Thema: Leben & Arbeiten

Claudia am 26. September 2002 — Kommentare deaktiviert für Luft holen, Kranke besuchen – und lästern nach der Wahl

Luft holen, Kranke besuchen – und lästern nach der Wahl

Seit gestern ist wieder ein wenig Luft. In den letzen Wochen hab‘ ich von früh bis spät „Webseiten geklopft“, keine Zeit mehr für irgend etwas anderes, kein Gedanke an eine Mailingliste oder an dieses Diary. Naja, ein bisschen schlechtes Gewissen, nun schon über acht Tage nichts Neues, ich glaub, das ist die längste Pause gewesen, seit das Diary existiert – und leider nicht wegen Urlaub!

Umso schöner, nun wieder den Kopf zu heben und zu sehen: Es gibt ein Leben neben den Aufträgen! Natürlich liebe ich meine Arbeit, finde es immer wieder faszinierend, aus dem Nichts eine Webpräsenz erstehen zu lassen, das „Home“ einer Institution, eines Unternehmens oder einer Person mit einem je ganz eigenen Gesicht. Aber wenn es zu dicke kommt, wenn mehrere gleichzeitig darauf warten, dass zumindest der Rohbau ihres neuen Heims im Cyberspace sichtbar wird, dann wird es für mich ein wenig eng – wo ich doch „offene Weite“ gewohnt bin!

Egal, es hat alles geklappt und jetzt geht es wieder ein bißchen gemütlicher zu. Zum ersten Mal seit langer Zeit plane ich sogar ein neues No-Commerce-Projekt, nämlich eine Website für meinen Yoga-Lehrer! Seit vielen Jahren schon bin ich nun bei ihm und immer hab‘ ich es vermieden, zum Thema Yoga eine eigene ernsthafte Seite zu machen. Als hätte ich gewußt, dass ich eines Tages dazu kommen würde, das Original zu verwebben: die Quelle darstellen – die Früchte müssen für sich selber sprechen.

*

Frau B. hab ich im Krankenhaus besucht. Sie ist schmächtig, kaum mehr von dieser Welt, dünn und durchsichtig die Haut, aber ihr Gesicht strahlt wie das einer 13-Jährigen. Fast ein engelhafter Anblick! Wie kann eine 87-Jährige krebskranke alte Frau so JUNG aus den Augen schauen?
Sie begrüßt mich freundlich, findet nichts dabei, daß wir uns nicht kennen und es keinen GRUND gibt, dass ich sie besuche. Gern erzählt sie aus ihrem Leben, auf Nachfrage auch von ihrem Krebs und ihren nächtlichen Schmerzen – ohne Scheu und Scham und ohne das aufdringlich rücksichtlose Vollabern-um-jeden-Preis, das soviele Alte und Junge auch unaufgefordert an den Tag legen, wenn man ihnen den Raum dazu läßt.

Fast zwei Stunden bleibe ich an ihrem Bett, fasse ihre Hände zum abschied, bin dankbar, dass SIE es ist, die ich als erste besuche. Ich will mit alten, Kranken und Sterbenden in Kontakt kommen – aber eine verbitterte und zu Tode geängstigte Person hätte mich zu anfang vielleicht doch abgeschreckt. Frau B. aber strahlt Frieden und Liebe aus – trotz aller Schmerzen. Über niemanden sagt sie etwas Böses nach, nicht eínmal, als sie mir erzählt, wie sie von der letzten Pflegerin zuhause bestohlen wurde. („Wer will denn das Leben einer 20-Jährigen mit einer anzeige belasten!“).

Leider versteht mich Frau B. kaum, altersbedingt ist sie stark schwerhörig. Eigentlich hatte ich gedacht, das würde mich nicht groß stören, denn in meiner Midlife-Arroganz war ich davon ausgegangen, dass ich kein Verlangen haben würde, mit einer Hochbetagten ein richtiges Gespräch zu führen. Erst jetzt wird mir das bewußt, jetzt, wo ich ihr gerne wenigstens ein paar Sätze daürber sagen würde, wer ich bin und warum ich hier bin.

Ich nehme mir vor, beim nächsten Mal zu erforschen, warum sie kein Hörgerät benutzt – im Moment jedenfalls trägt sie keines und schon am Telefon hat sie mich kaum verstanden. Vielleicht könnte ich eine Low-Tech-Lösung ausprobieren? Einen kleinen Verstärker mitbringen, dazu ein Mikro und Kopfhörer – so könnte sie sich Lautstärke, Höhen und Tiefen selber einstellen, während ich ins Mikro rede. Das wäre gewiß besser, als sie anschreien zu müssen!

***

Die Wahl ist ja nun rum, die Probleme sind geblieben. Ich hab‘ grün gewählt, damit Renate Künast die Agrarwende weiter betreiben kann. Was die großen Themen angeht, vermute ich, das alles so weiter geht wie bisher, wobei die wirtschaftliche Lage immer schlechter und schwieriger werden wird. Die Neigung, Problemen auszuweichen und Realitäten einfach nicht sehen zu wollen, ist hierzulande derart verbreitet, dass es noch viel Katastrophisches braucht, damit sich etwas ändert. Über den Wahlkampf haben sich ja viele aufgeregt, weil er so personalisiert und emotionalisiert ablief, anstatt echte Diskussionen zu den wichtigen Fragen zu befördern.

Tja, das ist so, weil die Mehrheiten das so wollen! Augen zu und weiter so. Wenn die Politiker wirklich von den PROBLEMEN reden würden und nicht ängstlich den Schlaf des Volkes schützen, dann würden sie eben einfach NICHT GEWÄHLT:

  • Wer will denn hören, dass wir in Zukunft weit weniger Wohlstand erwirtschaften werden und verteilen können als bisher?
  • Wer will denn wissen, dass für das soziale Netz in Zukunft jeder MEHR aufbringen wird müssen und dennoch WENIGER davon haben – also private
    Vorsorge treffen oder mit MEHR Unsicherheit leben.
  • Wer will denn wahrhaben, dass die Bedingungen, unter denen im öffentlichen Dienst hierzulande (noch) gearbeitet, geurlaubt, krank geschrieben und früh pensioniert wird, eine Götterwelt repräsentieren, die nicht mehr viel mit der Wirklichkeit der anderen Da DRAUSSEN zu tun hat? Und dass da eine zunehmende „Gerechtigkeitslücke“ besteht?
  • Wer breitet denn gern die ganzen erschreckenden Folgen aus, die der Bevölkerungssrückgang in den nächsten 30 Jahren unabwendbar haben wird??? (Die Kitas sind bereits reduziert, viele Grundschulen stehen schon leer – etwa in 2006 werden die Firmen die Lehrlinge suchen und nicht mehr umgekehrt – und dann kann man von Jahr zu Jahr immer besser beobachten, wie der „Knick“ in die produktiven Jahrgänge reinwächst und was das bedeutet…die Arbeitslosigkeit, das wird von manchen Politikern längst heimlich gedacht, kann man vor diesem Hintergrund einfach
    AUSSITZEN)

Nun ja, in diesem Diary werden wir die Fragen auch nicht lösen, zumindest nicht fürs große Ganze. Ganz individuell aber finde ich es mehr als angesagt, sich mal ein paar ernste Gedanken darüber zu machen, wie es in den nächsten 30 Jahren weiter gehen soll: WIR werden keine Renten bekommen wie die Rentner von heute – und auch die Riester-Rente wird uns nicht retten. Wie sollen wir also im alter künftig unser Dasein fristen? Und BIS WANN? Oder – mal auf ein anderes Gebiet geschaut – lohnt es sich z.B., wegen ein bißchen Ziehen in den Oberarmen oder irgend welchen Schmerzen in den Gelenken zu allerlei arzten zu rennen und Diagnosekosten von mehreren 1000 Euro auszulösen? Um heraus zu finden, dass es sich um irgend eine Form rheumatischer Beschwerden handelt, gegen die sowieso nichts auszurichten ist?

