In meinen Schreibkursen gebe ich manchmal die Aufgabe, den „inneren Kritiker“ zu Wort kommen zu lassen. Es entstehen dann lustige Texte, in denen sich diese „Teilwesenheit“, die nichts im Sinn hat außer Nörgeln und Niedermachen, voll ausleben darf. Besonders für Anfänger ist es eine tolle Übung, sie befreit von der Dominanz dieses Kritikers und zeigt, dass niemand anders als der Autor bzw. die Autorin in den inneren Welten letztlich das Sagen hat. Der Kritiker ist Dienstpersonal, man kann ihn rufen, wenn man ihn braucht, ihm aber auch für eine gewisse Zeit den Mund verbieten.
Für mich ist dieses spezielle „Gespenst“ kein Problem mehr, dafür kann mich eine andere Teilwesenheit aus dem inneren Kosmos zur Weißglut treiben: die „Kreative“. Ich sollte sie vielleicht besser die „Kreativ-Maschine“ nennen, eine, die sich selber einschalten kann und nur mit größter Mühe zum Stoppen zu bringen ist.
Ideen haben, womöglich ganz neue, Konzepte und Projekte entwerfen, die einigermaßen Hand und Fuß haben, all das gilt in der Infogesellschaft als hoher Wert. Ist ja auch schön, wenn einem leicht „was einfällt“, etwas, das tatsächlich „umsetzbar“ erscheint und gleich auch Spass, Spannung, ja sogar Möglichkeiten, Geld zu verdienen in Aussicht stellt.
Was aber, wenn sich solche Ideen und Projekte „am laufenden Band“ ins Bewusstsein drängen? Wie soll ich damit umgehen? Kaum ein lockeres Gespräch, zu zweit oder zu mehreren, in dem meine Ideenmaschine nicht anspringt: man könnte doch auch… wie wäre es denn mit… mal angenommen, man würde… – und schon bin ich mitten drin, im Kopf entsteht ein tolles „Projekt“, fächert sich auf in schillernde, verführerische Möglichkeiten. Je nachdem, wer gerade mein „Kreativpartner“ ist, entwickeln sich in Windeseile ganze Jahresprogramme möglicher Aktivitäten, die sich, wenn ich sie einzeln bedenke, durchaus weiter auffächern in noch mehr „interessante Projekte“. Im Kopf hab‘ ich so schon jede Menge Arbeitsplätze geschaffen – warum zum Teufel wird davon sowenig Wirklichkeit?
Können? Wollen?
Es liegt nicht an mangelnden Fähigkeiten. Ich KANN umsetzen, wenn ich… ja WAS???? Was ist es, das aus Ideen und Plänen Wirklichkeit schafft? Ich beobachte das schon lange, versuche, heraus zu spüren, was es ist, das mich zu Taten treibt oder, wie in den meisten Fällen, einfach zur Tagesordnung übergehen lässt, bis zum nächsten „Anfall“.
Erfolge kann ich bei dieser Beobachtung noch kaum vorweisen. Es ist, als stocherte ich in einer Nebelbank herum, die mir die Sicht vertellt. Wenn ich nichts sehe, kann ich nur denken, nur spekulieren, und das ist ein sehr begrenztes Instrument in Sachen Selbsterkenntnis.
Immer wieder erlebe ich, dass meine Ideen nur wenig später von anderen verwirklicht werden. Klar, es gibt viele kreative Geister und die Themen liegen quasi „in der Luft“. Einerseits fühle ich mich dadurch bestätigt: Ich spinne nicht nur wild herum, meine Ideen sind tatsächlich „machbar“. Andrerseits frag ich mich: Warum machen es Andere, während ich weiter hier herum sitze, meine üblichen Aufgaben abarbeite und zeitweise lieber nicht auf den Kontostand gucke?
