Thema: Leben & Arbeiten

Claudia am 01. April 2002 — Kommentare deaktiviert für Verwirrungen im Frühling – eine Bestandsaufnahme

Verwirrungen im Frühling – eine Bestandsaufnahme

Der Winter ist nun wirklich weg! Wärme, Sonne – Menschen flanieren wieder auf den Straßen. Ostern ist dieses Jahr genau das, was es sein soll: Ein auf allen Ebenen fühlbarer Einschnitt zwischen dem Alten, Abgelebten, und dem Neuen, von dem man noch nicht weiß, was es sein wird. Ein Gefühl positiver Spannung, ein Hauch von Wandel, Abenteuer, Aufbruch, dem ich am besten in größtmöglicher Wachheit begegne, sonst verliere ich mich leicht in den vielerlei Aktivitäten, die sich jetzt anbieten, und lande schon bald in verstärktem Chaos.

Also: Inventur! Auf einen Zettel schreibe ich alles, was mir einfällt, alle Vorhaben, Pflichten, Wünsche, Pläne, Notwendigkeiten, die sonst immer nur punktuell „einfallen“, mich plötzlich überfallen und des öfteren aus dem Takt bringen. Querbeet wird alles gelistet, vom bisher verschleppten Brief ans Finanzamt über den anstehenden Relaunche des Webwriting-Magazins bis hin zum Einpflanzen der Ableger einer großen Dieffenbachia, die noch auf dem Küchenfenstersims in der Vase stehen. Mein Áuto will ich auch endlich los werden, ein alter, stellenweise leicht verbeulter Citröen AX, der mir noch aus der Zeit des Landlebens geblieben ist. Hier nutze ich ihn gerade mal, um ins Fitness-Center zu fahren, völlig irre!

Die Liste stimmt mich zufrieden, sie schafft Klarheit, indem sie sowohl die unangenehmen Dinge als auch die ganz verrückten Träume umfasst – ach, was heißt hier schon verrückt? Das sind einfach Vorhaben und Projekte, von denen ich normalerweise annehme, dass ich sie sowieso nie schaffen werde, rein zeitlich und energiemäßig betrachtet. Wenn ich aber mal bedenke, wie viel Zeit ich doch tatsächlich mit Lesen und Fernsehen verbringe, dann kann das so einfach nicht stimmen. Irgend etwas ist falsch an der Herangehensweise, wie ich meinen Alltag verlebe, wie ich mich täglich im Reich der Notwendigkeit verstricke, mich dann allzu gern ablenken lasse, in dieses & jenes hinein gerate, ohne da wirklich etwas Merkliches zu leisten, und dann entsprechend frustriert nach „Abschalten“ verlange.

Bei alledem ist es nicht besonders hilfreich, den Kopf schon jahrzehntelang mit unüberschaubar vielen Gedankengebäuden, Weltanschauungen, Philosophien und Ideologien belastet zu haben. Zu jedem Impuls, der mich von etwas ablenkt oder zu etwas Anderem hinzieht, fallen mir gleich unzählige Begründungen und Rechtfertigungen ein: Warum das, was ich gerade unterbreche, sowieso das Falsche ist, bzw. das, was ich statt dessen ins Auge fasse, mich näher ans „eigentliche Leben“ führt – oder auch umgekehrt. Zum Beispiel kann ich es locker als „Flucht vor der Wirklichkeit“ werten, wenn ich ins Fitness-Center aufbreche oder in die Sauna gehe, anstatt endlich die Website für meine Eigenwerbung zu konzipieren oder zur Meldestelle zu gehen, um Ersatz für den verlorenen Führerschein (wie sinnig!) zu beantragen. Andrerseits kann es als Gipfel der Seinsvergessenheit erscheinen, den Tag vor dem Monitor in einer Welt aus Zeichen zu verbringen, anstatt im Körper, in der physischen Umwelt mit der Natur, der Stadt und konkreten anderen Menschen „face to face“ zusammen zu kommen. Ein ständiges Ebenen-Zapping, wobei der aktuelle Aufenthalt tendenziell immer als das Falsche erscheint.

Alle Aktivitäten, die dem Geldverdienen dienen, sind besonders betroffen von diesem Oszillieren der Bewertungen: einerseits erscheint es als das einzig Reale, sich dieser Notwendigkeit mit aller Kraft und Kreativität zu stellen – und alles Andere wäre bloße Ablenkung und Flucht. Andrerseits ist der ökonomische Bereich am schärfsten in Verruf, das „falsche Leben“ rein kommerzieller Strebungen zu repräsentieren, wo der Mensch alles und jedes als Mittel zum Zweck benutzt, der Blick von Hunger und Gier verdunkelt ist und der Andere nur noch als Kunde oder Konkurrent wahrgenommen wird. Besser man macht Kunst, betätigt sich als Kulturschaffende, bedient das Reich des Kostenlosen, das ohne Sünde ist…. was für ein Quark, alles reines Kopfkino!