Wenn man mal anfängt, über den allgemeinen Wahnsinn zu schreiben, der bei uns noch immer als normal gilt, kommt man so schnell an kein Ende. Für heute muss es hier aber genug sein. Euch hab ich vermutlich sowieso schon die Laune verdorben – sorry, ein andermal geht’s heiter weiter, versprochen!

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Claudia am 02. September 2002 — Kommentare deaktiviert für Routine und Gewohnheit – Mangel und Fülle

Routine und Gewohnheit – Mangel und Fülle

„Zwei Wochen weg von allem, das kann ich mir gar nicht mehr vorstellen!“ Ich sage es so dahin, als sie mir von ihrem Urlaub auf Gomera erzählt, höre mich diesen so selbstverständlich klingenden Satz sagen und wundere mich. Was ist dieses „alles“, von dem ich nicht weg will, das mich hält, fasziniert, mir das Gefühl gibt, „am Ball“ zu sein? Zwei ganze Wochen nur Sonne, Meer, Wind, Natur – wär‘ das denn nicht wunderbar? Im Geiste bin ich dort, sehe mich barfuß am Strand, sehe mich über Felsen klettern, den herben Duft südlicher Gewächse atmen, den weiten Blick genießen, der ein Gefühl von Zeitlosigkeit vermittelt: vor einer Million Jahre sah es auch schon nicht anders aus, ewig brechen sich die Wellen, wirbeln Gischt auf, verlaufen und versickern auf dem Sand – was ist Zeit?

„Ich würde in ein Internet-Café gehen“, sag ich zu ihr, bin im Geiste am Ende meiner Wanderung angekommen, hab‘ im Hotel geduscht, das Salz von der Haut gewaschen, mir frische Sachen angezogen und fühle Tatendrang. „Da war ich,“ sagt sie, „zehn Minuten kosten drei Euro. Es ist unglaublich teuer!“.

Der Flug, so hat sie mir erzählt, kostet fast nichts. Ich fliege nicht, also bekomme ich die allgemeine Entwicklung der Flugpreise hin zum Taxi-Tarif nur am Rande mit. Was ich nicht benutze, bedeutet mir nichts, selbst wenn es kostenlos ist. Aber wieder wundere ich mich: Die physische Bewegung durch weite Räume wird immer billiger, und doch zieht es mich überhaupt nicht weg! Das Gefühl, anderswo sein zu wollen, kenne ich kaum noch, erinnere mich nur dunkel, dass es früher immer wieder mal aufkam – doch eigentlich nicht als Verlangen nach Erholung, es war pure Unzufriedenheit mit dem, was gerade ist. Langeweile, Sehnsucht nach Abwechslung, nach neuen, ganz anderen Erfahrungen, nach einem Bruch der Routinen und Gewohnheiten, in denen mein Alltag kreiste.

Lob der Routine

Auch jetzt kenne ich Routinen, doch anders als früher schätze und pflege ich sie. Jeden Sonntag besuche ich M., meinen Ex-Lebensgefährten. Wir gehen spazieren, er kocht, wir essen und plaudern, setzen uns dann vor die Glotze: Lindenstraße, Weltspiegel, Tagesschau, Tatort, Sabine Christiansen – jeden Sonntag dasselbe, ich kann mich richtig aufregen, wenn irgend ein blödes Sportereignis die Gewohnheit durchbricht. Andere Routinen sind nicht so leicht zu haben, ich muss regelrecht um sie kämpfen: zum Beispiel die Mittagspause. Immer noch ist die mal um zwölf, mal erst um zwei. Manchmal koch‘ ich mir was, meistens tun es ein paar Brote, beim Essen lese ich die Tageszeitung, genieße das provinzielle Wir-Gefühl, das aus dem Lokalteil der Berliner Zeitung dräut, genieße auch, dass mir nicht mehr das geringste schlechte Gewissen den Appetit verdirbt, verstoße ich doch regelmäßig gegen das spirituell korrekte „Wenn ich esse, dann esse ich“. Ha! Wenn ich esse, esse ich nicht nur, sondern lese auch Berliner Zeitung! So what?

Routinen und Gewohnheiten lassen sich erst dann in ihrer wohltuenden Wirkung richtig schätzen, wenn es die eigenen sind. Solange ich noch danach strebte, in all meinem Tun und Denken irgendwelchen Idealen nahe zu kommen, höchsten Werten zu genügen, wunderbaren Utopien am eigenen Leib zum Durchbruch zu verhelfen – solange war mir im Grunde alles mühsam, sperrig, widersprüchlich bis hin zum Stress. So entstandene Routinen sind dann nur einzwängende Schubladen, in die man sich selber gesteckt hat, um die Weltrettung oder die ganz persönliche Gesundung voran zu treiben. Alles andere als nachhaltig, immer prekär, immer in Gefahr, plötzlich in irgend einen Exzess zu explodieren, in dem sich das Verdrängte, nicht gelebte zum Ausdruck bringt, dabei alle Gewohnheit und Routine, aber auch Wachheit und Wohlbefinden in den Abgrund reißend.

Vorbei. Keine Lust auf Urlaub, keine Neigung zu Exzessen, keine Sehnsucht nach dem ganz Anderen – was sollte das auch sein? Ich wüsste nicht, von was ich mich noch befreien sollte, und es gibt auch nichts, was ich unbedingt HABEN muss. Manchmal, in psychophysisch bedingt schlechten Momenten, deren Entstehen ich meist sehr gut herleiten kann, ist da ein Erschrecken vor der Leere: Und jetzt? Was soll ich denn nun machen? Wenn mir nichts fehlt, wonach soll ich streben? Wo bitte ist der Kick? In solchen Augenblicken sind Routinen wunderbar, bieten sie doch die Möglichkeit, sich von derart nutzlosen Gedanken einfach abzuwenden. Nicht abzulenken, sondern bewusst abzuwenden. Tomaten klein schneiden, Salz, Pfeffer, Olivenöl, beiläufig die Krümel auf dem Kühlschrank und die Reste der übergelaufenen Milch auf dem Herd wegputzen – locker lässt sich so ein philosophisch daher kommendes, mentales Tief umschiffen, das vielleicht vom zu späten Essen am Vorabend rührt, oder einfach im allgemeinen Beharrungsvermögen der Psyche gründet, die ihrerseits gern alte Gewohnheiten festhält.

Speziell die Gewohnheit, aus einem vermeintlichen Mangel heraus zu denken, zu fühlen und zu handeln, ist nicht ganz einfach abzulegen. Selbst dann nicht, wenn klar ist, dass das „Konzept des Mangels“ ein Konstrukt ist, keine Wirklichkeit. Die spezifische Verengung des Bewusstseins, die auftritt, wenn etwas Erwartetes nicht „wie erwartet“ geschieht, lässt regelmäßig vergessen, dass erst die Erwartung das Mangelgefühl erzeugt, an dem dann gelitten wird. Wünsche, die einfach „ein-fallen“, sind so ungesund wie leerer Zucker und Weißmehl, denn sie vernebeln den Geist, der nicht mehr wirklich hinsieht, was geschieht. Ihnen aufzusitzen heißt, nach einer selbst erdachten Konkretisierung zu streben, Scheuklappen aufzusetzen und das ganz Bestimmte zu suchen, das scheinbar einzig und allein jetzt den Mangel zu beheben vermag – eine leidbringende Illusion!

Aber…

Himmel noch mal, wenn ich mich jetzt so lese, fällt mir auf, dass ich ungefähr dieselben Gedanken schon vor zwanzig, dreißig Jahren in allerlei erbaulichen Büchern fand. Sie stapelten sich bei mir, ich las immer gleich mehrere auf einmal, schwankend zwischen einem heftigen, aber nicht konkretisierbaren Verlangen nach etwas „ganz Anderem“, und dem Trotz und Ärger, den solche Reden in mir hervor riefen. Wollten die mir meine Wünsche ausreden? Meine unzähligen Wünsche nach Nähe und Zärtlichkeit, nach Anerkennung, Bewegungsfreiheit, Resonanz, nach nützlichem Tun, nach Frieden, Freude und Sinn? SO zumindest formuliere ich HEUTE diese Wünsche – damals waren sie sehr viel konkreter: DIESER Mann, und sonst keiner, Urlaub nur dort, wo Pinien stehen, Wohnen in Gemeinschaft, aber nur mit diesem und jener, sinnvolle Arbeit, aber bitte ohne Anstrengung und „Druck-Termin“, Jeans, aber nur von Levis – und Geld, nicht viel, aber so eine Art Grundeinkommen, zu überweisen vom Staat, den ich ansonsten abschaffen wollte.

