. Hab ich mir zuerst jedenfalls so überlegt, dann aber doch Lust auf den „vollen Umzug“ bekommen. Ich mag nicht in diese leere Wohnung zurück gehen und hier mailen und Webseiten pflegen – dann schon lieber ins Internet-Café, das passt viel besser zu diesem wunderbaren „Ausnahmezustand“.

Wer also was von mir braucht in den nächsten Tagen, kann davon ausgehen, dass ich einmal am Tag Mail abrufe. Viel mehr aber nicht.

Und jetzt zieh ich den Stecker. Macht’s gut!

Diesem Blog per E-Mail folgen…

Claudia am 17. Januar 2003 — Kommentare deaktiviert für Und wieder: Wegwerfen, wegspenden, loslassen

Und wieder: Wegwerfen, wegspenden, loslassen

Neben mir stehen jetzt sechs gepackte Umzugskisten, vier kleine, 40 mal 60 Zentimeter und zwei große, 80 lang. Daneben ein Rucksack und noch zwei Taschen, voll mit kleinen Dinge – meine Buddhastatuensammlung, zum Beispiel. Naja, Sammlung, es sind jetzt sieben. Daneben die Fotoausrüstung meines Vaters, eine bestimmt 30 oder gar 40 Jahre alte Rico-Spiegelreflex mit allerlei Zubehör, in Geld betrachtet fast wertlos – nie werde ich sie benutzen, doch ich will sie auch nicht entsorgen, noch nicht. Er hat mir auf vier Seiten eine Gebrauchsanweisung dazu geschrieben, es ist der einzige Brief, den ich noch von ihm habe. Er beschreibt nicht nur die Kamera, nein, es ist eine Anleitung zum Fotografieren überhaupt, auf vier Seiten, zügig durch alle Aspekte bis hin zum Umgang mit dem Verkäufer, wenn man die Papierabzüge reklamiert. Rechtschreibung und Grammatik war dabei weniger wichtig, die Tochter ist schließlich nicht die Behörde. Tja, so war er. Und ich hab‘ viel von ihm!

Unterm Bett liegt das 400-Mark-Keyboard, kaum benutzt und wieder originalverpackt. Hab mir überlegt, es zu spenden, wie den guten Meter Bücher, der nicht mehr ins Regal gepasst hat, mich dann aber doch dagegen entschieden. Könnt ja sein, dass ich nochmal Lust auf die 128 Midisounds habe, vielleicht schließe ich das Board in der neuen Wohnung wieder an. Zweimal zwei PC-Lautsprecher mit integriertem Verstärker stehen auch noch hier herum. Mindestens ein Paar muss ich behalten. Derzeit lebe ich ohne Sound, völlig still im Hier und Jetzt, nur gelegentlich das Quaken des Handys, wenn es Strom tanken will.

Am Dienstag bekomm‘ ich den Schlüssel zur neuen Wohnung, dann kann ich mit dem Umziehen anfangen. Samstag kommt * Erkan-Transport (sehr empfehlensert!) und holt die großen Sachen, das andere mach‘ ich selbst. Es sind ja nur etwa 500 Meter, einmal rüber über die S-Bahn-Geleise, dort, wo man so wunderbar weit bis zum Funkturm sehen kann, dann noch ein paar Schritte bis zum Rudolfplatz, direkt im * Stralauer Kiez, praktisch eine Insellage.

Jedes Mal ein bisschen weniger ?

Seit ich Webtagebuch schreibe, ist dies mein dritter Umzug. Ich kann also nachlesen, wie es mir 2001 erging, als ich voller Freude in die Metropole zurück kehrte, die ich 1999 so völlig überdrüssig verlassen hatte. Da finde ich zum Beispiel den Eintrag Mal wieder: Materie, der davon handelt, wie man das Sammeln, Horten und Anhäufen vermeiden bzw. sich abgewöhnen kann – und wie ich mich im einzelnen mühe, immer weniger zurück zu behalten. Ein Endlos-Thema, denn auch schon beim Umzug aufs Land, im Juni 1999, wollte ich jede Menge Ballast abwerfen (wer nachliest merkt: hier geht’s auch zurück ins historisch gewachsene Diary).

Ist da in Sachen Besitz nun ein Fortschritt festzustellen? Hat das „weniger werden“ geklappt ??? Ich hab mich ja nicht selber vergewaltigt und sozusagen „programmatisch“ alles mögliche weggeworfen. Nein, Dinge wie etwa Papas Kamera schleppe ich ohne Ärger mit, was weh tun könnte, wird nicht entsorgt, mag das auch noch so irrational sein. (Ich BIN schließlich nur in einem winzigen Bereich rational, warum also sollte ich mich da bezähmen.)

Wenn ich mal kurz drüber lese, stelle ich fest: 1999 hab ich sogar noch mehrere Jahrgänge Internet World und andere Magazine nach Mecklenburg umgezogen – in großen Schubern, was für ein irres Gewicht! Die hab ich diesmal dem Obdachlosenbuchladen um die Ecke vorbei gebracht, zusammen mit den bestimmt sechs Tüten bzw. Rucksäcken voll Bücher. Die Andenken, Fotos und Geschenke aus der persönlichen Vergangenheit, die ich bisher nie los werden konnte, hab ich durchsortiert und auf ein Zwanzigstel geschrumpft! Alte Familienalben, alle Negativfilme aus der eigenen Fotografierzeit – alles weg. Auch besitze ich keinen einzigen Brief mehr, nur eine Art „Rollo am Holzstab“, das ein Mann, in den ich vor etlichen Jahren verliebt war, aus unseren Frühlingsbriefen zusammenkopiert und gebastelt hat. Ich hatte das Teil schon in der Hand, die über dem Müll schwebte -. kurz zögerte – dann hab ich mal kurz reingelesen. Das hätt ich nicht tun sollen, jetzt hab‘ ich das romantische Papp-Memorial einer Frühlingsliebe noch ein paar Jahre!

Fortschritt auch bei den am meisten Ego-besetzten Artefakten: alle „früheren Werke“ sind jetzt den Gang alles Irdischen gegangen, die einst herausgegebenen Zeitungen, die Broschüren und Prospekte, auch sämtliche Texte aus unterschiedlichen Schreibgruppen und Workshops. Diesen ganzen Schmodder leichten Herzens endlich los zu lassen, tut ganz besonders gut.

Was bleibt? Die sechs Kisten werden noch etwa acht werden – zum leichteren Tragen durcheinander gepackt mit Büchern, Akten, Kleider und Geschirr – dazu die sieben Buddhastatuen. Geschirr und Klamotten konnte ich in den letzten Tagen auf genau das reduzieren, was ich auch tatsächlich trage und benutze, der Rest ging in die Kleidersammlung.