Komischerweise erlebe ich diese Gefährdung durch Verzettelung, Unentschlossenheit und schwankende Urteilskraft als ein Ergebnis persönlichen Fortschritts (mehr zugestoßen als erarbeitet, aber immerhin) auf dem Weg vom automatenhaften Reagieren hin zu mehr Freiheit der Wahl. Mit 20, 30, 35 wusste ich immer sehr genau, was gerade anliegt: was ich tun muss und was ich tun will, wann das zusammenfällt oder weit auseinander liegt. Angst und Ehrgeiz leiteten mich problemlos vom Gestern ins Morgen. So etwas wie eine offene Gegenwart kannte ich nicht, nicht mal beim Sex. Die Reiche des Denkens, der Gefühle und der Körperempfindungen waren fest miteinander verkettet: Sagte einer etwas vermeintlich Feindseliges, hielt ich den Atem an, krampfte den Bauch zusammen und spannte die Nackenmuskulatur mehr an als gewöhnlich an, ohne dass mir all diese Körperreaktionen bewusst geworden wären. Ich reagierte SOFORT mit Angst-, Ärger-, oder Hassgefühlen, die sich ohne Zögern in verteidigende oder angreifende Gedanken mit entsprechender Rede und den daraus folgenden Taten umsetzten. Freiheit bedeutete für mich, genau SO sein zu können. Reagieren, ohne an Grenzen zu stoßen, mit den Impulsen mitgehen, die mir begegnen, ohne deren Herkunft und Wesen je zu bedenken: Was ich fühle und wünsche, ist GUT, was mich hindert und einschränkt ist SCHLECHT, ist böse Welt und reine Unterdrückung.

Wenn ich das noch mal lese, was ich da gerade hinschreibe, fällt mir auf: Wow, das ist ja der Geist der Jugend! „An sich“ ist dieser Geist nicht gut und nicht schlecht, sondern unverzichtbarer Teil des Ganzen. Ohne diesen Geist würde die Welt einfach stagnieren und langsam in Fäulnis übergehen. Die gewisse Verblendung, die darin liegt, alles Übel im Außen, im Althergebrachten und bei den Anderen zu sehen, zusammen mit der aus dieser Sicht zwangsläufig entstehenden Wut, ergibt die nötige Kraft für gesellschaftliche Veränderungen. Wie anders sollte man die harten Gebäude des Bestehenden zum Bröckeln bringen, als mittels der festen Überzeugung, selber reinen Herzens auf der richtigen Seite zu stehen und die Macht des „Bösen“ zu bekämpfen?

Im Lauf der Jahre verschwindet dieses „reine Herz“, das sich der Tatsache verdankt, dass man noch nicht viel hinter sich hat, weder im Guten noch im Schlechten. Je mehr gelingt, was man sich ersehnt, umso mehr der Niemand, der man war, sich zum Jemand wandelt, dessen eigene Praxis die reine Theorie ersetzt, desto mehr gewinnt man persönliche Kontur. Die Leere wird zur Form, verstrickt sich in Widersprüche und wird zunehmend in Frage gestellt. Ab 35 ist jeder für sein Gesicht selber verantwortlich, heißt es zu Recht – vielleicht der wahre Grund, warum heute da mehr und mehr die Chirurgen ran müssen.

Mir wurde etwa Mitte dreißig klar, dass ich sterblich bin. Sicher, man „weiß“ das immer schon, auch als junger Mensch, doch ist es lange ein rein mentales Wissen, Buchwissen sozusagen. Ich kann mich noch genau erinnern, wie mir aufgefallen ist, dass sich etwas grundstürzend verändert hat. Bis zu einem bestimmten Augenblick hatte ich nämlich meine persönliche Geschichte und damit die Zeit ganz allgemein in Gedanken aufgerechnet, die mit „seit …“ begannen: Seit dem Abitur, seit dem Auszug von zu Hause, seit dem Umzug nach Berlin, seit dem Beginn meiner letzten Beziehung… – und auf einmal ertappte ich mich bei einem Denken „bis…“, ja, bis wohin?? Zur Rente? Zum statistischen Altersdurchschnitt rauchender Frauen? Ich konnte es nicht verlässlich „verdaten“, aber auf einmal war es DA, war in meinen alltäglichen (!) Gedanken angekommen: das Ende, mein ganz persönlicher Tod.

In der Krise, die sich in diesen Jahren verdichtete, verlor ich jeden Boden unter den Füßen, meine Welt wurde auf den Kopf gestellt und am Ende war ich eine andere geworden. Mein eigenes Ostern, könnte man sagen. (in anderen Beiträgen hab‘ ich darüber geschrieben, das wiederhole ich jetzt nicht). Seither schwingt mein Lebensgefühl – Glück, Zufriedenheit, Besorgnisse, Wünsche – rund um einen neuen Set-Point, der weit über allem liegt, was mir bis dahin zugänglich war. Und mit Yoga (gelobt sei mein lieber Lehrer Hans-Peter Hempel, ohne den das nicht geschehen wäre) konnte ich dieses gelassenere und entspanntere In-der-Welt-Sein sogar stabilisieren, beobachten und bewusster erleben.