Es lag nicht in meiner Macht, zu wählen, wie ich auf die Hinweise in den Büchern reagieren wollte. Zeitweise bemühte ich mich allen Ernstes, von eigenen Wünschen Abstand zu nehmen – zum Glück immer nur kurz, denn dies ist ein Irrweg, der nur Zeit verschwendet. In der Regel folgte ich meinem Verlangen und versuchte, all das zu bekommen, worauf es sich gerade richtete. Letztlich ließ ich mir dabei von niemandem reinreden, nicht wirklich, allenfalls formulierte ich die Begründungen für meine Bedürftigkeiten ein bisschen passender, passend zum Gedankengebäude, dem ich gerade huldigte. Kein Buch, keine Autorität und nicht mal ein geliebter Mann konnten mich jemals davon abbringen nach dem zu streben, was mir aktuell als „das Glück“ erschien, gaukelnd am fernen Horizont wie eine verheißungsvolle Fata Morgana.

Und immer wieder hatte ich Erfolg, bekam, was ich mir wünschte, erreichte meine Ziele, verwirklichte meine Vorstellungen von einem „besseren Leben“. Lebte in Gemeinschaft mit Freunden, bekam die Männer, die ich wollte, hatte meine Überweisung vom Staat, arbeitete selbstbestimmt an der Verbesserung der Welt im Kreuzberg der 80ger-Jahre, bekam jede Menge Anerkennung – und es ging immer so weiter, in neuen Varianten, auf anderen Ebenen, immer dieses Streben nach etwas…, ja WAS eigentlich? Jedes Mal, wenn ich ein Ziel erreichte, wenn ein Wunsch sich erfüllte, fühlte ich die Leere. Das, was mich in Bewegung versetzt hatte, dieses innere Brennen, wurde durch den Erfolg, das Erringen, die Ziel-Erreichung in keiner Weise beantwortet. Ja, ich sehnte mich schon gleich zurück nach einem neuen Streben, das sich auch schnell einstellte: der Verstand findet jederzeit unzählige Mängel, die es noch abzustellen gilt.

Aber steter Tropfen höhlt den Stein. Irgendwann begreift auch die hartnäckigste Psyche, dass sie in einem Laufrad strampelt, und immer nur im Kreis. Es kommt nicht wie eine Erkenntnis, als ein „Aha-Erlebnis“, sondern schleicht sich langsam, fast unmerklich ins Leben wie das „Fading Out“ der Farben bunter Kleider, die durch vieles Waschen langsam ausbleichen.

Nun sitz ich auf der Erde neben dem still stehenden Laufrad. Alles ist gut, alles ist da. Ich sehe die Fülle, die mich umgibt und die neuerdings sogar dazu neigt, mich mit allerlei schönen Dingen zu überschütten, für die ich nicht erst strampeln muss. Gewöhnungsbedürftig ist es, zu bemerken, dass auf einmal andere Menschen ihre Sehnsucht nach dem „ganz Anderen“ auf mich richten – aber verdammt noch mal, ich bin es nicht!!!! Bin allenfalls wie ein Kapitel in dem Buch, das nur der versteht, der es eigentlich nicht mehr lesen braucht. Aber ich lass mich nicht zuhause stapeln.
Zeit zum Schreiben

Es ist fast Mittag. Wenn ich einen Diary-Beitrag schreibe, meist ohne vorher zu wissen, über was, lasse ich alles Andere warten, rufe keine Mail ab, hoffe, das Telefon möge nicht läuten und mich aus dem Schreibfluss reißen. Wenn der Fluss an sein Ende kommt, egal ob das Thema „abgehandelt“ ist oder nicht, stelle ich das Geschriebene ins Netz, korrigiere noch mal Fehler, füge Zwischenüberschriften ein und wende mich dann den 10.000 Dingen zu, die auf mich warten. Es ist spannend, E-Mail nicht gleich morgens um acht abzurufen, sondern erst um elf! Da können dann so richtige Hämmer dabei sein, die „immediately Action“ verlangen, womöglich gleich mehrere auf einmal. Die arbeite ich dann in ausgesprochen guter Stimmung ab, fühl mich nicht gehetzt, empfinde weder Stress noch ein schlechtes Gewissen – und letztlich geht alles viel schneller und effektiver ab, als wenn ich schon in der Frühe angefangen hätte. So ist mir das Schreiben fast wie ein Gang ins Fitness-Center, nur auf einer anderen Ebene: Zeit wird nicht verloren, sondern gewonnen. Und noch manches mehr.

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Claudia am 30. Juli 2002 — Kommentare deaktiviert für Das Einfache ist nicht einfach, das Schwierige nicht schwer

Das Einfache ist nicht einfach, das Schwierige nicht schwer

Eine Website zu gestalten ist eigentlich kein Problem, wenn man die dafür notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten (und ein paar Jahre Erfahrung) voraus setzt. Kurze Ladezeiten, eine ansprechende Optik, der schnelle Überblick über die Inhalte – mehr will der Surfer erst mal nicht. Ist das irgendwie schwierig?

Webdesign hat mir von anfang an Spaß gemacht, um so mehr, da ich zu einem Zeitpunkt eingestiegen bin, als bei weitem noch nicht ausgemacht war, was aus dem Web einmal werden würde. Ich zögerte nicht, es zum Erwerbsberuf werden zu lassen, als mich auf einmal Leute fragten, ob ich auch „im auftrag“ arbeiten würde: aber sicher doch! Besser kann das Leben ja eigentlich nicht laufen, als wenn man für das bezahlt wird, was man sowieso gerne tut, dachte ich mir so. Einfach nur immer Ja sagen, kein Drücken, kein Sich-mühsam-anpreisen, kein direktes Konkurrieren (wer ein Klinger-Design will, will nicht irgend etwas anderes) – nur immer den eigenen Impulsen folgen, schreibend, gestaltend, kommunizierend. Dadurch teilt sich der Welt ganz automatisch mit, was ich kann und was nicht und wie ich die Dinge sehe. Wenn dann jemand kommt, der etwas Spezielles haben möchte, brauch‘ ich nur einen Kostenvoranschlag machen und loslegen. Wunderbar!

Es gibt allerdings einen Moment der Unsicherheit im Herstellungsprozess einer Site, den ich niemals „in den Griff“ bekomme: der erste Entwurf. Vorher sammle ich Material, schau mir Seiten aus dem Umfeld an, versuche heraus zu bekommen, was für Farben, Formen und Stile dem auftraggeber gefallen könnten (was gar nicht leicht ist, weil er das selber nicht weiß). Aber irgendwann sitze ich dann doch da, schaue auf die leere Fläche in der Größe einer Webseite und schiebe ein Logo hin und her oder sonst etwas, was gerade als minimaler ausgangspunkt dienen mag. Jetzt „denke“ ich nicht mehr, sondern schalte auf „fühlen“ bzw. spüren um. Auf der leeren Seite tu ich das, was alle Lebewesen überall tun: Leiden meiden und Freude suchen. Genau wie sich ein Satz holprig anhören, eine Formulierung unglücklich wirken, ein absatz sich schmerzlich in die Länge ziehen und unendlich langweilen kann, so enthalten auch die einzelnen Elemente einer Seite – Farben, Formen, Bilder, Textblöcke – ihre gefühligen aspekte, die es „sprechend“ einzusetzen und auszugleichen gilt.

