Thema: Lebenskunst, Philosophisches

Reflexionen über Wesentliches

Claudia am 24. Juli 2004 — 7 Kommentare

Fünfzig

Gestern also mein Geburtstag, wie immer ohne „besondere Aktivitäten“ – im Gegenteil, ich blieb den ganzen Tag allein, hatte nicht viel zu tun, und konnte es mir so richtig gut gehen lassen. FÜNFZIG – beeindruckt mich das? Höchstens im Sinne eines kleinen Staunens: was die nur alle haben, die sich so vor den runden Geburtstagen fürchten!?

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Claudia am 16. Juli 2004 — Kommentare deaktiviert für Zärtliche Entsagung

Zärtliche Entsagung

Vor über 15 Jahren lernte ich meinen „liebsten Freund“ kennen. Diesen Titel hab ich schon bald für ihn erfunden, weil er – genau wie unsere Beziehung – in keine Schublade passte.
Wir waren (und sind) kein Paar, aber auch nicht nur Freunde, vielleicht so etwas wie „Wahlverwandte“, aber das passt auch nicht so recht. Klingt viel zu leidenschaftslos,
zu cool.

Leidenschaft? Das übliche „Entbrennen zwischen Mann und Frau“ war es nicht – davon hatte ich gerade genug, als ich mich eines Abends neben ihn setzte. Hochwichtige konfliktreiche Beziehungen lagen hinter mir, eine nach der anderen, seit den Teeny-Jahren. Liebe als Kampf um das Sagen, endlose Streitigkeiten, euphorische und deprimierte Phasen, Liebe, die in Hass umschlägt, innere Leere und Verzweiflung, immer wieder Hoffnung und Enttäuschung, selten eine „Hoch-Zeit“ – halt all das Schöne und Schreckliche, das den gewöhnlichen Geschlechterkrieg ausmacht, zumindest in der ersten Lebenshälfte.

Dann saß ich neben ihm, Abend für Abend. Wir plauderten, philosophierten über Gott und die Welt – ich bewunderte ihn, aber ich verstand ihn nicht. Und gerade das faszinierte mich. Er war mir ein Rätsel.

Ein Mensch, der nichts will und nichts vorhat – gibt es das? Sollte ich das glauben? Dass er von mir nichts wollte, war spürbar, und doch hatte ich den Eindruck, dass er zumindest unsere Gespräche mochte. Sonst saß er immer alleine an einem kleinen Tisch, ein Glas Wein vor sich, und schaute so vom „Rand des Geschehens“ auf all das Getriebe, das in einer
Berliner Kiez-Kneipe die Menschen umtreibt. Unberührt, ohne Verlangen, ganz zufrieden mit dieser Art Rand-Existenz.

Seine Eltern waren früh gestoben und das Erbe versetzte ihn in die Lage, den Verstrickungen aus dem Weg zu gehen, die ein Arbeitsleben mit sich bringt. Er lebte von seinem Bankkonto, kaufte gern mal den Rosenverkäufern den ganzen Strauß ab, spendete Geld, wenn jemand ihn darauf ansprach, aber ansonsten war es ihm egal. Er machte sich auch nie Gedanken, wie er es erhalten oder gar mehren könnte – ich konnte nur den Kopf schütteln über soviel weltfremde
Naivität und Sorglosigkeit. Meine größte Sorge war, er könnte denken, ich sei hinter seinem Geld her – dabei liebte ich ihn doch nur.

Er war mir wie eine kühle Quelle nach einem langen anstrengenden Marsch durch glühende Wüsten und Steppen. Bei ihm konnte ich „einfach da sein“, ohne befürchten zu müssen, von ihm be- oder verurteilt zu werden. Er verlangte nichts, begehrte nichts, allenfalls musste ich aufpassen, ihn nicht durch allzu vieles Reden, durch heftige Emotionen und mein gesamtes damaliges Engagement in 10.000 Dingen und zig Projekten zuzutexten. Ich lernte, auf mein Gegenüber zu achten, lernte zuhören und auch mal zu schweigen. Zusammensitzen und den Rest der Welt beobachten – nie hätte ich gedacht, dass das so angenehm sein könnte!