Möbel ? Nicht viel: Ein Bett mit höllisch schwerer Latexmatratze, zwei Billy-Regale, der Schreibtisch mit Stuhl und Aktenschrank, ein Sideboard und ein Kleiderständer (statt Kleiderschrank, dem ich mich immer schon verweigere), zwei leichte Stoffsessel mit rundem Tischchen, ein kleines Sofa, der Küchentisch mit zwei Stühlen, – sodann die Waschmaschine und der Kühlschrank, ein kleines Stand- und ein Hängeregal für die Küche. Drei Zimmerpflanzen, drei Balkonkästen – war es das? Ach ja, zwei Balkonstühle, auch für Gäste benutzbar, und ein paar kleine Teppiche. Himmel, es bleibt doch immer noch eine ganze Menge übrig, was mensch so durchs Leben schleppen muss in der technischen Zivilisation. Und um in dieser zu navigieren, ist natürlich der PC und das zugehörige Equipment nicht zu vergessen – ja, er ist die „Haupt-Sache“, denn der ganze Umzug ist um „Abbauen des Arbeitsplatzes, Aufbauen drüben“ herum organisiert, das wichtigste DER ANSCHLUSS, möglichst nahtlos und ohne zwischenzeitliche Unterbrechung.

Was die materiellen Gegenstände angeht, hab ich es mit diesem Umzug also nun wirklich dahin gebracht, praktisch jedes Ding zu kennen, das ich besitze – von den Küchenmessern über den Räucherstäbchenhalter bis zum Aktenlocher. Ich könnte also damit beginnen, mir „die letzen Dinge“ zuzulegen: alle diese bisher nur zufällig und ohne besondere Liebe erworbenen oder behaltenen Gegenstände nach und nach durch bewußt gewählte, schöne Dinge ersetzen, zu jedem eine eigene Beziehung aufbauen, Gegenstände mit Gesicht und Geschichte! Anderen ist das in die Wiege gelegt – sollte es mir JETZT noch gelingen, die Liebe zur materiellen Ebene zu entwickeln? Spät ist besser als nie, sag ich mir.

Schön, sinnlich, farbig?

Morgen in einer Woche werde ich also am Rudolfplatz aufgebaut haben, werde angeschlossen sein (toi toi toi!) und aus dem Fenster in die Weite sehen: über den Platz mit Kirche, Schule und Kinderspielplatz, über den Grüngürtel bis hinüber zu den S-Bahn-Geleisen. Seit vorgestern hab‘ ich den Mietvertrag, ich kann’s noch kaum glauben! Es sind 72 Quadratmeter, zwei große, ineinander übergehende Altbauzimmer, eins mit Balkon, das andere mit großem Erker. Renovieren muss ich nicht, alles ist ok, Rauhfaser weiß, abgezogene Dielen, nichts irgendwie schmuddlig, aber auch nicht so gesichtslos „topmodernisiert“ wie in der Wohnung, die ich verlasse.

Wird das jetzt der letzte Umzug oder geht’s in zwei Jahren wieder weiter??? Die Miete immerhin ist bis ins Jahr 2013 im Mietvertrag festgelegt. Und die Wohnung ist recht genau meine Wunschwohnung: ähnlich viel Platz wie jetzt, sogar mehr, denn ich hab wieder zwei Zimmer. Weitblick nach allen Seiten, Balkon, im dritten Stock und also auch richtig hell. Drei Minuten zur U- und S-Bahn, 15 Minuten ins Fitness-Center, nicht viel länger zum anderen Ufer der Spree in den Treptower Park – und direkt daneben ein interessantes Geschäftsviertel, die * Oberbaum-City.

Wünsche? Ich möchte die Wohnung gemütlich haben, es soll schön sein, sinnlich, farbig. Das ist ein neues Bedürfnis, eine neueAufgabe: bisher waren meine Umgebungen immer sachlich-funktional (im besten Fall!), ja kühl.. Ich bin gespannt, ob sich da etwas verändert, bzw. verändert hat. Keinesfalls will ich auf die Schnelle irgend etwas kaufen oder gestalten, nur damit es nicht leer ist! Eigentlich gefallen mir ziemlich leere Wohnungen sogar am besten.

Diesem Blog per E-Mail folgen…

Claudia am 12. Januar 2003 — Kommentare deaktiviert für Richtungswechsel – eine Zwischenbilanz

Richtungswechsel – eine Zwischenbilanz

Seit einer knappen Woche lebe ich wieder allein – nach etwa zwölf Jahren Zweisamkeit! Nur noch ein paar wenige große Möbel meines liebsten Freundes stehen im Nebenzimmer, am Montag früh ist der Abtransport. Er hat eine Wohnung in Kreuzberg gefunden, ich bleibe in Friedrichshain, ziehe aber ein paar hundert Meter weiter: rüber über die S-Bahn-Geleise, näher an die Spree, direkt neben die Oberbaumcity. Alles verläuft ganz organisch, es geschieht, was geschehen muss und wir sind es beide zufrieden. Eine gute Erfahrung, daß nicht jede wichtige Veränderung unter Hauen & Stechen stattfinden muss.

Beim Verein der Freunde alter Menschen bin ich im November ausgestiegen: für ein paar wenige alte Menschen Kaffeenachmittage zu organisieren ändert nichts an der Situation in den Alten- und Pflegeheimen, auch nicht an der Isolation der Unzähligen die noch in ihren Wohnungen schlecht und recht versorgt werden. Und JA, ich will wieder etwas ändern, wenn ich mich schon engagiere, nicht nur einfach „irgendwas in dem Bereich“ machen und sehen, wie es mir bekommt.

Türen schlagend verließ ich kurz vor Weihnachten auch meinen langjährigen Yoga-Lehrer. Über die verschiedenen Anlässe will ich mich hier nicht verbreiten. Ich verdanke ihm viel und werde das nicht vergessen! Der Zeitpunkt war allerdings länger schon überschritten, an dem ich hätte gehen sollen: der ist immer dann, wenn ich nur noch das „Immerselbe“ erlebe und bereits mehrfach auf alle mir möglichen Weisen reagiert oder eben nicht reagiert habe. Da zu bleiben und das Bekannte endlos weiter zu „konsumieren“ ist dann kontraproduktiv, denn die Punkte, an denen es weiter gehen muss, sind durch diese Konstellation blockiert: bei ihm und durch ihn geht nichts mehr – aber auch nicht mit Hilfe eines Anderen, denn ER ist ja da! Und er macht natürlich SEINS, seinen Yoga, sein Leben, seine Philosophie und seine Weltanschauung – wenn ich wichtige Teile davon ablehne, aber trotzdem dran bleibe, ergibt das nur einfach zunehmende Ärgerlichkeit im zwangsläufigen Stillstand.

Gut, dass es jetzt zu Ende ist, zehn Jahre sind vermutlich auch genug. Mit ihm zu streiten wäre müßig. Ganz abgesehen von der Frage, ob er Kritik und Auseinandersetzung auch einmal zulassen würde, bin ich ja nicht gekommen, um IHN, den zwanzig Jahre Älteren zu ändern, sondern um MICH mit seiner Hilfe ändern zu lassen. Wenn allerdings in mir keinerlei Verlangen mehr brennt, in dieser oder jener Hinsicht zu werden wie er, dann läuft da nichts mehr. Lange schon nicht!