Wer das diskursive Denken nicht abschalten kann, kann nichts gestalten, allenfalls vorhandene Werke mehr schlecht als recht nachahmen. Als letztes Mittel schwebt genau das als Möglichkeit vor dem Gestalter, dem (noch) nichts eingefallen ist – diese angst geht dem ersten Entwurf jedes Mal voraus, selbst wenn sie einem kaum mehr auffällt, weil man an sie gewöhnt ist wie an Nachbars stinkenden alten Hund.

Persönlich erlebe ich diese Angst nicht direkt als Angst, etwas in mir verweigert sich diesem Gefühl. Statt dessen erscheint es als ein Hinauszögern, als schier endloses Vor-mir-her-Schieben dieser Gestaltungsaufgabe. Das wirkt durchaus so verrückt, dass ich nicht darüber hinwegsehen kann. Immerhin verzögere ich etwas, das ich „eigentlich“ gerne tue! Irgendwann findet diese Phase ihr natürliches oder von meinem Zeitplan verordnetes Ende und es wird Ernst: Ich sitze vor der leeren Seite, schiebe ein Logo hin und her oder sonst etwas, versuche es mit dieser oder jener Form, teste eine Farbe an, probiere eine bestimmte Raumaufteilung, dann eine andere…

…und wenn das so eine halbe Stunde gegangen ist, kommen auf einmal „Ideen“ (bzw. fallen ein) – ich schreibe sie in anführungszeichen, weil sie sich keinesfalls rein mental ins Spiel bringen. Eher sind es heiße Wünsche, Empfindungen heftigen Verlangens: hier MUSS einfach noch ein Rot hin, damit das andere nicht so alleine klotzen kann! Und da oben ist ein Loch im Raum, das auf keinen Fall so bleiben darf – jetzt aber sieht alles schrecklich bieder aus, um Himmels Willen, da muss ein Bruch rein, eine Irritation, ein bisschen Schmerz für den Betrachter, der sich dann umso besser auf dem warmen runden Orange da drüben wieder erholen kann….

Es spricht für die Verrücktheit der Gesellschaft, diese Form von Kreativität als schöpferische LEISTUNG bestimmter Individuen in den Himmel zu heben. Und richtig peinlich wird es, wenn Einzelne mit diesem gewissen Ich-der-Kreative, ICH-die-Künstlerin-Gestus auftrumpfen. Ich vermute mal, das sind meistens Leute, die entweder zu den geschickten Nachahmern gehören, oder solche, die gar nicht wissen, was sie (nicht) tun, dumm genug, um sich das Geschehen und die Ergebnisse als „Leistung“ anzurechnen, nicht bemerkend, dass alles „von selber“ geschieht.

Im kreativen Prozess muss man nämlich nichts leisten: keine Kraft einsetzen, keine großen anstrengungen, nicht kämpfen, nicht dominieren und sich durchsetzen, auch nicht intellektuell brillieren, im Gegenteil: man muss sich los lassen, alles ausprobieren, was so „ein fällt“, nicht urteilen, einfach nur spielen und fühlen, fühlen, fühlen – zur Saite werden, zum Resonanzboden, der auf verschiedene auslöser unterschiedlich reagiert. Und dann eben einfach reagieren, das Ergebnis als neuen Impuls erleben, wieder spüren, wie es sich JETZT anfühlt – die einzige „Leistung“, wenn man es unbedingt so nennen will, ist die Konzentration, das Fokussieren der aufmerksamkeit auf diese Resonanz und sonst gar nichts.

OB da etwas geschieht, WaS da geschieht, ob etwas dabei heraus kommt (?) oder doch nicht – letztlich können wir das nicht vorher wissen, es ist immer eine art Zitterpartie. Gott lob nur für den Teil des Geistes, der noch darüber grübelt, ob der auftraggeber das mögen wird, ob der Termin einzuhalten ist, ob nicht all dieses ausprobieren und Herumspielen lange schon den veranschlagten Zeitrahmen sprengt – aber genau dieser Teil ist ja vorübergehend von der Bildfläche verschwunden, wenn der kreative Part aktiv ist!

Um 90 Grad gedreht

So, es ist jetzt halb drei, die Hitze draußen ist gewaltig und von Minute zu Minute wird es schwüler. Mir geht’s dennoch ausgesprochen gut, denn heut‘ hab ich mich spontan aufgerafft, meinen Schreibtisch umzustellen – einschließlich des ganzen Computer-Equipments, das da dran hängt. Alles um 90 Grad nach links gedreht, so dass ich jetzt mit dem Rücken zur Wand sitze – und nicht mehr zur Tür! Schräg rechts ist jetzt das Fenster, gerade aus ein kleiner Tisch mit drei Buddhas und Blumenstrauß, links die immer offen stehende Tür, ich kann ein Stück weit in den Flut sehen.

Was für ein gutes Gefühl, nicht mehr dieses energetische „Loch“ im Rücken zu spüren, das ich mir seit Jahren freiwillig zumute. Und nicht etwa aus Unwissenheit – jeder weiß schließlich Bescheid, was das „Mit-dem-Rücken-zur-Tür-Sitzen“ angeht – sondern aus Hybris: allen Ernstes hab‘ ich angenommen, ich könne mich gewaltsam umgewöhnen, das Phänomen ignorieren, das Unwohlsein „aussitzen“ und so im Lauf der Zeit zwingen, mangels Beachtung einfach zu verschwinden. Weit gefehlt, es hat sich keinen Deut verändert, das bemerke ich jetzt, wo es verschwunden ist. Wie schön, wenn der Schmerz nachlässt!

Das Einfache ist nicht einfach und das Schwierige nicht schwer. Je älter ich werde, desto klarer wird das. Eine Kampagne planen und zwanzig Mitarbeiter leiten ist einfacher, als im eigenen Zimmer eine transparente Ordnung zu erhalten, die nicht nur aus dem Kopf kommt, sondern sich rundum gut anfühlt. Keine überflüssigen Dinge horten und alles belastende Zuviel vermeiden ist weit anspruchsvoller als das schlichte Powerplay, mit dem man in der Gesellschaft „etwas wird“. Zustände analysieren, Einfälle auswerten, Vorgehensweisen planen, umsetzen und kontrollieren, berechenbare Ziele anstreben und erreichen – man glaubt viel zu lange, das sei es, was das Leben für uns bereit hält, was die Welt von uns will. Dabei ist es nichts anderes als die Ideologie des Funktionierens: alles muss flutschen. Bau mit am großen Programm, sei innovativ, schaff dein ureigenes „Feature“, setze es am Markt durch und du wirst unsterblich sein – ein Lacher! Morgen wirst du durch das Feature deines Konkurrenten ersetzt, das alles, was du kannst, weit besser und schneller zustande bringt – und warum auch nicht? alles, was berechenbar ist, ist letztlich langweilig und menschlicher Befassung nicht wert – wir wissen schon, warum wir das Funktionieren ganz gern den Programmen und automaten überlassen!

Richtig spannend, wirklich abenteuerlich wird das Leben erst, wenn keine Ziele mehr locken und der Blick endlich frei wird. Frei für das, was immer schon da ist, übersehen, unbemerkt: die unendliche Weite des Augenblicks. Ziele, Wünsche, Vorhaben können sich ja nur auf bereits Bekanntes richten; meist sind es die öden Ziele der Gier, das immer gleiche Haben- und Absichern-wollen.

Das Unbekannte zeigt sich erst, wenn wir „genug davon“ haben, wenn wir uns selbst nicht mehr in den Mittelpunkt der aufmerksamkeit drängen.

So einfach. So schwer.