Ich versuchte mit aller Kraft, das Rätsel zu lösen. Ich forschte, fragte ihn aus, scannte sozusagen sein gesamtes Leben, Denken und Fühlen, immer auf der Suche nach etwas, das er vielleicht doch ersehnte, wenn auch ganz im Geheimen. Aber da war nichts, allenfalls eine leise Melancholie, die ihn umgab wie ein ganz besonderer Blumenduft. Betörend – aber weit weg von der Art Leidenschaft, Liebe und Sex, wie ich sie kennen gelernt hatte. All das war viel zu grob für ihn, zu drastisch, zu handfest und folgenreich. „Wenn man drüber reden muss, ist es eh schon zu spät“ – solche und ähnliche Sätze sagte er oft. Mich trafen sie wie ein eisiger Hauch, denn ich glaubte noch an das Machbare, an den Sinn des Sich-Anstrengens und daran, dass es immer eine Lösung gibt, die allen Seiten gerecht wird. Er dagegen verzichtete von vorneherein, erwartete von sämtlichen „Realisierungen“ nichts Gutes, jede Verwirklichung möglicher Wünsche war ihm nur Weg in die Entzauberung, lieber blieb er am Rand und schaute zu. Ein Blickwechsel unter Fremden – davon konnte er richtig schwärmen. In der Fremdheit läge die größte Wahrheit, sagte er, und alles, was danach komme, alles Bemühen, das Fremde zum Bekannten zu machen, führe in Verstrickung und Leid.

Er hat mich verändert, ohne jedes Wollen mehr beeinflusst als irgendjemand bis dahin. Was er sagte und wie er lebte erschreckte mich, zog mir den gewohnten Boden unter den Füßen weg. Und doch klebte ich an ihm wie eine Klette, hatte ja so sehr die Nase voll von meinem gesamten Wollen und Machen, meinen Engagements, meinen vielen Kämpfchen um dies und das, von all diesen kräftezehrenden, Herz-verletzenden, gierigen und rücksichtlosen Zwischenmenschlichkeiten, die als „normal“ gelten. Er war mein Licht in der Finsternis, in der ich mich verirrt hatte, doch es war ein „schwarzes Licht“: die Wärme musste ich mir oft dazu denken; was es erhellte, war kein Weg, sondern die Leere.

Mein liebster Freund – durch ihn hab‘ ich verstanden, was Zärtlichkeit ist. Eine unendlich sanfte Berührung, die nichts will. Nicht formen, nicht besitzen, nichts erreichen, nichts vermeiden, nichts kritisieren, nichts ändern. Ein seltenes Geschenk.

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Claudia am 22. Juni 2004 — Kommentare deaktiviert für Sich verstehen – und dann?

Sich verstehen – und dann?

Oft wundere ich mich, wie empfindlich Menschen auf das reagieren, was ein Anderer ihnen schreibt – zum Beispiel auf einem Webboard oder in privater Email. Schon 1996, als ich eine große Mailingliste zum Thema „Webkultur“ moderierte, war ich hauptsächlich damit beschäftigt, die „Stimmung zu balancieren“: alles mitlesen, bemerken, wenn sich jemand auf den Schlips getreten fühlt, selber provoziert, nur noch Albernheiten oder gar Feindseliges postet – und eingreifen, die Wogen glätten, Klarheit und Freundlichkeit verbreiten, soweit eben möglich. Tat ich es nicht, konnte ich zusehen, wie schnell die negativen Gefühle überhand nahmen, und als Listenveranstalterin bekam ich dann auch gleich die Austritte mit, die sich zu solchen Gelegenheiten häuften. Weiter → (Sich verstehen – und dann?)

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Claudia am 14. Juni 2004 — Kommentare deaktiviert für Über Sein und Sollen

Über Sein und Sollen

Braucht es eigentlich eine „Lizenz zum Dasein“? Muss mir erst jemand erlauben, SO zu sein, wie ich gerade bin? Habe ich die Pflicht, mich dafür zu rechtfertigen? Muss ich gar Gründe und Ursachen benennen, wissenschaftliche Forschungen heran ziehen, mein Denken, Fühlen und Verhalten stets mit dem Denken und Meinen anderer abgleichen? Zwingt mich irgend etwas dazu, heute genauso zu sein wie gestern oder vorige Woche? Muss ich „logisch nachvollziehbar“ bzw. „vernünftig“ sein? Oder gar politisch korrekt? Weiter → (Über Sein und Sollen)

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Claudia am 07. Juni 2004 — Kommentare deaktiviert für Vom Buchstabenglück

Vom Buchstabenglück

Schreiben heißt, ganz nah bei mir zu sein.