Form wird Leere, Leere wird Form

Es gab auch noch ein paar weniger bedeutende Trennungen in letzter Zeit, die alle ein Grundmotiv gemeinsam haben: die Phase, in der ich nur beobachtetete, wie die Außenwelt mich formt, in der ich immer nur übte, möglichst ohne Widerstand ein Maximum an innerer Flexibilität zu realisieren, ist vorbei. Lange lebte ich aus der Mitte dreissig gewonnenen, damals ungeheuer befreienden Einsicht: Ich bin niemand, also bin ich (potenziell) alles. Kann daher zu allem JA sagen, denn nichts stellt mich in Frage. Weil da ja kein substanzielles Ich existiert , weil „ich“ nur eine Denkweise ist, definiert mich auch nichts außer mir selbst – ich kann es also gleich ganz lassen und einfach nur Beobachterin sein. Beobachterin auch eigener Gedanken, Gefühle und Aktionen, die einfach stattfinden weil ein Tag dem anderen folgt und immer irgend etwas geschieht.

Demut, Hingabe, Gelassenheit – diese Haltungen kamen in meinem ersten Lebensentwurf nicht vor: der zeigte mich als Macherin meiner Welt, als stets Betroffene und Verantwortliche, die mit vollem Einsatz kämpft und um Macht und Einfluß ringt; natürlich immer für die Menschheit und die Weltrettung und niemals für sich selbst – zumindest in der Selbsteinschätzung, also in fast völliger Blindheit.

Als diese Art des In-der-Welt-Seins dann auf selbstzerstörerische Weise zum Ende kam und vor nun fast dreizehn Jahren endlich zusammen brach, bewegte es mich wie in einer Pendelbewegung hin zum anderen Ende er Dualität: Nicht ICH mache, sondern ich werde gemacht – alles geschieht immer schon ganz ohne dass ich die Welt auf meinen Schultern trage. Etwas Konkretes wollen, etwas Bestimmtes meinen, ja, alles Meinen und Diskutieren, Argumentieren und Grübeln – all das sind nur Formen der Unfreiheit und Selbstfesselung. Nur nie mehr versuchen, eine Form zu verteidigen!

Ich kann kaum schildern, was das für eine Umwertung alle Werte bedeutete – und was für ein spektakulär anderes Lebensgefühl. Es war eine Art zweite Geburt. In der ersten Zeit schwebte ich denn auch wie auf Wolken, und auch später ging es mir durchgehend besser als je zuvor: anstrengungslos ergriff ich Möglichkeiten, die sich mir anboten. Menschen wollten etwas von mir, also tat ich das – das Leben wurde ungeheuer einfach und erstaunlicherweise lebte ich in jeder Hinsicht besser, auch was Arbeit und Einkommen angeht. Offensichtlich war ich in meiner Macher-Phase selbst der Urgrund all meines Unglücks und meiner Verzweiflungen gewesen.

Die „Entdeckung der Gelassenheit“ war allerdings nicht das Ende, wie ich heute merke. Das Pendel hält nicht etwa an, sondern schwingt weiter von einem Pol zum andern – vermutlich werden nur die Ausschläge kürzer und ein Leben ist (im niemals real existierenden Idealfall) dann vollendet, wenn es in der Mitte zur Ruhe kommt.

Weit entfernt von dieser mittigen Ruhe erlebe ich derzeit wieder den Richtungswechsel: von der Leere zur Form, vom Nichts zum Alles, vom Loslassen zum Zupacken, vom Forschen und Beobachten zum Erschaffen und Pflegen. Es fühlt sich an wie eine Häutung, alles Erleben ändert seinen Geschmack, alle Wahrnehmung ist anders, eben noch in einer alten Routine steckend merke ich ständig: hey, auch DAS ist ja nicht mehr so, wie gehabt! Auch hier ist etwas neu und ich muss es mir genauer ansehen, muss einen neuen Umgang damit finden.

Aus der Wüste zu den Sternen

Wie ist das gekommen? Was hat sich verändert? Der Umschlag hat sich schon lange Zeit angebahnt, so seh ich das zumindest jetzt. Einige Jahre fühlte ich mich schon wie in einer Art Wüste: keine Wünsche mehr, keine wirklich ernst gemeinten Projekte, keine Gedanken an Zukunft (weil die sowieso nicht existiert..) – und der verrückte Versuch, immer mehr zum Nichts zu werden, eine Art Nullstelle im Dasein, allenfalls ein paar vielleicht hilfreiche Beobachtungen absondernd, die aufgrund eigener Interesselosigkeit einen ganz besonderen Anspruch auf Wahrheit anzumelden hätten – wie absurd! Was für eine Selbtvergewaltigung!

Während mein Yogalehrer sein Buch über „Daseinsgefräßigkeit“ vorbereitete, verging mir so langsam aller Appetit aufs Leben. Und im Zusammenwohnen in einer um jeden Preis friedlichen Zweisamkeit scheiterte ich zeitgleich mit dem Bemühen, als Form, als Jemand, an dem der Andere anecken, sich irgendwie stören könnte, zu verschwinden. Mich immer weiter zurücknehmend konnte ich es locker bis zur konturlosen grauen Maus bringen, die in einem unauffälligen Loch sitzt und den Kopf einzieht, um nur nicht Stein irgend eines Anstoßes zu sein – nichts wollend, nichts meinend, nichts wünschend – und doch alles zwecklos! Der Andere stößt sich trotzdem, das kann gar nicht anders sein, wenn man sich so nahe ist.

Das eigene Verschwinden ist nun aber nicht wirklich machbar, selbst der Symbolisierung und Virtualisierung in einem Online-Leben sind natürliche Grenzen gesetzt. Wenn also die eigentlich „beziehungstypischen“ Auseinandersetzungen vermieden werden sollen, bleibt als einzige Möglichkeit, die alltägliche Zweisamkeit zu beenden und eine größere Distanz einzunehmen. (….jetzt freu ich mich schon wieder, wenn er zum Kaffee kommt!)

Seit dies beschlossen ist, also seit ein paar Monaten, zerbröckeln eine ganze Menge innere Mauern, die ich offensichtlich gegen Veränderungen errichtet hatte. Es ist machbar, ja sogar leicht, etwas Wesentliches zu verändern: Anstatt zugunsten Anderer wegzuschrumpfen, kann ich mir auch einfach mehr Raum nehmen. Ja, irgendwann bleibt einfach nichts anderes mehr übrig, selbst wenn ich „eigentlich“ nichts derartiges vorhatte, ja, sogar ängstlich davor zurück schreckte..

Es macht einen wichtigen Unterschied, dies an sich selber erneut zu erleben, anstatt es nur zu wissen bzw. zu erinnern. Wie Dominosteine purzelt nun alles in eine andere, eine neue Richtung: wenn ich an diesem allerwichtigsten Punkt meines Lebens nicht anders kann, als SO zu entscheiden, dann ist nicht mehr einzusehen, warum ich mich in weniger wichtigen Bereichen weiter um die eigene „Nichtung“ mühen sollte!