Ach, immer wenn ich so ins Erzählen gerate, ist der Punkt der Lobreden schnell erreicht! Es gibt ja auch soviel Grund, das Leben zu preisen und dankbar zu sein – allein schon die Sonne, wie sie jeden Tag ein wenig länger scheint, die Blüten, die sich jetzt überall einfach so öffnen – und sogar ALDI-Tomaten (die kleinen!) haben auf einmal wieder einen wunderbaren Geschmack! Mein je aktueller Schreib-Impuls, der immer von einer Klage, einem Mangel, einer Kritik ausgeht, verliert sich vor der Fülle des Seins, wirkt auf einmal lächerlich und aufgesetzt: Navigationsprobleme im Freiraum? Leiden an der Abwesenheit „orientierender“ Ängste und Zwänge? – ich bin wohl nicht ganz dicht!

Und mit dieser befreienden Erkenntnis mach‘ ich für jetzt Schluss, MEHR ist von eigenen Texten kaum zu erwarten!

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Claudia am 21. Februar 2002 — Kommentare deaktiviert für Derselbe Planet? Vom „wirklichen“ Leben

Derselbe Planet? Vom „wirklichen“ Leben

Eine der großen Freuden des Webpublishings ist die schnelle Resonanz. Manchmal vergehen nur wenige Stunden und schon steht ein Kommentar zum neuesten Eintrag im Forum. Ein Kommentar, der wiederum von anderen kommentiert wird, vor allem dann, wenn es sich um Kritik, Einspruch und Widerrede handelt. Und niemand sülzt nur blöde vor sich hin! Zwar geht es gelegentlich auch härter zur Sache, aber der Ton bleibt in der Regel höflich und aggressive Kurzbotschaften fehlen ganz – genau, wie ich es mir wünsche. Weiter → (Derselbe Planet? Vom „wirklichen“ Leben)

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Claudia am 30. Januar 2002 — Kommentare deaktiviert für Vom Medienleben: Aus Bequemlichkeit ins Nichts

Vom Medienleben: Aus Bequemlichkeit ins Nichts

Eine ARTE-Reportage berichtete gestern von den Argentiniern. Viele von ihnen bemühen sich derzeit um einen Paß, um nach vielen Jahrzehnten in die Länder ihrer Vorfahren Italien und Spanien zurückzukehren. Während vor und nach dem Krieg AMERIKA der große Traum war, ist es heute EUROPA, die extreme Wirtschaftskrise treibt die Menschen in die Auswanderung. Weiter → (Vom Medienleben: Aus Bequemlichkeit ins Nichts)

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Claudia am 23. Dezember 2001 — 1 Kommentar

Vom Elend des Sitzens

Morgen werd‘ ich mich ins weihnachtliche Endgetümmel werfen und mir ein Klemmbrett und einen Astronautenkuli zulegen, der auch dann noch schreibt, wenn die Spitze gen Himmel zeigt – so als Weihnachtsgeschenk für mich selbst, das mich hoffentlich zeitweise vom SITZEN befreit!

Mit der Hand schreiben? Vor kurzem noch hätte ich nicht im Traum an sowas Archaisches auch nur zu denken gewagt! Während einer Besprechung Notizen zu machen stellt mich regelmäßig vor das Problem, diese hinterher wieder entziffern zu müssen. Fähigkeiten, die man nicht regelmäßig übt, gehen eben über kurz oder lang verloren und die Handschrift steht seit Einführung der Textverarbeitung unverkennbar auf der Abschussliste.

Aber in der Not frisst der Teufel Fliegen! Ich kann einfach nicht mehr sitzen. Seit Wochen schon merke ich, dass es mich wegzieht vom Monitor – nicht, um „da draußen“ im realen Leben auf Abenteuer auszugehen, sondern weil mir alles weh tut und ich mich nach wenigen Stunden schon wie „gestaucht“ fühle. Trotz Super-Bürostuhl, trotz Yoga, Fitness-Center, Sauna und gelegentlichen Spaziergängen gelingt es nicht mehr, die vielen Stunden vor dem Gerät so auszugleichen, dass ich mich in meiner Körperlichkeit vergessen kann. Schultern, Rücken, Lendenwirbel und Beine meinen schon nach etwa einer Stunde, nun sei es genug.

Was soll ich also tun? Mir einen anderen Job suchen? Ganz unmöglich, alles, was ich gut kann, braucht das Computer-Cockpit als Werkzeug und Kanal zur Welt. In einer Zeit, in der auch die letzten „Problemgruppen“ vom Arbeitsamt in PC-Kurse gezwungen werden, ist das keine Möglichkeit mehr, die man ernsthaft erwägen könnte. Und: es ist ja nicht nur die Brotarbeit, die mich „am Netz“ hält, sondern auch freie Aktivitäten wie dieses Diary, das Schreiben und Gestalten, praktisch aller Selbstausdruck und die Kommunikation mit Menschen an anderen Orten der Welt zwingt mich vors Gerät. Dazwischen das unverzichtbare Forschen, Suchen, Sich-Informieren, Neues lernen – gar nicht mehr vorstellbar ohne Google, ohne Mailinglisten und Web-Communities!