Jetzt steht er da, dieser Satz. Zwar ist er nicht in Stein gemeißelt, hört sich aber so an. Und gleich fühlt sich das Denken provoziert und rattert Kommentare herunter: Stimmt nicht, wenn du über Berlin oder HTML schreibst, bist du nicht bei dir. Und wenn dir nichts einfällt, wo bist du dann? Und überhaupt, was soll der Scheiß? Wer bitte ist hier bei wem? Woher fällt etwas ein – und wohin fällt es dann? Weiter → (Vom Buchstabenglück)

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Claudia am 05. Mai 2004 — Kommentare deaktiviert für Der Andere, der Täter – ich armes Opfer!

Der Andere, der Täter – ich armes Opfer!

An manchen Tagen ist viel los in der alten Markthalle, die Wege zwischen den Ständen sind nicht sehr breit, die Menschen drängeln – auf einmal rempelt mich da doch einer richtig an!

Was geschieht? Werde ich böse und remple zurück? Gehe ich ungerührt weiter, denn schließlich kommt so was dauernd vor, wenn es eng ist? Stelle ich ihn zur Rede und mache ihn zur Schnecke? Oder fühle ich mich unfähig, weil ich schon wieder nicht in der Lage bin, eine „richtige Antwort“ zu finden? Bin ich zu ängstlich und mach mir daraus ein „Gewissen“? Mache ich einen lockeren Witz und ziehe fröhlich weiter?

Kann alles sein! Ja, ich hab‘ einige dieser Varianten schon erlebt, nix besonderes. Das Besondere ist: es ist immer dasselbe Ereignis, nur meine Reaktionen sind gänzlich unterschiedlich. Je nach Stimmungslage, je nach dem, was gerade in mir vor geht, was für ein Gefühl zu mir selbst und meiner „Lage in der Welt“ ich gerade habe, dem entsprechend fällt meine „spontane“ Reaktion aus.

Was lerne ich daraus? Es kommt nicht auf den Anderen an, wie ich ihn empfinde, sondern auf mich selbst. Und WEIL das so ist, kann ich gut damit aufhören, mich als Opfer meiner Mitmenschen zu betrachten: was ich empfinde, ist „mein Bier“ – und wenn ich damit unzufrieden bin, wenn ich darunter leide, was ich empfinde, dann sollte ich etwas ändern. AN MIR – nicht am Andern!

Fühlen deiner Wahl…

„Was immer du auch fühlst von mir, ist Fühlen deiner Wahl“ – ein guter Freund, von dem ich in diesem Leben viel gelernt habe, hat mir diesen bedenkenswerten Satz in einem Gedicht geschrieben. Ich habe ihn nicht verstanden und auch nicht glauben wollen – ja, ich hab mich dagegen gewehrt! Wo kämen wir denn da hin, wenn alle die Verantwortung für die Folgen ihres Handelns für die Betroffenen derart locker beiseite stellen könnten!

Ja, wo kämen wir hin? Und: ist es wirklich „verantwortungslos“? Ist es denn überhaupt MÖGLICH, die Folgen meiner Handlungen im Empfinden anderer Menschen voraus zu sagen, geschweige denn, sie zu „bestimmen“?

So gesehen, wirkt der Satz schon weniger absurd. Und im Lauf der Zeit hab ich verstanden, dass „die Verantwortung“ nicht etwa negiert, sondern nur anderswo angesiedelt wird: meine Handlungen verantworte ich – aber nicht die Reaktionen des Anderen. Dafür übernehme ich die volle Verantwortung für MEINE Gefühle und Empfindungen in Bezug auf alles, was mir vom Anderen so blüht. DAS ist nicht unbedingt das leichtere Geschäft, ich muss mich dazu beobachten, in Frage stellen, mein In-der-Welt-Sein reflektieren, genau unterscheiden, woher wann und warum meine „spontanen Reaktionen“ eigentlich kommen – und sie nicht als „gegeben“ und unveränderbar ansehen. Sondern begreifen, dass sie Ergebnis eigener Haltungen und Meinungen sind: wenn ich überzeugt bin, dass ich ein unfähiger Trottel bin, dann werde ich das in den Handlungen anderer immer bestätigt bekommen! Die Welt zeigt sich mir so, wie ich sie erwarte – nicht unbedingt immer bewusst, aber das lässt sich ändern.