Als wäre die Sehne eines Bogens überspannt worden und letztlich gerissen, drehe ich mich um 180 Grad, schwinge mit dem Pendel wieder in die andere Richtung und fühle voller Freude: Ich bin völlig ok, meine individuelle „Form“ ist gut so! Sollen doch diejenigen, die immer gerne an mir herumkritisieren, erstmal dahin kommen, sich mit sich selbst so wohl zu fühlen wie ich. Mein Atem ist mir lang genug, warum zum Teufel soll ich ihn eigentlich NOCH weiter verlängern??? Wenn nicht gerade jemand an mir zieht und mir vermittelt, ich sei irgendwie falsch, geht’s mir super! Sogar unabhängig vom Stand des Bankkontos, vom Wetter und von kleinen Zipperlein wie Mausarm, Tietzesyndrom und Probleme mit dem Nerv aus L5/L6 ! Richtig krank bin ich nie, meistens sogar gut gelaunt, in meinem Kopf geben sich weder Ängste und Bedenken die Klinke in die Hand, noch füllen Klage und Anklage über Selbst und Welt alle Speicher, die doch für das Wunder der Wahrnehmung und ein freudvolles schöpferisches Handeln in der – tatsächlich verbesserungsbedürftigen! – Welt weit besser genutzt werden können.

Und das will ich nun auch tun. Es geht mir nicht darum, irgend eine Wahrheit zu demonstrieren oder gar zu verteidigen. Wesentlich wichtiger ist das Gefühl der inneren Ruhe und Klarheit, dieses Ganz-bei-sich-Sein, egal, was da für Turbulenzen im Äußeren toben mögen. Das Pendeln zwischen den Polen der Dualität – zwischen Form und Leere, Wille und Hingabe, zwischen Zeitlichkeit und ewigem Augenblick – ist die Bewegung des Lebens. Auf immer neuen Ebenen erlebe ich sie, vielleicht lerne ich ja doch, einfach freudig mit zu tanzen.

Dass im Scheitel des Pendels, im „Auge des Orkans“, absolute Stille herrscht, hat damit überhaupt nichts zu tun.

Diesem Blog per E-Mail folgen…

Claudia am 21. November 2002 — Kommentare deaktiviert für Wohnen & Wünschen

Wohnen & Wünschen

über die Frage nach dem richtigen Wohnen tut sich mir die Welt des Wünschens wieder auf. Es erscheint mir als ein kleines Wunder und fühlt sich völlig neu an. Ihr könnt ruhig darüber lachen, doch ich habe tatsächlich geglaubt, ich wäre da heraus gewachsen, geläutert, ein Stück weit heilig geworden, weil vermeintlich frei von materiellen MEHR-Bedürfnissen. Schließlich hegte ich Jahre lang keine konkreten Vorstellungen mehr, WIE und WAS ich im persönlichen Umfeld gerne anders gewollt hätte, als es war und noch ist.

Welch ein Irrtum! Ich war einfach erstarrt in einer lange Jahre eingeübten Haltung, die ein bestimmtes Leben zu zweit erst ermöglichte: eine Form, die ja in jedem Fall ein Konstrukt aus Kompromissen ist. Wenn man dann noch den Frieden über alles setzt und Auseinandersetzungen meidet, muss man sich nicht wundern, dass die Form sich nicht mit der eigenen Veränderung entwickelt, sondern nach und nach zum festen Gehäuse erstarrt, das nicht mehr allzu viel Leben beinhaltet.

Im Zuge des Umziehens entschwindet nun nicht nur DIESE, sondern – zumindest für den Moment – JEDE Form eines gewohnheitsgestützten Alltagslebens. Ich kann mich nicht mehr wirklich an ein „vorher“ erinnern, in das ich zurückfallen könnte – und stehe so vor dem Nichts, vor einer Leere.

Diese wirkt allerdings – wieder nur für den Moment gesprochen – nicht gefährlich, sondern als die Fülle, zumindest der Möglichkeit nach. Wobei diese Fülle noch nicht durch bestimmte Wunschbilder ausdefiniert ist, sondern da ist einfach nur offene Weite – freier Raum, noch ganz ohne Stress, ihn irgendwie füllen zu müssen.

Ausnahme: über die künftige Wohnung nachdenkend, die Basistation zur Erkundung dieser unbekannten Fülle, erlebe ich auf einmal wieder konkrete Vorstellungen und Wünsche! Es ist, als fließe eine neue Energie durch meine Nervenfasern und alles fällt an seinen Platz: Die Wahrnehmung, die Aufmerksamkeit, das leibhaftige Erleben und spürende Erleiden der jeweiligen Umwelt, das mir – anders als früher – heute selbstverständlich ist, bekommt auf einmal den Sinn, der ihm für mein Empfinden lange fehlte: ich richte mich danach! Wenn mich Morgensonne froh stimmt, dann ist ein Ostzimmer morgens genau richtig. Wenn ein Blick in die Weite für meine Psyche ein Lebenselexier bedeutet, werde ich mich nicht in einen Stadtteil vergraben, in dem es nur Häuserschluchten gibt – und seien die Häuser und Menschen dort noch so interessant.

Spüren, fühlen, leben…

Es scheint auf einmal möglich, auf eine Weise zu leben, die ich bisher nur als Herangehensweise bei der Gestaltung von Webseiten kannte: wenn eine Proportion nicht stimmt, eine Farbe sich mit der anderen beisst, tut das richtig WEH – und ich ändere es. So entstehen meine Webwelten, von denen viele sagen, sie seien recht ansprechend. Warum nur ist es so unendlich schwer und langwierig, mit der Lebenswelt auf dieselbe Weise zu verfahren???

Was ich hier sagen will, klingt vermutlich für viele ganz banal: Wer richtet sich denn NICHT nach den eigenen Wünschen? Wer möchte NICHT die Dinge so gestalten, dass sie ihm behagen und Zustände vermeiden, die unangenehm wirken?

Ich kann den Unterschied, den ich meine, an mir selbst am besten erläutern: natürlich hatte ich von Kindheit an „Wünsche“, wollte dieses und jenes haben, strebte nach Bewegungsfreiheit, nach Anerkennung, und nach allem, was bei den Menschen, die mir wichtig waren, „angesagt“ schien. Später begann ich, gesellschaftliche Werte in dieses Motivationskorsett einzubauen: was dem (recht abstrakten!) „Gemeinschaftsgedanken“ nützt, ist auch gut und soll verwirklicht werden – ein Motiv, das bei entsprechender Gemütslage gern auch ins Gegenteil umkippt: alles, was der Selbstverwirklichung des Individuums nützt, ist gut!

So füllt sich das Pantheon der obersten Werte: nach Peergroup, Individum und allerlei Gemeinschaften folgen Friede und soziale Gerechtigkeit, Erhaltung der Natur, bis hin zur Gesundheit, die in vorgerücktem Alter ins Zentrum des Interesse rückt – eine Gesundheit, die man sich dann meist von Labors ertesten und vom Arzt bestätigen lassen muss, weil jeder direkte Zugang dazu verloren gegangen ist.