Aber es knirscht im Gebälk der materiellen Seite meines Daseins. Der Körper beschwert sich zu Recht, dass ich ihn einfach „absetze“ und dann „fort“ bin – dort, wohin Leben & Welt mehr und mehr auswandern, wo das Produzieren und Projizieren, das Kommunizieren und alles Steuern der Welt zunehmend stattfindet: im Cyberspace, der nur über ein Interface zu betreten ist, eine Grenzanlage, die das Materielle nicht durchlässt: Sorry, wir Körper müssen draußen bleiben….

Wir sind nicht angepasst an das Leben, das wir führen„, sagt der nette Trainer im Fitnesscenter und schaut zufrieden auf die Kunden, die sich an den Geräten nolens volens in Bewegung versetzen. Neulich wollte ich da mal einfach nur in die Sauna gehen, doch als ich durch den Gerätepark lief, spürte ich die Sehnsucht des Körpers wie eine leise aber dringliche Stimme aus dem Hintergrund: Komm, lass uns ein bisschen turnen… Ein seltsames Erlebnis der Gespaltenheit: WER ist denn hier verdammt nochmal ICH???!

Zersetzung

Vor wenigen Jahrhunderten war das Leben noch Bewegung. Von früh bis spät auf den Beinen, verrichteten die Menschen elend schwere Landarbeit und bewegten sich zu Fuß von Ort zu Ort. Die Industrialisierung hat dieses organisch-naturgesteuerte notwendige und selbstverständliche Bewegt-Sein zerschlagen zugunsten abgezirkelter Bewegungen im Rahmen der mechanischen Maschine. Das Fließband erzeugte ganz neue ungekannte Leiden an Körper und Geist. Der Körper war versklavt an den Takt der Maschine, aber doch immer noch gebraucht, gefragt, am Ball des Geschehens, der Geist litt unter der Monotonie. Heute sind wir – gottlob! – auch von diesem Elend befreit. Roboter und Programme machen die Arbeit in den Fabriken und es braucht nur noch ein paar Aufseher und Knöpfchendrücker, das Ganze am Laufen zu halten, sowie unzählige Brummi-Fahrer, die – sitzend! – die Produkte durchs Land kutschieren.

Wir haben uns vom Leid der körperlichen Anstrengung befreit, uns gemütlich hingesetzt und sind sitzen geblieben. Wir treffen uns zu Sitzungen, erlassen Gesetze und Satzungen, setzen uns auseinander, kämpfen um Besitz und Vorsitz und darum, uns durchzusetzen. Wer nicht funktioniert, wird versetzt oder abgesetzt. Allem können wir uns mehr oder weniger erfolgreich widersetzen, bloß nicht dem Sitzen selbst.

Der Mensch besteht zu über 80 Prozent aus Wasser. Stehende Wasser neigen dazu, in Fäulnis überzugehen. Zersetzung droht – was tun? Ich hab‘ von einem Stuhl gelesen, der durch minimalste Schwingungen das Zellwasser in Bewegung halten soll, aber so richtig durchgesetzt scheint sich das nicht zu haben. „Kleinste Schwingungen“ würden auch nicht mehr ausreichen, um meine Missempfindungen auf dem Stuhl aufzuheben. Seit Jahren guck‘ ich mir hoffnungsvoll an, was die Möbelindustrie so an Alternativen anbietet: den Kniestuhl, den Sitzball, vielfach einstellbare und bewegliche Bürostühle. Seltsamerweise kenne ich niemanden, der wirklich auf Dauer den üblichen Stuhl gegen den Ball tauscht oder sich kniend vor dem Monitor aufhält. (Letzteres würde uns wohl auch allzu deutlich zu Bewusstsein bringen, wie unser Verhältnis zur technischen Welt beschaffen ist).

Nein, ich will nicht mehr sitzen, will stehen, zur Not liegen – aber für diese Haltungen existieren keine erschwinglichen Möbel, die es gestatten würden, Monitor, Tastatur und Maus im Zugriff zu behalten. Noch dazu will ich zwischen diesen Haltungen abwechseln, damit das Leiden am Sitzen nicht nur durch ein anderes abgelöst wird (Krampfadern im Stehen, Wundliegen im Liegen…). Warum erkennt „der Markt“ eigentlich dieses Problem nicht? Weil die Entwerfer und Macher eben auch sitzen, vermutlich unter 40 sind und gar nicht daran denken, dass da was nicht in Ordnung sein könnte.

Also mit der Hand schreiben, im Liegen, im Stehen an einem Pult – nachher abtippen braucht jedenfalls viel weniger Sitzzeit, als wenn ich vor dem Gerät einen Artikel produziere, die meiste Zeit nicht schreibend, sondern in mich hineinlauschend, was für ein Text entstehen will.