Das oben genannte Beispiel ist sehr einfach, gewöhnlich, banal. Betrachten wir ein anderes, nicht weniger häufiges: Ich will etwas von einem Anderen: er soll sich mit mir befassen, soll mir auf meine „wichtige Mail“ von gestern schnellstens antworten, er soll für mich da sein und mir Resonanz geben auf etwas, was gerade in mir wühlt. Aber er tut es nicht. DER SAUBÄR! Was für ein Unmensch! Prompt laufen in mir allerlei „spontane“ Gedankenspiele ab: war ich nicht selber immer für ihn da? Habe ich nicht ein RECHT auf seine Zeit, sein Eingehen, seine Zuwendung? Ist es denn nicht „allgemein üblich“, dass Menschen, die sich mögen, füreinander da sind? Ich rechtfertige also meine Erwartungen an den Andern vor mir selbst, indem ich „eigene Leistungen“ und „allgemeine Moral“ auffahre. Und dann fang ich an, zu deuten und zu urteilen: Warum reagiert er nicht, wie erhofft? Aha, er mag mich nicht, ich bin ihm nicht wichtig genug…. er ist ein arroganter Schnösel, ein in sich selbst verstrickter Egoist. Und ich werd ihm jetzt lange böse sein, das muss er erst mal wieder „gut machen“!

Hat er überhaupt etwas „gemacht“? Nichts von dem, was da in meinem Denken und Fühlen abgeht, hat ER erzeugt. Das mache ich mir selber, das ist, wenn man es so im Detail betrachtet, ganz deutlich. Ich bin mit meinen Erwartungen an ihn heran getreten, und er hat sie nicht so beantwortet, wie ich es wünschte. Warum, kann ich gar nicht wissen! Selber schuld, wenn ich solche „Annahmen“ hege, die mich in üble Gefühle stürzen.

Ich könnte auch ganz anders mit demselben Ereignis umgehen: Aha, er reagiert jetzt nicht auf das, was mir gerade wichtig ist. Nun, er wird anderes zu tun haben, oder er hat seine spezifischen Gründe, auf ein bestimmtes Thema nicht so einzugehen, wie ich es will. Also wende ich mich mir selber zu: Hab ich denn eigentlich ein RECHT, dass der Andere so sei, wie ich ihn wünsche? Ist er mein Papi oder meine Mami, die sich immer ums Kind kümmern müssen? Warum geh ich davon aus, dass er mein „Zuwendungs-Automat“ zu sein hat, wenn mir danach ist? Etwa, „weil ich ihn liebe“? Was für eine Liebe wäre das, die dem Anderen spezifisches Verhalten abfordert? Will irgend jemand ernsthaft solche Bedürftigkeit, solches Anspruchsverhalten mit dem wunderbaren Wort „Liebe“ in Zusammenhang bringen??? (Der möge sich melden und es mit mir im Forum austragen!)

Nein, wenn ich genauer hinsehe, sehe ich tatsächlich: ich bin WIRKLICH auf der „Papi-Schiene“ gewesen, als ich meine Ansprüche umzusetzen suchte (und „verurteilte“, wenn ich keinen Erfolg im Sinne meiner Vorgaben hatte) . Bin es in gewisser Weise immer, zumindest bei Männern, die mir wirklich etwas bedeuten. Das ist nun mal das „Urmodell“ für den Umgang mit dem gegengeschlechtlichen „Anderen“ – im Guten wie im Schlechten, im Normalen wie im Abstrusen, spezifisch Verrückten. Davon kann man sich nicht verabschieden, indem man im Lauf des Lebens nur eben mal die verschiedenen Beeinflussungen bekämpft und mit dem Gegenteil beantwortet – das ist nur der erste Schritt. Ist reine Reaktion, nicht Freiheit, nicht eigene Wahl.

Na, ich will jetzt nicht ins rein Autobiografische abdriften, sondern auf den Leitgedanken zurück: Nicht der Andere ist der „Schuldige“, der „Täter“, sondern ich muss mir schon angucken, wie es dazu kommt, DASS er es zu sein scheint: wie ich ihn also dazu MACHE! Wie ich denkend und fühlend, Eindrücke (Datenlage) auswähle aus vielen möglichen Auswahlen, und dann daraus mein „eigenes Gesamtes“ erbaue – vielleicht darunter leide oder Lust daran empfinde – und von daher versuche, den Anderen als „Automaten in mein Spiel“ einzubauen!

Wenn ich damit aufhöre, bin ich frei. Niemand kann mir „üble Gefühle einbrocken“, also muss ich niemanden verurteilen. Meine Lust und meine Leiden hängen nicht von Anderen ab – seit mir das klar ist, ist das Leben deutlich leichter. Kein inneres Herum-Rechten mehr, kein Grübeln, keine „Beziehungsdiskussionen“, keine Manipulationsversuche, vor allem kein „Festkleben“ an Frustrationen, denn ich weiß ja: die hab‘ ich selbst erzeugt, indem ich eine Erwartung hegte und pflegte, die ich ebenso gut wieder loslassen kann. Anfänglich bedarf es eines kleinen inneren Rucks, braucht eine kurze Konzentration der Aufmerksamkeit auf all das – aber bald wird es selbstverständlich. Meine Wünsche sind keine „Ansprüche“ mehr, sondern nurmehr Vorschläge. Und dass nicht alle meine Vorschläge angenommen werden, erscheint mir heute ganz normal.