Damit ist angesprochen, was ich meine: alle diese Wertsetzungen hatten nichts mit mir zu tun, sondern wurden von wem auch immer übernommen bzw. aus abstraktem Denken hergeleitet. Dazu dient auch der irrsinnige Input aus Geschriebenen, die vielen Worte der Weisen und die Erkenntnisse der Wissenschaften bis hin zum ständigen Trommelfeuer der Werbung, die uns vor Augen führt, wie wir sein sollen und leider immer noch nicht sind.

Im Normalfall kommt mensch vielleicht gar nie auf die Idee, mal zu bemerken: all das hat ja gewiss seine Wahrheit und seinen Sinn – aber WAS BITTE hat das mit mir zu tun? Mit dem ganz konkreten Menschen, der ich über die Jahre geworden bin?

Und selbst wenn er aufkommt, dieser Gedanke, so ist doch nichts gewonnen, solange er allein bleibt, solang ihm kein Erleben, Leiden, Genießen, Verlangen, kein FüHLEN zur Seite steht. Als reiner Gedanke wird er gleich wieder vom nächsten verdrängt, der mit gleichem Recht sagt: Interessiert doch eh niemanden, wichtig ist jetzt der Ausgleich zwischen der ersten und der dritten Welt, die Rettung des Rentensystems, die Verhinderung des IRAK-Kriegs oder auch die Weiterentwicklung der „Grünen Meme“ in den gelben Bereich hinein. Im übrigen zeigt deine Körperfettmessung katastrophale Werte an, kümmer dich lieber mal darum!

Diese, so normal wirkende Art und Weise des „Lebens aus dem Denken“, gerät schnell zu einer Hetze, einem ewigen Pendeln zwischen Anstrengung und Scheitern, zwischen Euphorie und Zynismus, und echte Befriedigungen sind selten – was sollte das auch sein? Kurze Momente des Erfolgs, wenn etwas erreicht wurde, das von solchen Wertsetzungen bzw. Autoritäten gefordert ist? Nur Momente, nur Gedanken – üblicherweise gedacht in einem Körper, dessen Brust- und Zwischenrippenmuskulatur kaum mehr beweglich und zu echter Freude physisch gar nicht mehr fähig ist.

…atmen!

Seit einigen Wochen assistiere ich Dienstags meinem Lehrer Hans-Peter Hempel im Kurs „Yoga für Anfänger“ an der Technischen Universität – es sind immer so zwischen 14 bis 24 Studentinnen und Studenten, junge Leute, bei denen eigentlich noch nicht so viel kaputt sein dürfte. Aber wie sie ATMEN, bzw. NICHT ATMEN! Es erschreckt mich – und doch erinnere ich mich, dass ich mit 36 ganz genauso war und alles ganz normal fand. (Dass es mir körperlich total beschissen ging, hatte ich zu ignorieren gelernt).

Es ist jedoch alles andere als „normal“, wenn man als Norm einen beweglichen und durchatmeten leibseelischen Gesamtorganismus setzt. Dieser würde nach einer Anstrengung, wie sie eine Yoga-übung darstellt, in einer Art Resonanz bzw. in einem Nachhall „automatisch“ ca. dreimal verstärkt einatmen. Und zwar deshalb, weil während der Anstrengungsphase üblicherweise eine gewisse Atemnot aufkommt (erst der weit fortgeschrittene Yogi hat gelernt, auch WÄHREND der Anspannung genügend einzuatmen und hat diese Reaktion nicht mehr nötig).

Statt dessen: Nichts! Bei bestimmt zwei Dritteln bewegt sich der Brustkorb praktisch gar nicht mehr. Sie sind auch allesamt sehr still: kein Stöhnen, kein hörbares Ausatmen – zu jeder eigentlich „natürlichen“ psychophysischen Lebensäußerung müssen sie erst langwierig ermuntert, gefordert, motiviert werden – und gelgentlich auch BERüHRT. Sonst wüßten sie vielleicht gar nicht, WO der Brustkorb ist, bzw. kennen ihn nur als Bild aus dem Spiegel, wenn sie kontrollieren, ob der eigene Body den Bildern aus den Medien ähnelt (…Waschbrettbauch? Bauch/Beine/Po? ).

Bin ich abgeschweift? Eigentlich nicht. Der Körper ist die Basis allen In-Der-Welt-Seins. Als Instrument der Wahrnehmung von Qualitäten kann er nur funktionieren, wenn alle seine Systeme frei funktionieren, in ständiger Interaktion mit der Welt und mit den eigenen Prozessen. Auf dieser Basis steht die Zwischenwelt der Empfindungen und Gefühle, die einerseits als körperliche Phänomene spürbar, andrerseits von der Welt des Denkens her beeinflussbar sind – Empfindungen („ahhhh, was für ein schöner Raum!“) eher weniger, Gefühle wie Zorn, Trauer, Sympahtie eher mehr.

Einem Menschen, der von Kind an in ein hypertrophiertes Denken hinein erzogen wird und dessen Körper- und Gefühlsebenen entsprechend verkümmert sind, dem bleibt nur das „rechnende Denken“, das Denken in Quantitäten und abstrakten Werten. Wobei für den, der im konkreten Einzelfall eigentlich nichts mehr spürt, abstrakte Werte nichtssagend und beliebig gegeneinander austauschbar sind. Ein diffuses Gefühl der Verweiflung ist das Ergebnis, gewisse Reste von Impulsen streben immer noch nach dem Guten/Wahren und Schönen, nach dem Angenehmen und Freudvollen, Nach Liebe, sonne, Wärme und Zärtlichkeit – aber ein übergroßer Teil des eigenen Wesens schneidet diese Impulse ab und sagt: Das gibt es nicht! Du träumst! Sei vernünftig! Und was dergleichen Teufelssprüche mehr sind.

Ich hör jetzt auf, denn die Arbeit ruft. Sollte ein lieber Leser jetzt meinen, mit dem, was ich hier schreibe, werde weder die Welt gerettet noch ein Staat gemacht, dann kann ich nur sagen: Wir haben ja schon eine Welt und einen Staat – von denen „gemacht“, die kaum mehr atmen und fast nichts spüren, die also hauptsächlich abstrahieren und berechnen anstatt mitzufühlen, zu sorgen und zu lieben. Zufrieden damit???

Diesem Blog per E-Mail folgen…

Claudia am 21. November 2002 — Kommentare deaktiviert für Fühlen, schlemmen, zu viel sitzen

Fühlen, schlemmen, zu viel sitzen

Die Wohnungssuche schreitet voran! Ich hab‘ etwas in Aussicht und recht gute Chancen, es auch zu bekommen. Mein erster Plan, die Wohnung direkt neben der jetzigen zu mieten, die seit längerem leer steht, war vor ein paar Wochen gescheitert, doch jetzt auf einmal bietet die Hausverwaltung sie mir DIREKT an – ohne Makler. Plötzlich hab ich freie Auswahl, aber mein Gefühl hat schon anders entschieden: nicht mehr der TOP-STANDARD eines grundsanierten Altbaus, sondern eine Wohnung als „Aufgabe“, zwar von der Mieterin modernisiert, aber doch so, dass für mich – SOFERN es überhaupt klappt – jede Menge zu tun bleibt. Einen wunderbaren Blick in die Weite bietet die Wohnung auch – ein echter Glücksfall.