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Claudia am 31. Mai 2002 — Kommentare deaktiviert für Wenn die Worte versiegen: Urlaub im hier & jetzt

Wenn die Worte versiegen: Urlaub im hier & jetzt

Seit Tagen bin ich unfähig, eine Zeile zu schreiben. Setze mich – wie gerade wieder – morgens vor den PC, beginne einen Halbsatz, starre auf die paar Worte, die die Seite verunreinigen wie Fliegenschiss, und vergesse, was ich sagen wollte. Oder ich vergesse es nicht, doch es kommt mir auf einmal lächerlich vor: Worte, mehr Worte, noch mehr Worte – wozu eigentlich? Schreiben ist Abstand halten vom Leben, und wenn es gut gelingt, ziehe ich auch andere hinab ins Schattenreich reiner Vorstellungen, dieses farblose „Leben anstatt“, nachdem wir alle so süchtig sind.

Ich glaube, es war am Montag, als ich mich mal wieder zwischen sechs ungefähr gleich wichtigen bzw. unwichtigen Aktivitäten nicht entscheiden konnte. Eins nach dem anderen taucht dann vor dem inneren Auge auf und eine Art Suchscheinwerfer checkt meine Gefühle zur Sache: hab ich LUST darauf? Winkt eine wie immer geartete Freude? Kann ich wenigstens einen Ehrgeiz befriedigen? Ist da vielleicht eine Angst, die mich antreibt? Und wenn keinerlei Resonanz erfolgt, dann wird das nächste Thema eingeblendet und ganz genauso auf Handlungsbedarf untersucht. Dann das ganze wieder von vorne, mit der ersten Möglichkeit beginnend, es erinnert mich ans TV, wenn die Aktienkurse am unteren Bildrand durchlaufen, um den einen oder anderen Zuschauer zur Kaufentscheidung zu verlocken.

Mehr als eine diffuse Angst im Hintergrund, die mir zu Recht sagt, ich müsse ja doch irgend etwas tun, wenn mir mein Berufsleben mit all seinen Einkommenschancen noch etwas bedeutet, spüre ich nicht. Und auch diese Angst ist kaum ein Gefühl, eher ein Gedanke, ein Pflichtgedanke, der zur inneren Einrichtung gehört wie das Kaffee-Service mit den röhrenden Hirschen irgendwo unten im Schrank, das man nicht wegzuwerfen vermag, solange die alte Tante noch lebt.

Was ist nur los mit mir? Immer öfter zeigt sich mir die Welt auf diese Weise, als ein beliebiges Sammelsurium von Plänen und Pflichten, die ich irgendwie sortieren soll, Prioritäten setzen, erfolgreich abarbeiten, und dann? Das nächste bitte! Ich kann zusehen, wie ich ohne Not neue Vorhaben ins Leben rufe, mich hier oder dort zu diesem und jenem verpflichte, ohne dazu gezwungen zu sein, ja, oft sogar, ohne dafür bezahlt zu werden – warum tu‘ ich das? Wenn mir dies alles sowieso schon als seltsames Schattenreich aus Zeichen und Bildern erscheint, warum setze ich immer noch eins drauf?

Vielleicht ist es besser, mich vom Monitor zu entfernen? – so dachte ich jedenfalls am Montag morgen, stand vom Stuhl auf, öffnete die Balkontür, blickte in den wolkigen Himmel, atmete ein paar Mal tief durch und setzte mich auf den Boden. Mich selber aussitzen, einfach abwarten, bis sich das Kopfkino beruhigt hat, in der Hoffnung, dass sich dann alles wie „von selbst“ sortieren werde – so ungefähr hatte ich es mir vorgestellt.

Aber weit gefehlt! Mir schien, als beschleunigten sich die Gedanken noch, nun, da ich ihnen freie Bahn eingeräumt hatte. Zu den sechs anstehenden Arbeiten fielen mir prompt noch fünf andere ein, dazu die unzähligen Kleinigkeiten, E-Mails, die geschrieben werden müssen, anstehende Korrekturen an verschiedenen Webseiten, Überlegungen, ob ich nicht diese oder jene Seite lieber löschen sollte, anstatt immer wieder veraltete Links zu erneuern, Erinnerungen an abgebrochene Gespräche, als ich selber oder mein Gegenüber plötzlich in Aktivitäten versackt war, ja, und natürlich sind da noch die Projekte, meine Werbe-Seite ist nun echt mal fällig…
Und dann – es gibt ja ein Leben neben der Arbeit! – all die Gedanken ans Elend der Welt, Israel und die Palästinenser, Kampf gegen den Terror, Saddams Massenvernichtungswaffen, Kürzungen im Berliner Haushalt, Streiks, steigende Arbeitslosigkeit, Entlassungen, Insolvenzen, Globalisierung, Wahlkampf – oh Gott, wer rettet mich davor, nun auch noch in diesen Themen-Ozean zu versacken?

Nichts und niemand. Während das Kopfkino zu Hochform aufläuft, wird mir auf einmal klar, dass das immer so weiter gehen wird. All diese Gedankenbits werden sich weiter überschlagen und gelegentlich wird mich etwas davon in Aktion versetzen. Nicht, weil ich etwa sinnvoll Prioritäten setze, sondern weil der Reiz, die Idee, oder auch das, was droht, gerade besonders eindrücklich scheint, jedenfalls eindrücklicher als das zuvor oder später im Focus der Aufmerksamkeit befindliche. Nach außen mag das durchaus wie „Prioritäten setzen“ wirken – umso leichter, als ja doch niemand zuschaut, denn jeder ist mit dem eigenen Kopfkino beschäftigt. Tatsächlich ist da nichts außer einem Getrieben-Sein, eine seltsame Unruhe, die sich als Langeweile manifestiert, wenn man sich – warum auch immer – mal nicht dem Gang der Dinge tätig in die Arme werfen kann.

Ich kann die Augen nicht mehr davor verschließen: Was ich tue oder lasse, was ich denke und schreibe, tu‘ ich zu großen Teilen nicht aus guten Gründen (Geld, Ruhm, Ehre, Welt-Retten), nicht einmal, um einem eigenen Dämon, einem Hobby, einer Marotte zu folgen, sondern ich rede, schreibe, plane, mache meistens deshalb, weil ich nicht anders kann, weil gar keine Alternative zur Verfügung steht. Aufhören ist undenkbar, denn es gibt kein Diesseits des rechnenden Denkens, allenfalls Pausen, Entspannungsübungen, kleine Fluchten – allesamt dadurch gerechtfertigt, dass sie „notwendig“ sind, um den Status Quo zu erhalten, das Dasein „um-zu“: wenn man jeweils am Ziel angekommen ist, ist dort gar nichts, nichts außer der nächsten Aufgabe.

„Du spinnst!“, sag‘ ich mir, bzw. sagte ich mir am Montagvormittag, als ich so auf dem Boden saß und mich ernsthaft fragte, ob ich denn SO noch Jahrzehnte zubringen will: als Reality-Zapper ohne echtes Engagement, ziellos leer laufend im rasenden Stillstand.

Nun, ich wollte es ja „aussitzen“: in meinem Kopfkino sitz‘ ich immerhin in der ersten Reihe. Einfach die Gedanken in aller Gelassenheit und ohne Bewertungen wahr nehmen – irgend wann würde der Strom schon ruhiger werden, nach und nach langsamer fließen, vielleicht gäbe es dann Momente der Stille, in die – toi toi toi! – visionsartig einfallen würde, was wichtig und richtig ist. Mehr noch: Was LEUCHTET, was warm und farbig das Herz berührt!

Denkste! An diesem Morgen hatte ich bereits drei Tassen (Pötte!) Milchkaffee intus, dazu bestimmt schon zehn Zigaretten – auf nüchternen Magen, versteht sich, ich frühstücke normal erst mittags. Mein Herz schlug schneller, ich zappelte herum, wippte mit dem Fuß, zwirbelte die Haut am Fingernagelbett bis es weh tat; es drängte mich, nun endlich aufzustehen, mich wieder „ins Cockpit“ zu setzen und mir eine anzustecken, damit der kurze Nikotin-Flash wenigstens für einen Moment fragloses Wohlgefühl erzeugen möge: Ohhhhh, Einheit von Körper und Geist! Dass meine Bronchien von dieser Art Einheit gerade wahrhaftig genug hatten, war zu hören und zu fühlen, aber offensichtlich spielte das keine Rolle.