*** Philosophie end – – –

Glaubt bloß nicht, ich wär aus meiner innovativen Geisteskraft zu diesem Text und seinen Aussagen gekommen! Es ist vielmehr so, dass das „auf mich selbst zurück geworfen sein“, das mir einzig übrig blieb, wenn sich mein jeweiliger Hauptgesprächspartner verweigerte, zu diesen Erkenntnissen führte. Gewiss ist auch der übliche Einwurf berechtigt: Das ist doch nichts Neues, zu alledem gibt’s ja ganze Buchregale…

Schreiben?

ABER ich sag immer, es ist ein Unterschied, ob man etwas erlebt und dann versucht, die gewonnene Erkenntnis in Worte zu fassen – es mögen alte Worte sein, es mögen bekannte Gedankenfiguren vorkommen, oder auch neumodisch esoterisch-wirres Zeug… ;-) .. – ODER ob man nur „zu einer Frage Stellung nehmen“ will. (Weil ja jeder, der in der Infogesellschaft ernst genommen werden will, zu allem etwas sagen kann, muss, sollte… und es macht ja auch Spass!)

Dieser Unterschied ist die „Lizenz zum Schreiben“. Etwas, wonach mich ein großer Teil meiner Kursteilnehmer mit je eigenen Worten immer wieder fragt: Wie kann ich wagen, etwas von MIR zu berichten – wenn doch alles, was ich „dazu sagen“ könnte, schon tausendmal gesagt wurde? Falls mir überhaupt was einfällt…

Wer so fragt, hat schon die halbe Miete! Ist auf dem besten Weg zur „Lizenz“. Warum?

Die Schreibenden teilen sich für mich in zwei Gruppen auf: diejenigen, die auf dem Markt des Geschriebenen Fuß fassen (oder sich im Job besser formulieren/rüber bringen) wollen, und die anderen, die aus sich heraus schreiben wollen, weil es sie danach verlangt. Wer ohne Blick auf literarische Weihen und kommerzielle Erfolge „einfach schreibt“, wird auf jeden Fall etwas gewinnen: Klarheit, Gelassenheit, Distanz zum eigenen Erleben, auf der manche Frucht der Erkenntnis reifen kann – für die Schreibenden, manchmal auch für die Leser.

Das Leben und das Schreiben – ich weiß letztendlich nicht, in welchem Verhältnis sie ganz genau zueinander stehen, sondern experimentiere es aus. Deshalb schreibe ich ja immer weiter.

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Claudia am 15. April 2004 — Kommentare deaktiviert für Allein und undefiniert

Allein und undefiniert

In elektronischen Verschaltungen gibt es Zustände, die nennt man „undefiniert“: Wenn nämlich nicht vorgegeben und also auch nicht voraussehbar ist, ob sie im konkreten Einsatz nun zu „null“ oder „eins“ werden. Mich hat das verwundert, als ich es in meiner Umschulung/Weiterbildung zur EDV-Fachkraft erfuhr. Wozu ist das gut? Wofür braucht es unklare Verhältnisse in einer technischen Umgebung, die doch gerade dazu da ist, die Abläufe zu automatisieren, sie also vollständig in den Griff zu bekommen?

So richtig verstanden hab‘ ich es letztlich nicht, aber ich erinnere mich manchmal daran, wenn ich allein bin. Vom Aufstehen bis zum Ins-Bett-Gehen kein Kontakt zu irgend jemandem – je älter ich werde, desto paradiesischer erscheint mir dieses Alleinsein. Ob ich maile oder Mails lese, entscheide ich dann ganz nach Laune, fühle mich in jedem Moment frei, zu tun oder zu lassen, was mir gerade in den Sinn kommt, was für ein göttlicher Zustand! Alle meine Freunde wissen, dass ich nicht gern telefoniere, dass ich dieses fordernde Echtzeit-Medium fast nur zum Austausch wichtiger, zeitkritischer Infos benutze – und so kann ich tatsächlich das „Einsiedeln“ praktizieren, mitten im normalen Leben, zumindest am Wochenende, wenn ich nicht für Auftraggeber erreichbar sein muss.