Freu dich nicht zu früh, sagt mir ein lieber Freund. Wenn es sich dann zerschlägt, bist du enttäuscht! Was aber, das frag ich mich dann, sollen wir im Leben eigentlich fühlen, wenn wir uns dem Verlangen, der Sehnsucht, der Hoffnung verweigern, weil wir die Enttäuschung, die Traurigkeit, den Verlust scheuen?

Viel essen, gut essen und trotzdem abnehmen – wer wünscht sich das nicht? Und genau das erlebe ich seit etwa zwei Wochen! Seit ich im Mai mit dem Rauchen aufgehört hatte, war ich kontinuierlich schwerer geworden, so drei, vier Kilo, mit der Tendenz zum weiter wachsen. Das hat mir nicht mehr gefallen, bin also mal dem Hinweis aus einer Mailingliste gefolgt: Kohlsuppendiät! Das hört sich dermaßen absurd an, aber ich dachte: WENN ich schon sowas Irres mache wie eine Diät, dann kann es ruhig gleich was ganz Verrücktes sein! Natürlich hab‘ ich nicht „5 Kilo in einer Woche“ abgenommen, wie es der Umschlag des kleinen Buches „die magische Kohlsuppe“ versprochen hatte (sie meinten damit auch den Verlust an Wasser, der bei völliger Befolgung der Rezepte und weitgehendem Salzverzicht einsetzt). Aber ich hab‘ eine neue Weise des Essens kennen gelernt: warme Suppen am Mittag, richtig scharf statt besonders salzig, über den Tag dazu jede Menge Obst und/oder Gemüse, gelegentlich Fisch und Geflügel – also das ist wirklich eine Essweise, die mich zufrieden stellt. Und ich nehme täglich ab, tatsächlich, obwohl ich soviel esse wie sonst nie.

Was mir hauptsächlich in dieser Erfahrung aufgefallen ist: Wie sehr man doch gewisse Überzeugungen verinnerlicht hat, die gar nie im Bewußtsein stehen und deshalb auch nicht mehr hinterfragt werden! Man schleppt sie als Altlasten mit sich, sie bestimmen das Leben und man denkt, die Welt sei nun mal so – dabei schaffen diese überzeugungen ihre jeweilige Erfahrung!
So ist offensichtlich bei mir die Überzeugung sehr stark gewesen, eine „gesunde“ Ernährung, die auch noch zum Abspecken führt, sei in jedem Fall eine Form von Darben, von Sich-Zusammen-Reißen, von kontrolliertem Essen, das nie den tatsächlichen Appetit befriedigt. Vielleicht im schlimmsten Fall mal für ein paar Tage lebbar, aber gewiß nicht als Alltag! Für eine abstrakte Gesundheit und ein sowieso unerreichbares (ebenso ungesundes, bzw. verrücktes!) Hungerharken-Schönheitsideal ein viel zu hoher Preis.

Tatsache ist, ich hab noch selten so viel geschlemmt wie derzeit! Der trübe November macht echt Appetit, ich halte mich (mal versuchsweise) an keinerlei Mengen- und Zeit-Vorgaben, sondern esse, wann und wieviel ich Lust habe. Dabei erlebe ich wirklich jede Menge „Du sollst nicht-…“, die sich protestierend zu Wort melden, wenn ich etwa den dritten Teller Suppe verdrücke – ODER wenn ich schon eine Stunde später einen Obstsalat zubereite. Mein Askese-Über-Ich schlägt die Hände über dem Kopf zusammen – und ich nehme ab! Fühl mich dabei ganz wunderbar, denn schon zwei Kilo weniger ergeben ein Gefühl zunehmender Leichtigkeit. Mittlerweile hat auch dieses gesteigert Eßbedürfnis wieder deutlich nachgelassen.

Arbeiten und Sitzen

Immer noch bzw. schon wieder arbeite ich ungeheuer viel. Komme praktisch nicht mehr zu privaten Dingen, keine Mailinglisten mehr, kein Herumsurfen, lange schon kein Diary-Eintrag. Ein paar liebe Leute müßten Mail von mir bekommen, andere will ich eigentlich anrufen, die Gründung meiner Coaching-Gruppe zum hoffentlich nützlichen regelmäßigen Austausch (Freiberuflerinnen) schleppt sich auch so dahin und wartet auf meinen Einsatz – Himmel, es kann sich eigentlich nur noch um Stunden, wenige Tage handeln, bis sich der Dschungel lichtet!

Das sag ich mir und anderen schon ein paar Wochen lang, aber bisher hat es sich dann immer anders dargestellt. Nun ja, ich will ja umziehen, ich werde Geld brauchen, zudem sind meine Kunden allesamt wirklich angenehme Menschen, mit denen ich gern Kontakt habe – und trotzdem ist es manchmal heftig für mich. Im Grunde bin ich eine weniger „ausgelastete“ Gangart gewöhnt – vielleicht aber auch einfach mal urlaubsreif?

Manchmal macht der Körper nicht mehr mit. Das viele Sitzen auf dem tollen Grahl-Duo-Back-Bürostuhl, den ich mir für teueres Geld vor ein paar Jahren als letzte und beste Lösung zugelegt hatte, macht mich krank! Ich sitze offensichtlich so bequem, dass ich (erstmal) alles Physische vergesse – nur meine Wirbelsäule vergißt nicht. Über den Tag staucht ständiges Sitzen sie zusammen, was zunehmend unerträgliche Folgen zeitigt. Und ich MERKE es dann doch, es ist ja nicht so, dass es mir schlecht ginge und ich müßte mich fragen: Woher kommt das jetzt wohl? Nein, ich merke oft und oft über den Tag, dass es nun eigentlich reicht – und doch gibt es nun mal Zeiten, wo ich dieser Einsicht nicht folge. Bis es schlicht nicht mehr geht und es mich vom Stuhl weg treibt! Gestern hab ich den tollen Stuhl mal beiseite gestellt und einen schlichten Holzstuhl benutzt, es war eine Erholung. Da kann man nämlich gar nicht erst solange drauf sitzen.

Tja, die einfachen Dinge, die Basics, sind die interessanten Spielfelder, auf denen sich immer wieder etwas ändert, sich immer wieder Herausforderungen und Leiden zeigen, aber auch erstaunliche neue Erfahrungen machen lassen. Wohnen, essen, sitzen. Handeln, fühlen, das ganz Konkrete erleben – so komme ich zum Mittelpunkt der Welt.

