Thema: Lebenskunst, Philosophisches

Reflexionen über Wesentliches

Claudia am 02. Oktober 2003 — Kommentare deaktiviert für Das Problem mit dem Glück

Das Problem mit dem Glück

Endlich wieder ein leerer Kühlschrank! Naja, nicht ganz, aber übersichtlich: Aprikosen- und „Waldbeeren“-Marmelade, Butter, drei Eier, im Gemüsefach fünf Zwiebeln, in der Tür Gewürzgurken, zweimal Artischockenherzen in ÖÖl und ein Rest H-Milch, fettarm, der noch für einmal Kaffee reicht. Die Leere gefällt mir so gut, dass ich sogar Lust zum Putzen verspüre, aber ich bezähme mich. Man muss ja nicht allen Lüsten immer gleich folgen.

Glück. Immer öfter fällt mir auf, wie in völlig banalen Situationen, die nichts derartiges erwarten lassen, Glücksgefühle auftreten. Grundlos. Oder, wenn ich schon darauf bestehe, einen Ursache-Wirkungszusammenhang zwischen gleichzeitig existierenden Erscheinungen herzustellen: aus den seltsamsten Gründen! Ein fast leerer, leicht verdreckter Kühlschrank macht mich glücklich, voll ekelt er mich an.

* * *

Glück. Es überfällt mich aus heiterem Himmel und ich komme schlecht damit zurecht. Da trete ich zum Beispiel in mein Arbeitszimmer, gehe bis in die Zimmermitte, wo mir auffällt, dass ich ja jetzt nicht – wie immer – nach rechts gehen werde, Richtung Cockpit. Hab mich ja grad erst erfolgreich losgerissen, ohne Bedauern, aber auch ohne Freude (Real Life ist schon auch ein bisschen gewöhnungsbedürftig!). Ich stehe also in der Zimmermitte und schaue mich um. Von hier aus kann ich die ganze Wohnung einsehen, durch die Flügeltür vor mir übersehe ich das Wohn-Schlafzimmer, durch die andere blicke ich über den kaum mehr als einen Quadratmeter großen Flur in Bad und Küche – na ja, in der Küche seh ich nicht weit, aber immerhin. Und wenn ich mich umdrehe, schaue ich durch die Balkontüren auf das immer noch grüne obere Drittel einiger Bäume auf dem Rudolfplatz. Darüber Himmel.

Nichts Besonderes also. Und plötzlich: Glück! Eine Welle aus Wärme, Licht und Leichtigkeit, die Erdenschwere scheint weniger zu werden. Dafür erhöht das Herz seine Temperatur (Liebe brennt, im Moment ist es ein warmes, angenehmes Glühen), während ich – weder schwebend noch nicht schwebend – ein wenig umher gehe. Im Gehen ist die Leichtigkeit noch weit präsenter, jede Zelle freut sich, nicht so schwer zu sein. Ich registriere, dass ich erstaunlich enspannt bin, obwohl doch ein typischer Sitztag ohne gesunde Pausen hinter mir liegt.
Prompt wundert sich etwas, ein Fragen will anheben – aber ich kann mich noch mal bezähmen und schaue in die verschiedenen Räume, ohne etwas Bestimmtes ins Auge zu fassen. Freue mich einfach über die Ein- und Überblicke, die Helligkeit überall.

Mein Körpergefühl nähert sich dem Optimum und ich registriere nun auch die innere Ruhe. Keine Angst. Kein Sehnen. Wie wunderbar! Der Atem vertieft sich, wodurch das Empfinden auf allen Ebenen intensiver wird. Noch mehr Wärme, Licht und Leichtigkeit, noch mehr Gefühl im Herzen – ich gehe wieder in die Küche und wasche mir die Hände mit kaltem Wasser, gehe sogar aufs Klo, aber es ändert sich nichts. Stabiles Glück, kaum aushaltbar!

Es steigert sich, indem ich es bemerke. Doch gleichzeitig setzt sich das Fragen durch: Wieso fühl ich mich jetzt so? Gibt es einen Grund? Was soll ich jetzt damit machen? Wohin mit dem Glück? Ist es teilbar, mitteilbar, übertragbar? Es gelüstet mich nach einem Akt der Liebe, ein Verlangen, mich zu verströmen setzt ein. Geliebte Menschen kommen mir in den Sinn, doch mein Geist lehnt sie als potenzielle Adressaten für den Moment ab. Sie sind zu wenig bedürftig, ich will doch nicht Eulen nach Athen tragen! Also weiter. Wie ein Suchscheinwerfer leuchtet mein Denken die Ebenen des Seins aus, um eine Anwendung, eine Augabe, einen Auftrag zu erkennen. Das ist der Moment der Projektideen, mehrere gleichzeitig strengen sich jetzt redlich an, den Augenblick des Glücks für ihre Wiedervorlage zu nutzen. Wenn ich mich zu einer von ihnen bekenne, fällt mir jetzt ein, werde ich gleich nach rechts Richtung Schreibtisch gehen und mich wieder auf den Stuhl vor den Monitor setzen. Meine „Grundeinstellung“, Klinger default. Bei aller Liebe, dazu hab‘ ich grad keine Lust!