Was ist so schön daran? Manchmal sinne ich darüber nach, während die Stunden verrinnen, Stunden, die mich immer weiter vom gesellschaftlichen Dasein entfernen, mich aus allen Verstrickungen heraus heben, von sämtlichen Erwartungen Anderer befreien. Was bin ich ohne den Mitmenschen? DAS erlebe ich dann und empfinde Glück: bin nicht mehr JEMAND, bin nicht in soziales Sollen und Wollen eingebunden, bin nichts Bestimmtes – bin undefiniert!

Die Webdesignerin, die Beraterin, die Kursleiterin, das Mitglied der Coachingrunde Berlin, die Schreibende, die Freundin, die Schwester und Tochter – all das ist weg, fällt von mir ab wie begrenzende Schalen, die mich in Formen pressen: durchaus gute und nützliche, manchmal lustvolle und bereichernde Formen – aber durchweg nicht das, was ich tatsächlich bin: undefiniert. Wenn ich alleine bin, kehre ich zu diesem formlosen Selbst zurück und genieße das spontane So-Sein, aus dem all diese Formen geboren werden, wenn ich mit Anderen in Kontakt trete.

Früher…

Es war nicht immer so, ich erinnere mich gut. Früher konnte und wollte ich nicht allein sein, langweilte mich dabei, fühlte mich unruhig und unausgefüllt, suchte ständig Kontakt zu irgend jemandem, besuchte dann Freunde, saß dort endlose Stunden herum und redete und redete: Erst im Angesicht des Anderen spürte ich mich, fühlte ich mich richtig als Mensch, halbwegs vollständig und handlungsfähig. Alleinsein war Angst-besetzt, obwohl ich das nie zugegeben hätte, nicht einmal vor mir selbst.

Dann die vielen Jahre mit M., meinem philosophischen Lebensgefährten. Wand an Wand, jederzeit konnte ich rüber gehen und plaudern, musste aber auch stets damit rechnen, dass ER herein kam (was aber eher selten geschah, er war immer schon gerne für sich). Im Grunde eine optimale Situation für jemanden, der nicht allein sein mag: In meinem Wohn-Schlaf-Arbeitszimmer war ich für mich, doch immer mit der Möglichkeit, in Kontakt zu treten. Ich war zufrieden, aber im Lauf der Zeit fiel mir doch auf, wie sehr wir uns einschränkten, um uns gegenseitig nicht zu nerven: kein Radio, TV nur zusammen, ein Leben ohne Musik, und nur sehr seltene Besuche. Anders wäre diese Nähe nicht möglich gewesen, nicht für uns beide, die wir jeder ein eigenes Leben lebten. Und – das merkte ich aber erst nach meinem Auszug – diese extrem rücksichtsvolle Form der Zweisamkeit hat mich fürs Alleinsein geöffnet.

Als ich dann Anfang 2003 in meine eigene Wohnung zog, zum ersten Mal seit zwölf Jahren, empfand ich dieses gänzlich neue Verhältnis zum Mit-mir-und-sonst-niemand-Sein wider Erwarten als sehr sehr angenehm: Was für eine Ruhe und Freiheit! Keinerlei „gemeinsame Gewohnheiten“ strukturieren meinen Tag, ich muss niemandem etwas erklären, wenn ich von diesen Gewohnheiten abweiche. Muss nicht sagen, wo ich hingehe und wann ich zurück komme und kann völlig verrückte Dinge tun – z.B. auch mal tagsüber schlafen, fünf mal täglich kochen oder auch gar nichts essen, laut oder still sein, Unordnung entstehen lassen und nachts um zwölf aufräumen, 15 Stunden am PC sitzen oder ihn, z.B. Samstags, gar nicht erst einschalten. Oder auch mal nichts tun, gar nichts. Niemand schaut mir zu und kommentiert, hinterfragt, fordert mich zu Erläuterungen heraus, es ist eine völlig andere Seinsweise als das ständige Miteinander – frei, entspannt, spontan, friedlich ver-rückt!

Während ich so schreibend den Freuden des Alleinseins nachspüre, merke ich, dass ich nur an der Oberfläche kratze: all das sind Äußerlichkeiten, treffen nicht den Kern. Die Routinen des Zusammenlebens hab ich schließlich sehr geschätzt, das Kochen und Essen zu bestimmten Zeiten, den Spaziergang, zu dem ich mich alleine eher schwer aufraffe – ja, in meinem Solo-Wohnen ringe ich eigentlich ständig um Selbstdisziplin und gewisse Strukturierungen meines Tages: abgesehen von den Kunden und Kursteilnehmern ist da ja nichts und niemand, was mich zwingt. Alles kommt aus mir, oder eben nicht.