Diesem Blog per E-Mail folgen…

Claudia am 17. November 2002 — Kommentare deaktiviert für Vom Wohnen

Vom Wohnen

Vom Wohnen

Es ist Sonntag. Der Tag, für den ich mir extra angewöhnt habe, nichts „Richtiges“ zu arbeiten, ganz gewiss keine Arbeit für Geld. Seither gibt’s für mich (endlich!) ein stinknormales Wochenende, spät, aber doch noch. Und kaum ist das Normalität geworden, gehts schon nicht mehr anders: selbst wenn ich – wie jetzt – plötzlich arbeiten WILL. Den ganzen Tag schon sag ich zu mir: jetzt klotz erstmal zwei-, drei Stunden ran, mach diesen Entwurf zur Website, wie versprochen – und DANACH kannst du ja dann Diary schreiben, in die Sauna oder ins Fitness-Center gehen, einen Spaziergang machen, lesen oder einfach abliegen und den atem spüren. Es ist genug Zeit dafür – danach! aus alledem ist aber nichts geworden: Weil ich es nicht über mich bekomme, heute am Sonntag ernsthaft zu arbeiten, und seien es nur zwei Stunden, wie ich es mir ausnahmsweise verordnet hatte. (Derzeit schaffe ich nicht alles in der Woche). So kann es gehen mit der Selbsterziehung: Man hat Erfolg, und dann ist’s auch wieder nicht recht.

*

Das Wohnung-Suchen hat noch nicht sehr ernsthaft angefangen. Bis Ende Januar will ich umgezogen sein, da ist es noch lange hin! Wenn ich in den Wohnungsanzeigen wühle, merke ich, dass ich innerlich noch nicht so weit bin. Da ist einfach keine Vorstellung, WIE ich wohnen will. Nach zehn Jahren wieder alleine zu leben, erscheint mir als die größtmögliche Veränderung – darüber hinaus auch noch kreativ an die Wohnungsfrage selbst heran zu gehen, überfordert mich.

Doch empfinde ich eine starke Veränderung in Sachen „wohnen“ gegenüber früher. auf einmal ist mir nämlich wichtig, WIE ich wohne. Mit fünfundzwanzig und fünfunddreißig war allein die Miethöhe und die Lage wichtig, der richtige Stadtteil mit „Anschlüssen“ an die richtigen Kiez-Öffentlichkeiten. (In Berlin hatte ich Anfang der 80ger „das Dorf“ entdeckt.) Und dann noch ein paar selbstverständliche Basiseigenschaften: genug Licht, genug Platz – ansonsten war ich kompromissbereit, Hauptsache, die Lage und der Preis stimmten. Im Grunde konnte man mein „mieten“ auch kaum „wohnen“ nennen, denn ich war damals eher selten zuhause, eigentlich ständig unterwegs. Oder mit dem jeweiligen Liebsten zusammen, jedenfalls nie allein.

Heute bin ich über’s Netz an meine Öffentlichkeiten „angeschlossen“, der Stadtraum spielt eher eine ästhetische, denn eine kommunikative Rolle: ich möchte kurze Gänge machen können, ohne depressiv zu werden, ohne immer nur miesepetrige Menschen auf den Straßen zu begegnen. Und ich liebe es locker, leger und informell. Die bedeutungsgeile Gestelztheit, die vom kontinuierlichen Besser-Verdienen kommt, ist mir ein Graus. andrerseits finde ich dieses Friedrichshainer „Szene-Viertel“ um Simon-Dach-Straße und Boxhagener Platz auch selber einen Zacken ZU schmuddelig: relativ viel Müll, alles voller Graffiti, viele Kneipen, viele Penner und Besoffene zwischen all den Studenten und Lebenskünstlern – und nur wenige Ältere, kaum Alte. Naja. So ist’s halt im „sozialen Brennpunkt“, Sanierungsgebiete im Umbruch waren immer so.

Was mich wirklich in der Gegend hält, ist der Blick in die WEITE, den ich seit den zwei Jahren in Mecklenburg nicht mehr missen will. Ich gehe nur fünf Minuten bis zu den S-Bahn-Geleisen und hab‘ den Blick auf die Skyline von Berlin, toll. Und noch ein wenig weiter die Spree, die Rummelsburger Bucht, die Halbinsel Stralau – komisch, dass mir „Gegend“ plötzlich unverzichtbar ist – noch vor zehn Jahren war ich es zufrieden, wie ein Maulwurf immer nur die Wände vor mir zu sehen – ich hab‘ ja eh nicht hingeguckt, sondern war immer „in Gedanken“.

Gut, soviel zur Gegend. Das Wohnen hat ja noch viel mehr Aspekte: Es beginnt mit dem Körper, geht weiter mit der Kleidung, dann kommen die Zimmer und ihre Einrichtung, die Gegenstände, mit denen ich mich umgebe – dann das Haus: In welche Himmelsrichtung öffnen sich die Fenster oder der Balkon? Das ergibt gänzlich unterschiedliche Lebensgefühle, man kann es gar nicht wichtig genug nehmen: Was soll ein Spätaufsteher mit einem Ost-Zimmer? Für mich aber wär‘ es langsam genau das Richtige!

Dann die Straßen: wie ist es eigentlich möglich, dass so viele Menschen DIREKT an lauten Verkehrsstraßen wohnen? Wie halten die das aus? Den Lärm, den Staub, den Gestank – die ganze Palette schädlicher Einflüsse scheint Hunderttausenden nichts aus zu machen. Hier im Gebiet ist es gar nicht einfach, eine relativ ruhige Bleibe zu finden – komplizierter noch, wenn man nicht in einen Seitenflügel oder ein Hinterhaus will, zumindest dann nicht, wenn man da nur die Rückseite des Vorderhauses und die Mülltonnen im Hof sieht. ans Fenster treten und einen Blick in „die außenwelt“ werfen – Himmel noch mal, darauf mag ich nicht mehr verzichten!

*

Wenn ich so daher plaudere, merke ich, dass meine Wünsche bezüglich des Wohnens doch schon sehr spezifisch sind: ein großer Multifunktionsraum gefällt mir weit besser als drei kleine Zimmer, ich mag hohe Decken und liebe die Gemütlichkeit der typischen Gründerzeit-Altbauten – aber zum Selber-drin-wohnen sind sie mir heute modernisiert weit lieber als „naturbelassen“. (Schön, das in diesem Leben noch mitzubekommen, nachdem ich eine so wesentliche Zeit als junge Erwachsene im Kampf gegen die „Luxus-Modernisierung“ zubrachte! Man sollte immer beide Seiten der Barrikaden kennen lernen…:-)

Ob das aber ALLES gewesen sein muss? Jahr um Jahr in einem „top mod. AB, Blk, teils abgez. Dielen, teils Laminat, großes WB u. Wohnküche gefließt“ bis an mein Lebensende ??? Oder mal was ganz anderes? Das ganz gemütlich, ohne Zwang und Termindruck zu erforschen, versteh ich unter „kreatives Herangehen an die Wohnfrage“ – und dafür brauch ich Zeit. Zeit, um herum zu wandern und Straßen, Plätze, Stadtteile anzusehen, Zeit, um Menschen zu besuchen, die in den unterschiedlichsten Situationen leben: im 21. Stock eines Plattenbaus mit Weitblick über Berlin, in einem Wohnwagen als Teil einer halblegalen Wagenburg, in einer 50ger-Jahre-Siedlung mit großem grünen Innenhof, in einem Dachgeschoss, einem Loft, einer Datscha in der Gartenkolonie, einem umgenutzten Bahnwärterhäuschen, in einer Ladenwohnung im Erdgeschoss – gewiss ist das nicht alles, was möglich ist.