Warum das alles? Und wie lange noch? Ich war auf einmal ziemlich entsetzt. Nicht, weil ich mich entgegen aller Vernunft mit Giften beschädige, auch nicht, weil ich vor irgendwelchen Lehrern, Partnern, Weltbildern oder hübschen Gedankengebäuden über ein gesundes Leben in einer besseren Welt gnadenlos versage – nein, ich sah auf einmal die Sinnlosigkeit, das Immer-Weiter-So, das Wiederholen des Immer-Selben.

Nichts von all den vielen Dingen, zwischen denen ich hin- und hergerissen bin, haut‘ mich noch wirklich vom Hocker. Nichts mehr lässt mich fasziniert den Spuren folgen und jeden Einsatz bringen. Nichts scheint mehr so drohend, dass es mir einen richtigen Schreck, eine ordentliche Angst einjagen, mich also in Bewegung versetzen könnte – und dennoch bin ich immer in (mentaler!) Bewegung, MUSS in Bewegung sein, muss ständig zwischen den 10.000 Dingen wägen und wählen. Kann vielleicht – als einziger Notnagel – darüber schreiben, um mich wenigstens ein bisschen als Mensch zu fühlen, als GANZES, das zumindest in der Lage ist, die Lage zu SEHEN, in der es da zappelt.

Das immerhin war noch möglich. Ich sah mich auf einmal ganz klar: Fast immer „Probleme bedenkend“, darüber redend, lesend und schreiben. Sicher, ich mach‘ auch Yoga, gehe sogar ins Fitness-Center, mag Spaziergänge, – aber das Gefühl des „Heimkommens“, das mein Yogalehrer nahe legt, wenn wir uns auf den Körper konzentrieren, fühle ich eher dann, wenn ich mich an den Computer setze. Das ist der Ort, von dem aus ich „meine Welt“ gestalte, erhalte und verwalte, wo mir all‘ meine Ressourcen und die vieler anderer zur Verfügung stehen, wo ich „in Kontakt bin“, zumindest „der Möglichkeit nach“, eben so, wie das Virtuelle in diesem Leben vorhanden, bzw. nicht vorhanden ist und trotzdem voller Kraft: der Kraft nämlich, alles andere restlos zu verschlingen.

Fühlt Euch nicht auf der sicheren Seite, ihr Freunde des Buches und der „Papers“. Sich zurück lehnen und in einen interessanten Essay versinken, auf der Couch liegen und die Welt über einem vielschichtigen Krimi vergessen – auch das ist kein Leben, sondern ist „Lesen über das Leben“. Es braucht keinen Computer, um sich im eigenen Kopf zu verlieren – ich mach’s auch gern per Buch, wie meine Leseliste beweist.

Am Montag jedenfalls hatte ich plötzlich keine Lust mehr auf die geschriebene, gemeinte, erzählte und gezeigte Welt. Ich schaltete den PC aus und räumte ein bisschen das Zimmer auf. Staub saugen, Papierkorb leeren, Tabak, Zigaretten und Aschenbecher entsorgen, Müll runter bringen – alles freute mich, was ich anfassen, riechen und spüren konnte. Selbst Geschirr spülen macht seither Spaß! Die Farben draußen scheinen kräftiger, das Licht kommt heller durch die Wolken, der Himmel ist blauer und die Wolken sind weit dramatischer als ich es gewohnt bin. Wenn ich das Haus verlasse, bestimmten die Füße, wo es lang geht – und am Computer komm‘ ich seit Tagen kaum noch vorbei. Musste mich heut‘ morgen richtig zwingen, es wieder einmal zu versuchen: Drüber schreiben, statt selber leben.

Langsam frag ich mich: Was wird aus mir werden, wenn ich mich der Zeichenwelt dauerhaft entfremde? Wenn das nicht nur eine Pause, eine Art Spontanurlaub im Hier & Jetzt ist, sondern sich eine große Veränderung ankündigt? Ohne Tabak und ohne die kontinuierlichen Koffeinschübe von früh bis spät fühl‘ ich mich deutlich zu wach zum arbeiten, zu spritzig für dieses reduzierte Herumsitzen und in die Tasten tippen, das ich gerade wieder betreibe, damit Ihr nicht glaubt, ich sei verstorben.

Aber selbst wenn alle das dächten, ja, wenn es wahr wäre, wär‘ das denn irgendwie schlimm?

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Claudia am 15. Mai 2002 — Kommentare deaktiviert für Die ganz normale Korruption

Die ganz normale Korruption

Schon im Wort selber schwingt Entrüstung mit: KORRUPTE Politiker! Kann man das auch ganz emotionslos sagen? So wie „Baugenehmigung“ oder „Evolutionsvorsprung“? Eher nicht, beim Aussprechen oder Niederschreiben stellt sich im Gegenteil die Gier ein, noch eins drauf zu setzen: Widerlich-korrupte Politiker-Bande! Schamlose Selbstbereicherung! Übelster Spendensumpf! Und je mehr man um Worte ringt, desto größer wird die Entrüstung. Die ansonsten belächelten Schlagzeilen der BILD-Zeitung können jetzt gar nicht groß genug sein, gewaltige Lettern schreien die eigentlich nie richtig neue Wahrheit quer über die Straße: KORRUPTION! Und auf einmal ist das gut so. Weiter → (Die ganz normale Korruption)

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Claudia am 06. Mai 2002 — Kommentare deaktiviert für In der langen Weile

In der langen Weile

Alles blüht, auch die Bäume direkt unter meinem Fenster im zweiten Stock. Der Duft der vielen Blüten, der unscheinbaren genauso wie der der in Schönheit auffälligen, hat etwas Verstörendes, Aufrührendes. Er trifft mich in einer Tiefe, die vom Denken nichts weiß. Die unermüdliche Großhirnrinde, die es einfach nicht schafft, sich heraus zu halten, versucht trotzdem, die Botschaft zu übersetzen: Hey, es gibt ein anderes Leben! Das RICHTIGE Leben, von dem das deine nur ein schwacher Abklatsch ist. Der Regenwurm, der sich genießerisch durch die feuchte Erde wühlt – welche Intensität mag er als reines Freß- und Ausscheidungswesen spüren, ungetrübt von Gedanken und Aufgaben, ohne Zukunft? Oder die Krähe, die mit elegantem Schwung auf der Laterne landet und die Passanten beobachtet, ob sie nicht etwas fallen lassen – sie kennt keine Zweifel, keine Bedenken, keine Langeweile, sie weiß, was sie tun muss und es macht ihr sichtlich Spaß.

Die Düfte des Frühlings lassen mich ahnen, wie es wäre, kein Mensch zu sein. Oder ein Meister des DAO, der tut, was kommt, und gewiss nicht frühmorgens die innere To-Do-Liste abklappert, alles „in Erwägung zieht“, nach Dringlichkeit einstuft und Gründe sucht, dies alles noch ein bisschen weg zu schieben – weg? Wohin? Vor allem: wofür?

In diesen Frühlingstagen fühle ich die Absurdität meines Verhaltens mehr als sonst. Freiheit – so scheine ich es mit der Muttermilch eingesogen zu haben – ist die Abwesenheit von Zwang. Zwang ist alles, was man tun MUSS, und letztlich ist fast alles Tun darauf gerichtet, diese Zwänge zu „erledigen“. Dabei ist es letztlich egal, ob ich die einzelnen Aufgaben gerne tue oder nicht. Oft genug ist es mir gelungen, genau das zu „verkaufen“, was mir – als reines Tun betrachtet – die größte Freude macht. Und jedes Mal kann ich sehen, dass die Verbindlichkeit selbst, das Versprechen „Ja, ich werde das tun“ diese seltsame Haltung aufruft, die sich wie eine Hürde vor die Dinge stellt, mich vom Leben „im Fluss“ trennt.