Und doch: es ist gut, wie es ist. Selbst wenn ich 1000 Mal zum eigenen Ärger der Trägheit verfalle, wieder einmal nicht das schaffe, was ich mir vorgenommen habe, so weiß ich doch genau darüber Bescheid, dass ICH es bin, die nun mal so ist, im Guten wie im Schlechten. Und wenn ich morgen beschließe, jetzt ernsthaft einen Plan zu machen: eine Woche lang ausprobieren, wie sich ein anderer Rhythmus von Schlafen und Wachen, Arbeit und Freizeit, drinnen und Draußen-Sein wohl anfühlen mag – dann hindert mich nichts, das sofort in die Tat umzusetzen. Das Leben hat auf diese Weise etwas Abenteuerliches, das ich – man merkt es gewiss – schlecht in Worte fassen kann.

Vielleicht ist das Wesentliche am alleine Leben, nicht auf bestimmte Seinsweisen festgenagelt zu werden, wie es ganz automatisch geschieht, wenn ich mit jemandem sehr eng zusammen bin. Zwangsläufig entstehen Erwartungen, ich möge immer so sein, wie ich gestern war – und schon bin ich in der Situation, jedes Anders-Sein rechtfertigen und erklären zu sollen. Bedeutender noch: Ich neige dazu, das Bild, das der Andere von mir hat, einfach zu übernehmen: aha, so bin ich! Wenn ich auf ihn/auf sie so wirke, muss ich wohl SO sein. Und schon bin ich dabei, mich (durchaus unbewusst) selber einzuschränken: Jemand, der SO ist, handelt auch SO, denkt SO, und nicht etwa anders.

Nun werde ich bald fünfzig, hatte also schon genügend Gelegenheit, zu bemerken: Ich bin bei jedem/für jeden eine Andere. Jeder Dialog und jede Interaktion erschaffen mich neu, das Bild, das beim Anderen entsteht, kann mein Selbstbild bereichern und verändern, aber ich tue gut daran, nicht zu vergessen, dass es sich um bloße Bilder handelt: statische Momentaufnahmen von Aspekten des Daseins und Soseins, auf die ich mich besser nicht festnagele.

Alleinsein bedeutet vor diesem Hintergrund ein Loslassen aller Bilder und Formen, ein Bad in der Leere, ein Löschen sämtlicher Speicher. Allein bin ich nichts Bestimmtes und finde zurück zur Möglichkeit, alles zu sein – zumindest potenziell. Wie angenehm, so wunderbar „undefiniert“!

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Claudia am 31. März 2004 — Kommentare deaktiviert für Vom Nutzen der Leere

Vom Nutzen der Leere

Die Sonne scheint, der Himmel ist blau. Ich trete auf den Balkon und schüttle über mich selber den Kopf: zum ersten Mal hab ich diese kurzfristig blühenden Ex-und-Hopp-Gewächse in Kästen gesetzt, auf dass ihre drastischen Farben den Frühling JETZT SOFORT erlebbar machen. Primeln, Stiefmütterchen – oh Gott, hätte mir das früher jemand prophezeit, ich hätte mir an den Kopf gefasst. Und jetzt gefällt es mir! Wer weiß, vielleicht mach ich ja auch eines Tages Kaffeefahrten mit und kaufe in der dazu gehörenden Werbeveranstaltung überteuerte Heizdecken!

Im Frühling müssen die Zimmerpflanzen mal wieder gedüngt werden. Oder umgetopft. Ob das auch für Menschen gilt? Für mich? In dieser Woche ist ein Schreibimpulse-Kurs zu Ende gegangen und auch das Re-Design eines Maler-Shops, das mich endlos lang beschäftigt hat, ist abgeschlossen. Ein weiterer Auftrag wird ebenfalls noch diese Woche fertig – und dann ist PAUSE!

Die Pause hab ich nicht geplant, aber sie kommt genau richtig. Langsam weicht die Verstrickung in Geschäftigkeiten ein Stück zurück. Am Sonntag hab ich es gar geschafft, einen Teil der Verwaltungsarbeit abzuwickeln, die ich so miesepetrig vor mir hergeschoben hatte. Anfang nächster Woche werde ich FREI sein: morgens den PC einschalten und mich fragen können: WAS JETZT?