Ob das geht? Vielleicht gelingt ja so eine kleine persönliche Revolte gegen den Sitzzwang, doch die Tatsache bleibt, dass der Körper für Wirtschaft und Gesellschaft in vieler Hinsicht überflüssig geworden ist. (Wer „drin“ ist, dessen Körper ist „draussen“) Was geschieht mit Überflüssigem? Wenn es nicht verschwindet, was uns als körper-basierten Wesen nicht möglich ist, bekommt es neue Funktionen: der Körper als Ware und Statussymbol, durchtrainiert, gebräunt und gepflegt, gepierced und tätowiert dient er perfekt gestylt dem Selbstausdruck. Schließlich werden ja perspektivisch auch immer weniger Menschen gebraucht, um die technische Welt zu steuern und zu entwickeln – der Rest muß ja doch eine Beschäftigung haben!

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Claudia am 17. Dezember 2001 — Kommentare deaktiviert für Nichts Besonderes

Nichts Besonderes

Heute wollte ich eigentlich zu einem Meeting über „barrierefreies Webdesign“ – doch nachdem ich mich eine Stunde durch den Stau gewühlt hatte, stellte sich heraus, dass das Treffen am anderen Ende der Stadt stattfindet – verlegt ohne rechtzeitige Ankündigung! Das war mir dann doch zuviel, ich fuhr wieder nachhause. Die Inhalte werde ich von Kollegen ja sowieso erfahren und offizielle „Funktionsträgertreffen“ sind eh nicht so mein Fall. Jetzt sitze ich also ganz unverhofft wieder hier und genieße die gewonnene Zeit.

Diese letzte Woche vor Weihnachten ist einfach wunderbar, so langsam kommt die gewöhnliche Geschäftigkeit zum Erliegen, die Dinge verlangsamen sich. Zwar erleben viele noch eine Art Endspurt, aber das Augenmerk liegt nicht mehr so auf Neuanfängen, sondern auf Abwickeln, fertig bekommen – und dann ist erstmal Pause. Es fehlt nur noch eine eiskalte Schneedecke, die alle Geräusche auf den Straßen dämpft und alles ist perfekt.

Und jetzt verlasse ich den Monitor und mach‘ selber Pause – lese gerade das Buch von Francois Jullien „Der Weise hängt an keiner Idee – Das Andere der Philosophie“ – und als Kontrastprogram „Die Hirnkönigin“ von Thea Dorn „Die Hirnkönigin“. Weitere Lesetipps für stille Tage kämen mir jetzt ganz recht… :-)

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Claudia am 08. Dezember 2001 — Kommentare deaktiviert für Jahresendwuselei

Jahresendwuselei

Ob ich zum Diary keine Lust mehr habe, fragt mich eine Leserin. Oh doch, aber ich komm‘ nicht dazu, bin regelrecht verschüttet unter einer Menge kleiner und großer Aktivitäten, die jetzt alle in diesen Tagen fertig werden müssen. Am Schlimmsten ist „Steuer 2000“, zumindest solange ich’s nicht angefangen habe, sondern nur mit Grauen an das Zusammensuchen von 1000 Zetteln denke, ans Durchwühlen der Festplatte nach nicht ausgedruckten Rechnungen, das Durchforsten und Abgleichen der Kontoauszüge und vieles mehr. Macht mich ganz krank, dieser Papierkram und ich schieb es immer vor mir her bis auf den letzten Drücker.

Zudem ist grad noch ein letztes Update des Webwriting-Magazins für dieses Jahr in Arbeit, vier Artikel, darunter ein längeres Tutorial über „Seiten gestalten ohne Tabellen“. Ewig lang hab ich mich geweigert, jeden technischen Schnickschnack mit zu machen, doch das ist jetzt mal eine Weiterentwicklung in Sachen Webdesign, die wirklich ‚was bringt. Lernen ist also angesagt, wo Michael schon so gut dabei ist, das ganze Thema breit und verständlich aufzubereiten. Weil ich aber immer gleich ein Ergebnis sehen will, soll das derzeit etwas grausig aussehende *Portal der Liste Netzliteratur ein schöneres Outfit bekommen – ohne Tabellen!

Und wenn ich schon mal viel zu tun habe, melden sich natürlich auch noch diverse Auftraggeber mit kleinen Nacharbeiten: hier ein Dokument ‚rein, dort ein neuer Link – und dann neuerdings Autoren, die in meinen Uralt-Projekten ‚was gelöscht oder geändert haben wollen: ganze Artikel ‚raus oder zumindest die Mailadresse weg – Himmel nochmal, ich glaub‘ wenn ich nochmal ein „Mitschreibprojekt“ aufziehe, nehme ich Gebühren für jede Änderung und lasse mir das vorher bestätigen!

Weihnachtsrummel? Findet bei mir gottlob nicht statt. Wenn ich wie heute mal in eine Markthalle gerate und dort herrscht die Weihnachtseinkaufswochenendhektik in grellem Lichterglanz, lautstark mit „Stille Nacht“ untermalt und alle treten sich in der Eile gegenseitig auf die Füße, dann treibt es mich gleich rückwärts wieder ‚raus. Nix gegen Aufschwung, aber ich versteck‘ mich dann lieber in meinen halbwegs ruhigen vier Wänden. Meine Adventskalenderliste vom vorigen Jahr hab‘ ich dann aber doch noch aktualisiert, als ich auf einmal merkte, daß da plötzlich viele Surfer landen. Ein „Dead End“ oder „Loch im Netz“ (404 file not found) mag ich einfach nicht in meinem Web.