Bin ich schlicht zu faul? Was ist Faulheit? Ich gehöre zu denen, die lieber arbeiten als ausspannen, denen der reine Müßiggang nur kurze Zeit Freude macht. Gelegentlich muss ich mich geradezu zwingen, mich vom Computer zu entfernen und mir mal die Beine zu vertreten. Vor dem Monitor bin ich „im Cockpit der Macht“ – aber was MACHE ich wirklich? Jetzt zum Beispiel schreibe ich Diary, zuvor war der morgendliche Mail-Check dran, eine kurze Antwort an jemanden, der vielleicht demnächst seine Website umgebaut haben will. Mehr „Arbeit“ war da fürs erste nicht. Nachher werde ich die Texte meiner Kursteilnehmer kommentieren und neue Schreibaufgaben stellen. Meinen alten PC muss ich heut‘ auch noch verpacken, denn mittags holt ihn ein befreundeter Familienvater ab, der ihn dringlich für seine Kinder braucht. Wie schön: ich kann einer Familie nützen, ein bisschen Stress abbauen helfen mit einem Gerät, das bei mir nur sinnlos Platz wegnimmt.
Und dann? Das ist für heute das „Minimum“. Jeder Tag beinhaltet so ein Minimum absolut zwingender „To-Dos“, die ich auf jeden Fall abarbeite. Jenseits dieser unaufschiebbaren Dinge liegt dann das Feld der „auch noch anstehenden“ Aufgaben: weniger dringliche, aber doch klar definierte Arbeiten: ein Update auf Schreibimpulse.de, ein bisschen Pflege für eine Kunden-Website, ein Brief ans Finanzamt (ihhhh!) – wenn ich länger überlege, kommt da einiges zusammen, teils sind es reine Idiotenarbeiten, teils Dinge, die mich kreativ fordern und auch Freude machen, wenn ich erst mal „drin“ bin. WENN….
Heute ist Freitag, sagt eine innere Stimme. Wochenende! Gönn dir einen frühen Schluss, geh‘ raus und genieße den Sommer! Richtig ranklotzen reicht auch ab Montag noch gut – und wenn’s dir danach ist, kannst du ja auch Samstag mittag oder Sonntag früh was tun, in diesen wunderbar stillen Stunden, in denen niemand aus der Arbeitswelt mit Recht etwas von dir wollen kann!
Je nachdem, wie erfolgreich diese Schluss-für-heut-Stimme ist, komme ich an einem ganz normalen Tag von den unaufschiebbaren Arbeiten zu mehr oder weniger „anstehenden“ Aufgaben. Und dann gelüstet es mich nach „Freizeit“, wobei es mir meistens reicht, mal kurz einkaufen zu gehen, mir was zu kochen oder draußen zu essen. Wenn ich dann nicht verabredet bin, lande ich schon bald wieder vor dem PC, auch mal vor der Glotze, oder ich leg mich mit einem Buch ins Bett. Ah, endlich nicht mehr sitzen!
So sind meine „ganz normalen Tage“.. Sie haben ihre eigene Schwerkraft, ihre beflügelten und eher langweiligen Phasen. Ich schaffe mehr oder weniger, bin entsprechend zufrieden oder unzufrieden mit mir – aber dahinein nun allein aus mir heraus ein neues Projekt zu platzieren, scheint so entlegen, wie zwischendurch mal eben auf den Teufelsberg zu steigen. Ja, der Teufelsberg ist tatsächlich näher, denn er bietet immerhin körperliche Abwechslung.
Begeisterung und innere Filter
Für ein neues Projekt brauche ich auch fürs Umsetzen den inneren Kontakt zur Begeisterung, die ich beim „Ausspinnen“ empfinde. Zumindest, um damit zu beginnen. Bin ich mal drin, entfaltet sich die Freude am kreativen Tun von selber, da muss ich mich dann nicht mehr groß kümmern. Aber wie gelange ich dahin, zu diesem ernsthaften „Beginnen“?
In vielen Fällen zeigt mir ein nüchterner Blick auf das neulich noch so begeistert entwickelte Ideen-Werk: Ja, das ist gar nicht schlecht, sogar durchaus realisierbar – aber will ich das? Will ich tatsächlich im Rahmen dieses Vorhabens monatelang arbeiten und Verantwortung tragen? Wird mir das Tun als solches wirklich Freude machen? Will ich die Menschen, die ich dafür treffen muss, wirklich sehen und für sie arbeiten? Es ist eine Sache, eine „Zielgruppe“ ins Auge zu fassen, die vielleicht diese oder jene Dienstleistung gut brauchen könnte – eine andere Frage ist, ob ich mit dieser Zielgruppe persönlich etwas zu tun haben will.