Das hab‘ ich lange nicht mehr erlebt! Mindestens ein dreiviertel Jahr nicht. Jetzt, inmitten dieser Frühlingsstimmung, spüre ich, wie sehr es mir gefehlt hat. Nicht die Ruhe, die Pause, die Erholung, sondern dieses Gefühl, dass da vor mir ein freier Raum voller Möglichkeiten liegt, aus dem ich jetzt schöpfen kann: etwas ver-wirklichen, was es so vorher nicht gegeben hat. Etwas, das mich auf neue Weise fordert, ein Hauch von Abenteuer!

Das letzte Abenteuer auf meiner To-Do-List, den Kurs „Club der erotischen Dichter“, musste ich verschieben. Zuwenig Mutige haben sich angemeldet, also bekommt die Sache noch mal vier Wochen Vorlauf. Anders als in den anderen Kursen gestatten wir hier Anonymität unter den Teilnehmern – und doch scheint es eine ziemliche Hürde zu sein, sich schreibend diesem Thema zu nähern. Komisch eigentlich, wenn man bedenkt, wie sexualisiert und enttabuisiert die mediale Welt seit Jahren daher kommt!

Nun, in der „Pause“ wird mir vielleicht etwas dazu einfallen, irgend eine Form der „Verführung zum Mitschreiben“, mal sehen. Vielleicht werde ich aber auch selber verführt: von etwas ganz Neuem!

Navigieren ?

Immer wieder erlebe ich, dass mir nahe stehende Personen wie selbstverständlich davon ausgehen, dass ich meine „Orientierung“, also das Woher/Wohin/Wozu/Wer bin ich „aus dem Internet“ beziehe. Sie glauben, da gäbe es Gemeinschaften und „hoch stehende Persönlichkeiten“, mit denen ich im fortlaufenden Dialog stehe. Jedes Mal, wenn mir das gesagt wird, wundere ich mich! Wie kommen sie nur darauf? So ein „Dialog der Weisheit“ ist doch etwas ungeheuer Seltenes – und per Internet auch nicht leichter zu finden als im sogenannten „realen Leben“. Er ist nicht bloß Text: Worte und Meinungen, folgenlos im Nichts getauscht, sondern er bedarf einer persönlichen Beziehung auf der Basis von Liebe. So etwas zu erleben, ist eine Sternstunde, ist die Ausnahme von der Regel – und als solche alles andere als verlässlich! Sobald ich an einem solchen Dialog festklebe, mich wirklich einlassen will auf den „großen Anderen“, werde ich mit geradezu automatenhafter Sicherheit frustriert.

Der „Guru on Demand“ ist eine Illusion, geschaffen durch meine eigene Imagination – das zu wissen, macht frei und einsam zugleich.

Frei, weil es mich ermächtigt und in die Lage versetzt, auch von meiner Zimmerpflanze zu lernen; vom Putzmann, der einmal die Woche das Treppenhaus reinigt und von der freundlichen Bedienung im Restaurant. Und einsam, weil die gemütliche Alltagsillusion, es gäbe ein tieferes Miteinander, das die grundsätzliche Getrenntheit aufhebt, einfach nicht zu halten ist. Jedes Gegenüber, jeder Andere, ist auch nur ein „ganz normaler Mensch“ wie ich. Also einer, dem im Zweifel die eigene Haut näher ist als die Befindlichkeiten des Nächsten.

So navigiere ich in der Regel alleine durchs Dasein. Die Frage, woran ich mich orientiere, kann ich nicht umfassend beantworten. Alles, was ich „tue“, wenn ich nicht weiß, wo’s lang geht, ist Hinsehen. Das anschauen, was ist. Und zwar solange, bis sich all die Schichten der Wünsche, Illusionen und Ängste verflüchtigen, indem sie ihren Charakter als „Schall und Rauch“ offenbaren. Was bleibt, ist Tatsache – und Tatsachen sind leer. Ohne mich, ohne mein Bewerten und Be-Deuten entlang an eigenen Interessen (sei das nun ein bloß persönlicher Wunsch oder die Rettung der Menschheit), hat nichts Bedeutung. Ist einfach Sternenstaub, der im Universum kreist.

Diese kleine Meditation bewirkt eine Art „Arbeitsspeicher löschen“ im eigenen Mind. Und emotional ereignet sich das Wunder, dass ich den Abgrund unter mir zwar sehe – tatsächlich ist da kein Boden, auf dem ich stehe! – aber ich dennoch nicht hineinfalle, sondern schwebe, fliege…

Naja, nicht immer, aber immer öfter! :-)

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