Heute finde ich so eine Suche interessanter als die „Suche nach dem Sinn des Lebens“, die viele auf diese Seiten führt. Das Wohnen in all seinen Aspekten bildet ja die Schalen bzw. Schichten unseres Da-Seins, unseres Mit-Seins und In-Der-Welt-Seins – wie spannend, es auch als ein Teil des Selbst-Seins ganz bewusst zu erfahren! Solange ich allerdings jeden Schritt, jede Handlung, jede Regung und Überlegung nur in Bezug auf die Welt „hinter dem Monitor“ erlebe, ist Wohnen tatsächlich kein Thema.

Oder doch? Die Webdesignerin in mir erhebt Widerspruch gegen die Philosophierende – na, das wird ein Thema für ein andermal.

Diesem Blog per E-Mail folgen…

Claudia am 31. Oktober 2002 — Kommentare deaktiviert für Oktober-Nachrichten aus Klingers Welt: Wohnen, Yoga, Wahrnehmung

Oktober-Nachrichten aus Klingers Welt: Wohnen, Yoga, Wahrnehmung

Zum Beispiel das Wohnen: Die Wohnung in der Gärtnerstraße ist jetzt gekündigt, spätestens Ende Januar werde ich also anderswo wohnen, und zwar allein. Wieder allein nach zehn Jahren Zweisamkeit, das ist schon ein Abenteuer! Allerdings bin ich guten Mutes, dass ich mittlerweile über genug Routinen und zu meinem Leben passende Gewohnheiten verfüge, um nicht völlig aus der Form zu geraten, wenn ich es nicht selber will.

Da sich bei mir – mal abgesehen von der Auflösung der Wohngemeinschaft mit meinem liebsten Freund – kein bleibender Wunsch nach Ortsveränderung eingestellt hat und ich den Aufwand des Umzuges fürchte, neige ich dazu, eine leere Wohnung im selben Haus zu mieten: etwas kleiner und mit einem Zimmer nach hinten hinaus, und damit wesentlich ruhiger. Mal sehen, ob das klappt, morgen hab ich einen Besichtigungstermin.

Yoga: Ruhiger muss das Zimmer sein, weil ich mich entschlossen habe, nach 12 Jahren Praxis endlich selber Yoga zu lehren: diesen wunderbar diesseitigen ZEN-Yoga meines Lehrers Hans-Peter Hempel, der mir mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen ist. In der letzten Woche hab‘ ich ihn um die Erlaubnis gebeten, Anfänger anzuleiten, und er hat zugesagt, mich zu unterstützen. Das zweite Zimmer wird also ein Yoga-Zimmer, genau wie bei ihm! Genau wie er werde ich niemals anstreben, ausschließlich vom Yoga zu leben, und also in der Lage sein, mit ganz kleinen Gruppen von vier bis fünf Leuten zu arbeiten.

Gestern früh war ich dann zum ersten Mal in der TU, wo Hans-Peter in einer Sporthalle einen Anfängerkurs für die Studenten gibt. Es ist dort zwar eine recht große Gruppe, doch um zu lernen, wie die Stunden mit Anfängern ablaufen, ist es optimal. Lang war ich nicht mehr in einem solchen öffentlichen Gebäude und die fast militante Hässlichkeit der Umgebung, die absolute Lieblosigkeit, mit der die Räume ausgestattet bzw. mit dem Notwendigsten voll geknallt sind, hat mich schon erschüttert! Aber egal, als die 14 jungen Frauen und Männer vor uns auf ihren Matten lagen und Hans-Peter damit begann, übend, zeigend, redend und berührend die Grundlagen zu vermitteln, war es eine Yoga-Stunde wie jede andere: ruhig, konzentriert, lehrreich – das Buddha-Feld breitet sich überall aus, wo man es lässt.

Der physische Raum, das fällt mir immer mehr auf, ist in unserer Welt ein Problem-Bezirk. Das geht über öffentliche Straßen und Plätze mit ihren Verwahrlosungserscheinungen, betrifft sämtliche unter öffentlicher Verwaltung stehenden Einrichtungen (Behörden, Unis, Krankenhäuser…), betrifft aber auch viele ganz gewöhnliche, durchaus gepflegte Veranstaltungsräume: man sitzt unbequem, zu viele Menschen drängen sich auf zu engem Raum, es ist zu kalt, zu heiß, zu zugig, zu ungelüftet, zu verraucht, Kochgerüche durchwabern Orte, wo man sich eigentlich auf geistige Themen konzentrieren will – überall ist der Grund derselbe: die Menschen SPÜREN NICHTS mehr, sind völlig DICHT und in ihr Grübeln, Wollen, Fürchten, Meinen, Planen versponnen. Und die Räume sind nur die äußersten Hüllen, es geht weiter mit den Klamotten: wenn ich mir das ganze Programm der Billigklamotten in den Massen-Läden so angucke, vor allem ANFüHLE, dann ist das meiste aus Vollsynthetik oder Mischgewebe, unbequem kratzend, Allergien unterstützend, Schweiß treibend, Hautatmung verhindernd – aber weil es modisch aussieht und billig ist, ziehen die Leute freiwillig solche Folterklamottten an und gewöhnen sich schon früh daran, den virtuellen Schein („wie mich die anderen finden, wie ich wirke…“) über das Sinnlich-physische Sein zu stellen und Letzeres nach und nach ganz zu vergessen.

Dass dann auch der Körper selber langsam aus der Wahrnehmung gleitet und jeder Bezug zur eigenen Befindlichkeit abhanden kommt, bemerken viele erst dann, wenn es brennt, wenn eine richtige Krankheit daran erinnert: Hey, es gibt mehr zwischen Himmel und Erde, als dein medialer Input dich täglich träumen läßt!

Aber darüber könnte man endlos Bücher schreiben, die dann ja auch wieder nur in voller Ignoranz des Körpers gelesen werden. Das ist nun mal nicht die Welt des Denkens, es bedarf einer Praxis, die alle Aspekte des Menschen – Gedanke, Gefühl, Körper – wieder ins natürliche Zusammenspiel bringt. Für mich ist das ZEN-Yoga, für dich kann es etwas anderes sein, Hauptsache, es gelingt, dran zu bleiben, damit die Wirkungen sich auch entfalten können.

Claudia Klinger, 30.10.2002

Diesem Blog per E-Mail folgen…

Neuere Einträge — Ältere Einträge