Was ist das? Kann ich irgend etwas tun, um es zu verändern? Bis jetzt sieht es nicht so aus, ja, es wird immer weniger wahrscheinlich, je mehr ich mich in das Geschehen versenke. Ich lerne von den Erfolgen, die mein Herangehen zeitigt, lerne, dass es SO nicht geht. Immer wieder erreiche ich nämlich den „Freiraum“: alles Wichtige ist abgearbeitet, nichts drängt mich – und dann? Dann kann ich zusehen, wie mein innerer Arbeiter sich neue Aufgaben ausdenkt, wunderbare Vorhaben und Projekte, die sogar echte Chancen auf Verwirklichung hätten, wenn… ja, wenn ich nicht erkennen würde, dass hier gerade neues Material für die To-Do-Liste entsteht, das morgen ganz genauso, wie das eben erst „erledigte“, etwas sein wird, das ich ganz gerne noch ein wenig vor mir her schiebe.

Also sitze ich es aus, verharre in der langen Weile, öffne vielleicht mal die Balkontür und schaue in die Welt „da draußen“: Hm, naja, nichts lockt, nichts fordert, nichts ängstigt, ich stehe da, erlebe das Wetter, höre die Geräusche der Stadt – und bald schon sagt eine innere Stimme: Und was jetzt? Ich schließe die Tür also wieder, setze mich vor den Monitor, ein Doppelklick auf die „Netzwerkverbindung“ öffnet das Tor zur virtuellen Welt. E-Mails rieseln herein, Werbung und Viren fallen der Entfernen-Taste zum Opfer, die verbliebenen Nachrichten überfliege ich – da schreibt mir jemand, den ich nicht kenne, etwas, das ich nicht verstehe. Warum sagt er mir das? Was will er? Warum meint er, mir das berichten zu müssen? Ich klicke auf „Antworten“ und beginne, eine halbwegs freundliche Nachfrage zu formulieren – mitten drin erinnere ich mich, dass ich BIN, und dass ich gerade wieder eingeschlafen war. Warum um Himmels Willen tippe ich Mails an unbekannte Menschen, die mir unverständliche Dinge mitteilen? Klick und weg, meine angefangene Botschaft verschwindet im Nichts – und ich sitze ebenfalls wieder in einer Art „Nichts“ fest, in dieser seltsamen Ratlosigkeit, die mir dennoch als persönlich wachste Wachheit erscheint. Unangenehm, ohne „Linie“, das dräuende „ES GIBT“ des Seins, das Gewahrsein der schieren Eksistenz – ach, es in philosophische Worte zu packen ist auch nur ein kurzes Amüsement, das mich keinesfalls rettet.

Also wieder aufgestanden, ein wenig gehe ich im Zimmer umher, schau mal rüber, was mein Lebensgefährte gerade tut. Er liest und hat offensichtlich in der nächsten Zeit auch nichts anderes vor. Oh ja, Bücher sind die schönste Form der „Rettung“. Mangels einer irgend wie gearteten „Lösung“ des zwanglosen Daseins im Nichts verabschiedet man die Aktualität zugunsten einer guten Geschichte, in der man sich ganz verliert. Zumindest das verliert, was sich langweilt, das immer fragt „und jetzt?“ Um aber lesen zu können, bedarf es physischer Ruhe und guten Lesestoffs, durch dessen Zeilen und Seiten der Charakter des „Nur-Zeit-Totschlagens“ nicht allzu deutlich hervorschimmert. Also vielleicht mal ein Spaziergang um den Block – oder das Fitnetss-Center, das Laufband, das mir „Bewegung“ vermittelt, und danach die Sauna, die durch die schiere Hitze den Körper derart belastet, dass ich endlich in der Lage bin, für kurze Zeit am „reinen Gewahrsein“ Genüge zu finden.

Mein Gott, was für ein absurdes Theater! Manchmal nehmen die Gedanken dann den Weg des schlechten Gewissens. Lebe ich hier nicht wie die Made im Speck? Mit Zentralheizung, großen Zimmern, Kachelbad, heißem Wasser aus der Wand und freier Auswahl an guten und sogar gesunden Lebensmitteln? Wieviele Milliarden Menschen auf der Welt würden mich beneiden? Strampeln sich lebenslang ab, ohne auch nur das Nötigste zu haben, kämpfen in den Kriegen und Gulags dieser Welt ums tägliche Überleben? Bin ich nicht der Gipfel der Bosheit und Ignoranz, hier auch nur für Minuten in der Betrachtung der Langeweile zu verharren, anstatt irgend einen Weg zu finden, ihnen zu helfen?

Aber wie? Kann ich mir ein soziales oder politisches Engagement wählen wie einen Song in der Musicbox? Leider nicht, ich kann’s nicht zwingen. Diese Gedanken und Gewissensbisse kulminieren genauso in Ideen und Vorhaben, die mich für dieselbe kurze Zeit aus meinem seltsamen Zustand reißen wie die eher eigennützigen Initiativen. Binnen kurzem verlieren sie ihre Leuchtkraft, ihren schwachen Draht zur Motivation, wenn nämlich offensichtlich wird, dass auch das nur Methoden sind, aus der langen Weile zu entfliehen. Diesmal auf dem Vehikel der Moral.

Was ist schlecht daran, zu flüchten? Kann man das überhaupt „Flucht“ nennen, ist das nicht eher das ganz normale Leben? Schließlich sind wir nicht auf der Welt, um still an die Wand zu starren und zu schauen, wie der Geist damit zu Recht kommt oder auch nicht!

Das ist der letzte Gedanke, der mir dann immer kommt. Agressivität, ein Grundimpuls des Überlebens, Trotzreaktion, Rechtfertigung dessen, was offenbar nicht geändert werden kann, Umdefiniton einer gefühlten Frage in eine schnelle, nach allen Seiten leicht abzusichernde „sinnvolle“ Antwort.

Und dann wende ich mich der To-Do-Liste zu. Wie jetzt.

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Claudia am 20. April 2002 — Kommentare deaktiviert für Aus dem Netzleben

Aus dem Netzleben

Kürzlich hab‘ ich das Diary mal wieder mit dem Netscape 4.7 angesehen – und erschrocken festgestellt, dass aus unerfindlichen Gründen die ganze Optik im Eimer war! Diese mittlere Spalte hier erschien nur noch als meterlange Wortliste – und es hat verdammt lang gedauert, bis ich den Fehler fand (wieder mal ein Bug im NS 4.7). Jetzt ist alles wieder ok. Schade, dass mich niemand darauf aufmerksam gemacht hat.

Die Mailingliste CSS-Design ist ein voller Erfolg. Binnen weniger Tage fanden sich über 300 Leute zusammen, die sich jetzt ausschweifend über die aktuellen und künftigen Methoden des Webcoding austauschen. Dabei wundert mich immer wieder, wie lange es dauert, bis sich die Basiskenntnisse eines erfolgreichen „Netzlebens“ bei allen durchsetzen. Manche melden sich entsetzt wieder ab, wenn sie merken, dass sie pro Tag 30 bis 50 Mails von der Liste bekommen – es ist tatsächlich noch nicht überall bekannt, dass man Listen am besten in eigene Ordner „fließen lässt“ und WIE man das macht. Auch die Möglichkeit, das Ganze als tägliche Zusammenfassung zu beziehen, wird zwar in der Begrüßungsmail mitgeteilt, aber kaum einer macht davon Gebrauch. Dann geschieht es immer wieder, dass ein Dialog plötzlich ins Private kippt – und 300 Leute lesen mit, woher sich zwei kennen und welche Firma sie schon von innen gesehen haben. Verwunderlich auch, dass viele sagen: Genau so eine Liste hat uns gefehlt! Wussten sie nicht, dass jeder eine Mailingliste aufmachen kann? Bin mal gespannt, wie viel Zeit noch vergehen muss, bis die Kulturtechniken des Netzes so verbreitet sind wie Lesen & Schreiben.