Oder, das kommt auch vor, die Idee führt mich zu weit weg von den Arbeitsfeldern, die ich gut kenne. Luxuswohnungen an reich gewordene Chinesen zu verkaufen ist gewiss eine gute Idee, zum Marketing fällt mir auch jede Menge ein – aber meine Erfahrungen und Kompetenzen als Immobilienhändlerin sind nun wahrlich nicht groß! Klar, ich könnte mit meinen Ideen zu einem Makler gehen, der solche Wohnungen anbietet – aber es ist erst mal eine „Hürde“, ein neues Feld, auf das ich mich innerlich einstellen müsste. Und meistens liegt es dann weit näher, „das Übliche“ zu tun und nicht das Neue.
Der Druck, Geld zu verdienen, motiviert mich nicht dazu, mit neuen Projekten anzufangen, sondern drückt mich eher dahin, die schon vorhandenen Dienstleistungen auszubauen: neue Webdesign-Kunden finden, wenn man eine lange Latte Referenzen zeigen kann, erscheint sehr viel erfolgversprechender als das mit den Chinesen! :-) Endlich die Schreibkurse für den Herbst ins Web stellen liegt weit näher, als einen „Gedicht-Shop“ zu realisieren (nein, nicht einfach Gedichte verkaufen, das läuft nicht – aber…. das verrat ich jetzt nicht, vielleicht mach‘ ich’s ja doch noch mal!).
Träge Sommertage
Entweder, die Ideen scheitern aus solchen Gründen, oder aber – meistens! – versacken sie einfach im Alltag. Sobald ich morgens Mail abrufe, bin ich mitten drin im Business as usual, und damit auch in einem Bewusstseinszustand „wie gewöhnlich“.
Aber im Gewöhnlichen erschafft sich das Neue nicht! Wenn ich das will, muss ich mir nicht nur „einen Ruck geben“, sondern dafür sorgen, mir den Zustand der Begeisterung zu erhalten, bzw. ihn neu zu erzeugen, wenn ich mit der Arbeit beginne.
Einmal hat das schon gut geklappt. Ein lieber Freund hat mich als Coach dazu bewegt, morgens nicht mit „dem Üblichen“ zu beginnen, sondern mit dem Neuen: Frech das eigene, gerade mal als Ideensammlung vorliegende Vorhaben mitten in die Hauptarbeitszeit legen. Das hat es gebracht! So ist im Sommer 2003 das Kursprojekt schreibimpulse.de entstanden, das ich auch tatsächlich als „zweites Bein“ in meiner Arbeitswelt etablieren konnte. Es macht wirklich Freude und ich entwickle es weiter, aber ich kann es zeitlich nicht so verdichten, dass es mehr Einkommen bringt. Mein inneres Potenzial, mit Gruppen zu arbeiten, ist begrenzt, ich kann mich nicht vervielfachen, brauche Pausen und Phasen „ohne Gruppe“.
Also wär‘ eigentlich das nächste Projekt dran. Ein „drittes Bein“ – aber welches? Unermüdlich arbeitet die innere Kreativ-Maschine, nutzt jeden inspirierenden Dialog, um ihre Einfälle in die Welt zu bringen, die dann auf die beschriebene Weise an den persönlichen „Filtern“ scheitern oder im Alltag versacken.
Der Sommer ist eine Zeit allgemeiner Verlangsamung. Das Draußen lockt, viele sind in Urlaub, alles Organisatorische zieht sich länger hin als sonst – es ist, als hätte die Welt auf einmal einen längeren, entspannteren Atem. Eine schöne Zeit! Aber gleich danach, das kenn ich schon gut, folgt eine Phase verstärkter Aktivität. Im frühen Herbst geht es wieder richtig los. Und ja, ich würde gerne mitgehen, zu neuen Ufern aufbrechen, eines meiner Projekte umsetzen – aber WIE überwinde ich nur dieses innere „Hängertum“?
Es beobachten ist das erste, drüber schreiben das zweite. Schon viele Male hat sich dann „etwas ergeben“, als gäbe es eine innere Instanz, die man nur genug in den Hintern treten muss – oder sie anbetteln: Nun mach doch bitte mal!!! Und irgendwann passiert er dann ganz plötzlich: der „Ruck“, der erste Schritt in die Verwirklichung, der die nachfolgenden leicht macht.
Na, ich arbeite dran und hoffe das Beste. Noch ist ja Sommer…