Buddhastatue Derweil hab‘ ich für mich Ebay entdeckt! Bisher nur davon gehört und gelesen, konnte ich mir nicht vorstellen, was mich persönlich da reizen könnte. Mein Interesse an Gegenständen geht ja eher in die Richtung ‚Wie werde ich sie los?‘ Wow, jetzt hab‘ ich aber mal versuchsweise nach Buddhastatuen gesucht und bin ganz entzückt von der Vielfalt, die sich da zeigt. Stundenlang Buddhastatuen angesehen, obwohl ich weiß Gott anderes zu tun hätte – hab mich sogar registriert, „beobachte“ neun verschiedene Objekte und morgen werd‘ ich vermutlich erstmalieg BIETEN. Bin ganz hingerissen…. ich liebe ja Buddhastatuen und wenn ich viel Geld hätte, wäre ich Sammlerin. Naja, es gibt auch ganz preiswerte kleine Buddhas… :-)

War’s das jetzt? Nein! Schrecklich gern würde ich sofort zum Thema „Drin sein – Öffentlichkeit / Offenheit“ weiterschreiben, zu dem im Diary-Forum ein interessantes Gespräch läuft – im Hinterkopf entstehen ganze Artikel-Webs, aber dazu brauch‘ ich Ruhe, Besinnlichkeit, Stille – kommt gewiß, kann sich nur um Tage handeln.

Buddhastaue

 

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Claudia am 22. November 2001 — Kommentare deaktiviert für Keine Zeit? Leben & Arbeiten

Keine Zeit? Leben & Arbeiten

Das war jetzt mal eine lange Diary-Pause! Der „Endspurt“ für einen wichtigen Auftrag hat mich derart beschäftigt, dass ich kaum noch über irgend einen Tellerrand gucken konnte. Bzw. nicht wollte, mich hat ja niemand gezwungen, ich hätte es auch lockerer angehen können.

Komischerweise fällt mir das immer noch schwer. Immer neige ich dazu, die Dinge linear, eins hinter dem anderen, abzuarbeiten. Wenn dann was Größeres anliegt, wird zwangsläufig anderes längere Zeit vernachlässigt – wobei es interessant zu beobachten ist, WAS unter solchen Bedingungen als das Wichtige und weniger Wichtige erscheint. Klar, zuerst kommt die Brotarbeit, alles, worauf ein Auftraggeber wartet. Danach folgen dann verbindlich vereinbarte Projekte mit anderen: zum Beispiel das Webwriting Magazin, dessen Update ich auch grad‘ hinter mir habe. Als nächstes folgen Vorhaben, die anderen zugesagt sind, die aber unter der Überschrift „just for fun“ oder Kulturarbeit entstehen – oder auch nicht. Ganz zuletzt kommt das Eigene, angefangen vom Diary bis hin zu verschiedenen Projekten aus der umfangreichen Liste „mach ich, wenn ich Zeit habe“.

Neben dieser Web-Schiene gibts noch die Ebene „Behördendschungel“, die ich gern ganz ans Ende stelle. Schon wieder mal die Umsatzsteuervoranmeldung zu spät eingereicht – obwohl es richtig lächerlich ist, das vor mir her zu schieben, kostet es doch nur ein paar Minuten. Gottlob betreibe ich ja keinen Versandhandel und auch keinen Tante-Emma-Laden mit vielen einzelnen Vorgängen! Aber selbst das „Rechnungen schreiben“ hat komischerweise keine Priorität, sondern rangiert als „Papierkram“ ziemlich weit hinten.

Was ich hier berichte, ist eine „innere“ Bewertungsskala. Natürlich setze ich sie in der Realität nicht exakt so um, sondern schreibe auch mitten im „Endspurt“ mal Diary, mach‘ ein paar schöne Bilder, schau mal in die Mailinglisten – doch alles, was nicht der „Reihenfolge der Wichtigkeit“ entspricht, ist mit schlechten Gewissen verbunden, als würde ich mir die Zeit STEHLEN müssen, nein, nicht mir, sondern anderen.

Bei alledem hab‘ ich ein paar wirklich schöne Dinge des Lebens noch gar nicht erwähnt: Menschen treffen, Spaziergänge, körperliche Aktivitäten – all das beglückt und bereichert mich weit mehr als das Sounsovielte Web-Projekt, aber gerade das steht oft an letzter Stelle, wenn ich glaube, zuviel zu tun zu haben. Immerhin: hier bin ich schon ein wenig weiser geworden im Lauf des Lebens und gebe mir gelengentlich einen Tritt, um wieder mal hinter dem Monitor hervor zu kommen!