Ich staune auch oft darüber, wie groß doch die kriminelle Kreativität sein kann: sogenannte „Hackerbanden“ teilen mir unter dem nicht ignorierbaren Subject „Abmahnung“ mit, endlich sei es ihnen gelungen, „illegale Sexkanäle“ zu knacken: anbei die URL zum kostenlosen Dialer-Download. Wie viele darauf wohl noch reinfallen und – voller Vertrauen zu den „Hackern“ – den teuersten Internet-Zugang ihres Lebens anwählen?? Heut morgen dann zum dritten Mal in dieser Woche die „Nigeria-Masche“: Angeblich braucht ein nigerianischer Stromkonzern für eine Überweisung ein ausländisches Konto, darf aber selber keines eröffnen. Man soll ihnen also hilfreich zur Seite stehen und bekommt dafür 10% von 28 Mio Dollar in Aussicht gestellt – wie großzügig! Ich frag mich, wie verrückt jemand sein muss, um darauf herein zu fallen und brav Konto und persönliche Daten hin zu mailen? Die Masche lief auch schon VOR dem Netz: Wenn einer darauf einsteigt, ergeben sich bald irgendwelche „Schwierigkeiten“ und man soll mal eben kurz ein paar tausend Dollar „auslegen“. Tja, Dummheit und Gier existieren immer schon, aber seit es E-Mail gibt, hat man größere Chancen, damit gewaltig auf die Nase zu fallen.

Schade, daß Politiker meist nur darüber nachdenken, wie sie das Netz reglementieren könnten, anstatt jeden Cent und alles Engagement in die notwendige Volksbildung zu stecken. Unternehmen schotten ihre Intranets lieber ab, SysAdmins ziehen die Firewalls höher und höher. Mitarbeitern wird verboten, Attachements anzunehmen, weil diese auch Viren enthalten könnten, anstatt dass man sie laufend schult oder beim selber lernen unterstützt. Ich bekomme regelmäßig Viren im Anhang ominöser Mails – na und? Sie werden eben gelöscht, wie der andere SPAM auch. Mit jemandem, den ich kenne, tausche ich trotzdem Attachments aus: WENN wir es besprochen haben, nicht einfach mal eben so, weil was dran hängt.

Und wenn ich schon mal am Klagen bin: wirklich schade ist, dass viele Einsteiger zwischen Shopping-Malls und Viren-Angst kaum noch mitbekommen, was das Netz sein kann. Wie gut, dass es immer noch Menschen gibt, die viel Arbeit und Herzblut investieren, um ein anderes Web zu zeigen. Zum Beispiel Iris Bleyer mit ihren RauspfeilBrightsites, die ich zum Schluß einfach im O-ton zitiere:

„Mir geht es in meiner Auswahl der brighsites darum, Interneteinsteiger ohne allzu viel Tamtam auf die hellsten Seiten des Web zu locken. Ich hoffe, wenn sie sich von dort aus weiter bewegen, werden sie sich nie wieder mit weniger zufrieden geben. Denn sie erkennen dann vielleicht, dass das Internet eine Seite hat, die für viele Newbees im wuchernden, grellen, lauten, flashenden Brei vom „Klick mich – Kauf mich“ immer schwerer zu finden ist. Das Netz lebt – es hat eine Seele. Und die ist freundlich, kommunikativ, kreativ, phantasievoll, klug, gefühlvoll, liebenswert… – und unverkäuflich :o).“

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Claudia am 10. April 2002 — Kommentare deaktiviert für Neuer Code, neues Projekt, neue Mailingliste

Neuer Code, neues Projekt, neue Mailingliste

Ein recht lange Diary-Pause! Kein Wunder, mich hat ein Arbeitsanfall erwischt, wie ich ihn lange nicht erlebte. Gestern war es dann soweit: Die neue nach draußenMailingliste CSS-Design konnte starten – eine Initiative von Michael Charlier und mir im Rahmen des Webwriting-Magazins. Dort schrieben wir dereinst übers Inhaltsverzeichnis, dass TECHNIK nicht im Zentrum des Magazins stehen soll, sondern der Inhalt. Und doch hat sich in den letzen Monaten dort viel über Technisches angesammelt, denn der große Umbruch im Webdesign bzw. Webcoding, der zur Zeit statt findet, geht nicht spurlos an uns vorbei.

Also eine Art Befreiungsschlag! Dem neuen Thema ein eigener Schwerpunkt und eine extra Mailingliste. Das forderte erhebliche Vorarbeit, die jetzt auf nach draußenwww.css-design.de und auf der nach draußenListenhomepage zu besichtigen ist. Der Kick bei der ganzen Sache – hier mal für Nichtwebdesigner verständlich ausgedrückt – ist die vollständige Trennung von Form und Inhalt. Die Optik einer Seite – also Farben, Schriftgrößen, Spaltensatz, Platzierung der Bilder etc. – wird gänzlich in einer extra Datei mit einer speziellen Code-Sprache (CSS) ausgelagert und mit dem Hauptdokument (HTML) nur „verlinkt“. So ist es möglich, zur selben Seite die verschiedensten Layouts anzubieten, ohne das „eigentliche“ Dokument anfassen zu müssen.

Wer das in Action bewundern will, kann mal auf der Listenhomepage die unterschiedlichen Designs mit dem „Styleswitcher“ aufrufen. Über die Spielerei hinaus, hat diese Möglichkeit erhebliche praktische Bedeutung, denn das Web wird zunehmend mit anderen Geräten angesehen als mit „ordentlichen“ 17-Zöllern. Webseiten müssen sich vielfältigen Darstellungsweisen anpassen können, auf kleine und kleinste Bildschirme passen, ja sogar vorlesbar sein. Und das ist mit dem verschachtelten Tabellen-Design, wie es sich in den wilden ersten Netz-Jahren entwickelt hat, einfach nicht möglich, radikale Vereinfachung ist angesagt – das Komplexe wird in Zusatzdateien (CSS) ausgelagert und nach Bedarf und Ausgabegerät ausgewählt.

Neben der Freude am Neuen, die sich sowieso erst mit zunehmender Praxis einstellt, ist es für mich ein Abenteuer, mal wieder mit der Versammlung einer neuen Gruppe befaßt zu sein (neudeutsch: Community-Forming – hier aber nicht im kommerziellen Sinn gemeint). Individuen aus den verschiedensten Ecken der Welt treffen sich im virtuellen Raum, um sich auszutauschen und voneinander zu lernen. Seit dem Listenstart gestern mittag sind bereits 145 Leute eingestiegen – und die Stimmung ist toll! Das Thema brennt ja auch vielen Webworker/innen derzeit auf den Nägeln. Man sieht die Zeichen an der Wand: Zwar sind die neuen Methoden im aktuellen Web noch etwas sperrig anzuwenden, aber irgendwie spürt man doch: Da gehts lang, das ist die Zukunft!

Ein bißchen komme ich mir vor wie in den ersten Netz-Jahren, als noch jeder seinen HTML-Code selber in die Tasten hackte, weil an Editoren, die das können, noch gar nicht zu denken war. Als Mensch war man den Programmen weit voraus – und so ist jetzt auch wieder. Erstmal müssen Menschen die neuen Techniken ausexperimentieren, ihre kreative Grenzen ausloten und Anwendungen für den Alltag festklopfen. Erst DANN kann man das alles in Software giessen und wieder so tun, als müsse ein Webdesigner vom Code nichts wissen, sondern brauche bloß auf der Oberfläche eines WYSIWYG-Editors Elemente hin- und her schieben wie in einem Grafikprogramm. (Was übrigens auch bezüglich des „alten Stils“ niemals stimmt, sonst würde man nicht überall auf Seiten treffen, die nicht korrekt funktionieren. Leider ist das Auftraggebern verdammt schlecht zu vermitteln!)

Für heute laß ich es hierbei bewenden, anstatt mir noch ein „richtiges Thema“ abzuringen. Es kommen auch wieder ruhigere Tage, wo mir weder wild kommunizierende Web-Versammlungen noch neueste Coding-Methoden etwas geben. Stille Stunden, Schreibmeditationen – alles hat offenbar seine Zeit.

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