Was ich mir wünsche ist eine Art diszipliniertes Multitasking: In aller Frühe erstmal Yoga, dann Diary-Schreiben, vormittags die Brotarbeit, mittags Fitness-Center mit Sauna oder Spaziergang, nachmittags die Eigenarbeit – mit anderen und alleine. Und abends mit dem Lebensgefährten ausspannen oder andere inspirierede Menschen treffen, zumindest zweimal die Woche. Dies alles unterbrechbar durch Ausnahmen: Dinge, zu denen ich auf einmal Lust habe – und bitte ohne schlechtes Gewissen!

Ob ich da nochmal hinkomme? Hat es unter Euch jemand geschafft, sich in diese Richtung „umzuerziehen“? Gerade bewerbe ich mich um einen Auftrag, der mich „von Tag zu Tag“ beschäftigen wird, wenn’s klappt. Langfristig! Das wär‘ super, dann ginge es nämlich nicht mehr anders als mittels einer Routine, wie ich sie mir hier erträume.

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Claudia am 12. August 2001 — 1 Kommentar

Der terminierte Mensch

Himmel nochmal! Ich wohne fünf Auto-Minuten von seinem Arbeitsplatz, Essen gehen und Kaffee trinken wird er ja wohl gelegentlich noch – oder ist es ihm gelungen, diese Bedürfnisse aufgrund der schlechten Wirtschaftslage abzubauen? Glaub ich nicht… oder doch? Jedenfalls mailt er mir auf meine Frage, ob wir uns mal mittags treffen und von alten Zeiten und unserem jeweiligen Heute plaudern könnten: „Tolle Idee! Freut‘ mich, wieder mal von dir zu hören. Grad‘ schieb‘ ich aber zwei Projekte an, die wirklich haarig sind, danach dann gern, ich meld‘ mich in zwei Wochen!“

Er ist nicht der erste, von dem ich eine solche oder ähnliche Antwort bekomme. Seit ich wieder in Berlin bin, ruf‘ ich öfter mal jemanden an, wenn ich Lust auf Menschen habe. Klar doch, schließlich sitze ich hier täglich alleine am PC und ich weiß: da draußen, in den unendlichen Weiten Berlins geht das vielen ganz genau so… Es sind alte Kollegen, die ich dann anrufe, Freunde und Bekannte aus zwanzig Jahren Kreuzberg, Menschen, mit denen ich gearbeitet, gefeiert, Kurse besucht und Politik gemacht habe. Und sogar meine alte Liebe T., mit dem ich Jahre in „gemeinsamem Leben & Arbeiten“ zubrachte, schickt mir erstmal einen Stapel Geschriebenes, um sich dann eine gute Woche später hier einzufinden – zu einem ordentlichen Termin halt.

„In der dritten Septemberwoche vielleicht, da ist dann meine Mutter wieder weg und die stressigsten Schultage sind ‚rum“, meint L., die Frau, mit der ich schon in Mecklenburg telefoniert hatte, wie nett es sein wird, sich wieder mal zu sehen. Der Netz-Bekannte, der zufällig drei Häuser weiter wohnt, hat auch einen „Termin vorgeschlagen“, so in zwei Wochen, da könnte man ja abends mal zusammen um die Häuser ziehen…

Termine, Termine, Termine. Wochenlange Planungen. Wenn ich dann doch mal jemanden treffe, werden wir gestört durch diesen dauernden Handy-Betrieb und ich muss ungewollt mithören, wie er/sie einem Dritten sagt: „Ja, super! In der letzten Augustwoche würde es mir evtl. passen…

Lust & Laune? Gecancelt.

Sind denn alle komplett verrückt geworden? Oder werde ich einfach nur alt und versteh‘ die Welt nicht mehr, bin nicht mehr richtig „kompatibel“ mit dem heutigen Way of Contact? Offensichtlich hat sich da etwas verschärft, dem ich mich immer schon verweigert hatte. Ein Terminkalender ist einfach nicht meine Sache, geschäftliche Dates merke ich mir auch so und private „Termine“ war ich einfach nicht gewohnt: Nicht in meinem Kreuzberger Kiezleben, in dem ich beim Gang in die Markthalle mindestens drei Leute traf, mit denen ich zu einem Schwätzchen stehen bleiben konnte. Und wenn ich mich richtig erinnere, gab es jedenfalls keine zwei, drei Wochen Vorlaufzeit, wenn ich mich mal mit jemandem verabreden wollte, höchstens so zwei bis vier Tage.

Was stört mich eigentlich daran? Ich könnte mir doch einen Terminkalender anschaffen und das einfach so mitmachen, oder? Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob ich das will. So wild bin ich nun auch wieder nicht, diese offensichtlich allzu beschäftigten Menschen zu sehen… Naja, ich würde schon gern, aber eben JETZT, oder morgen, oder zumindest diese Woche noch – nicht irgendwann später, ein Später, von dem ich gar nicht weiß, was ich dann tun werde, und ob ich dann Lust haben werde auf diesen oder jenen ganz Bestimmten. Es scheint mir unvorstellbar, morgens in meine Zettel zu gucken: Wen treff ich denn heute?, und dann halt das Programm abzuwickeln, egal, was Lust und Laune gerade dazu meinen. Warum sollte ich ausgerechnet DIE Kontakte, die NICHT von irgendwelchen, meist ökonomischen Zwängen diktiert sind, in ein Korsett pressen, das jede Spontaneität verunmöglicht?

Ausgebucht

Was mag wohl der Grund für dieses Verhalten sein? Warum meinen all diese Leute, dass ein privates Plaudertreffen drei Wochen im voraus geplant werden muß? Liegt es wirklich daran, dass sie heute, morgen, übermorgen und für den Rest der Woche völlig „ausgebucht“ sind??? Warum rufen sie nicht einfach an, wenn da mal eine Lücke ist: Hey, heut mittag hab ich Zeit, wie siehts bei dir aus? Wär‘ es denn so schlimm, wenn ich dann sagte: Sorry, geht grad nicht, aber morgen? Es wäre sogar viel wahrscheinlicher, dass ich zusage, denn ich kann mir die Zeit ja einteilen – wie übrigens die meisten, von denen ich hier spreche.

Wäre ich jetzt 15 Jahre jünger, würde ich das alles auf mich beziehen, wäre ordentlich zerknirscht und würde denken: Sie mögen mich nicht, sie wollen mit mir einfach nichts zu tun haben, weil ich vermutlich so eine Schreckschraube bin, die man lieber meidet! Heute weiß ich es besser, zumal es sich fast durchweg um Menschen handelt, mit denen ich gute, intensive und für beide Seiten erfüllende gemeinsame Zeiten hatte. Nein, es ist etwas anderes, etwas, dem sich alle einfach so unterwerfen, ohne es auch nur richtig zu bemerken: die Seelen sind besetzt, verkauft und also immer völlig ausgebucht. Dass man sich überhaupt noch – so in drei Wochen – für etwas Privates Zeit nimmt, das nicht zum eingespielten Alltag gehört, ist eigentlich auch schon nicht mehr richtig in diese Welt „passend“, ist schon Kompromiß, den man gerade noch eingeht, um sich nicht eingestehen zu müssen, daß im Grunde gar kein Platz mehr ist für Dinge jenseits des „Um-Zu“.

Niemand ist wirklich „ausgebucht“ – aber die Erfordernisse des allgemeinen Rattenrennens sind psychisch derart belastend, dass man nicht noch zusätzliche Inputs haben will, wo doch die Zeiten des „inneren Ausspannens“ lange schon nicht mehr reichen. Ja, dieses innere Abschalten schafft kaum noch jemand, allenfalls werden heftige äußere Reize als Ablenkung gesucht, die das, was in der Seele wühlt, einfach an Lautstärke bei weitem übertreffen. Und noch etwas: Andere Menschen zu treffen wird nicht mehr als mögliche Entspannung gesehen, als spielerisch zweckfreies Miteinander, sondern – auch im privaten Rahmen – immer nur wieder als eine Art „Auftritt“, bei dem man ein gutes Bild abgeben will: anstrengend also, wie fast alles heute. Wenn man dann noch daran denkt, dass es ein ganz übliches Verhalten ist, dem Anderen nicht wirklich zuzuhören, sondern ihn oder sie „voll zu labern“, wundert es nicht mehr, dass niemand mehr richtig Lust hat, mal eben zusammen Kaffee trinken zu gehen…

Sich aufteilen

Was bleibt, ist die Aufsplitterung der Bedürfnisse, die Fragmentierung des Ich. Will ich spontan unter Menschen sein, geh‘ ich in die Sauna und sitze gemeinsam mit unbekannten Nackten bei 90 Grad auf dem Affenfelsen. Die Hitze ist ein so starker Reiz, dass jedes Denken in den Hintergrund tritt und ein enstpanntes Zusammen sein möglich ist – ja, manchmal kann man sogar ein paar Worte wechseln… Will ich dagegen interessante Gespräche führen, tiefer schürfende Aspekte des Daseins teilen, dann kann ich ja mailen! Mitmensch on Demand ist die optimale Form für den gestressten Info-Worker: nur der reine Gedanke tröpfelt durch die Leitung, und den kann ich mir ja dann reinziehen, wenn ich dafür die Muße habe. Nicht zu vergessen das Telefon: Jenseits des bloßen Info-Austauschs ist es das „angesagte“ Mittel für das Empfinden von Nähe: Dann aber muß ich völlig im Augenblick sein, ohne jedes inhaltliche Interesse ganz auf die Schwingung des Anderen einsteigen. Nicht schlecht, aber eben auch wieder ein hübsch abgespaltener Teil des Ganzen.

Und wenn mir das alles nicht reicht, gibts ja noch die Workshop-Szene: Unter Anleitung und Aufsicht treffen sich da wochenends „ganze“ Menschen für teures Geld: tanzen, reden, atmen, Töne summen, sich in die Augen sehen, einander zuhören, sich „einfach so“ umarmen – und in Tränen ausbrechen vor Rührung! Sollte ich mir mal wieder leisten…

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