Was also tun? Ich gehe weiter umher, ziehe auch mal größere Kreise durch alle Räume – soll ich vielleicht raus gehen, einen Spaziergang machen? Ich trete auf den Balkon und sehe hinunter auf die Straße. Es dämmert, der Abend ist kühl und feucht, der Himmel wolkenverhangen. Nichts zieht mich dorthin. Aber wie wunderbar, dass ich von hier aus so weit sehen kann! Der unverstellte Blick in alle Richtungen war ein wichtiger Grund, diese Wohnung zu nehmen. Mein momentanes Befinden kann daher allerdings nicht rühren. Schließlich hab ich diesen Ausblick immer, nicht aber dieses Glücksgefühl.

Habe ich es denn? Nein, es hat mich. Ich kann mich nur wundern und dumme Fragen stellen, nach Ursachen forschen und mögliche Wirkungen abwägen – ich? Warum sage ich zu den Gedanken, die unabweislich von selber kommen, „ich“, wogegen das Gefühl und die Empfindungen als ein „Zustand“ betrachtet werden?

Tu ich ja nicht! In dem Moment, in dem es gelingt, diese Gedanken loszulassen, BIN ich es. Bin dieses innere Brennen, diese Wärme, Helligkeit und Leichtigkeit. Bemerke es, es intensiviert sich, der Atem vertieft sich, ich gehe weiter umher. Unruhiger jetzt. Will teilen, mich verströmen, vielleicht hinaus gehen, irgendwohin, wo Menschen sind. Doch gleichzeitig will ich auch nicht. Es gibt ja nichts zu sagen. Ich weiß keinen „Weg“ zu diesem Glück, es hat mich überfallen. Aber sie würden versuchen, mich in ihre aktuellen Klagen einzubeziehen und wären sauer, wenn das nicht gelingt. Mit Liebe kann die Welt nicht viel anfangen.

Soll ich etwas schreiben? Nein!!! ICH WILL NICHT vor dem PC sitzen, jetzt nicht. Ich gehe weiter umher. Scanne meinen Körper und spüre nach, was eigentlich mit meinen drei chronischen Zipperlein los ist, aber oh Wunder, nichts nervt! Nicht, dass ich plötzlich gesundet wäre, aber irgendwie ist alles gut, wie es ist. Die Entspannung und Wärme überstrahlen bei weitem die kleinen Reste gewohnter Missempfindungen, ich muss richtig nach ihnen suchen – bin ich eigentlich verrückt? Warum SUCHE ich das Unangenehme, warum stelle ich das Glück laufend in Frage?

Mein Denken beginnt, mir auf den Keks zugehen. Soll ich es überschreiben? Etwas lesen? Eine Zeitung – oder vielleicht eine Mailingliste? Dafür müsste ich an den PC, das fällt also aus. Doch auch nach Gedrucktem gelüstet es mich nicht, wie ich merke. Ich will jetzt nichts wissen, meine Stimmung braucht nicht weiter gehoben zu werden, ich brauche keine Infos und muss nicht erbaut werden. Auf Geschichten aus fremden Leben, echten oder erdachten, hab ich erst Recht keine Lust – allenfalls könnte ich jetzt so was wie „die Meißelschrift vom Glauben an den Geist“ lesen, aber auch sie interessiert mich im Moment nicht. Ich brauche keinen mentalen Input, will eigentlich nur, dass die bereits vorhandenen Gedanken mit ihrem langweiligen Fragen und Rechnen, ihrem Suchen nach Gefahr und Widrigkeiten, nach Aufgaben und Gründen endlich aufhören.

Ich will nicht denken, sondern leben. Aber was heißt das – jetzt zum Beispiel?

*

All das kann ich nicht lange ertragen. Das Befinden neigt dazu, in Ekstase und Euphorie überzugehen, bei steigender Unruhe. Ich tue dann in der Regel etwas Drastisches, um die Situation zu verändern, koche mir was und esse zuviel, oder lege mich in die heiße Badewanne. Oder ich gehe wirklich raus, vielleicht einkaufen, vielleicht einen Besuch machen, Leute treffen (womöglich das Glück in ein paar Glas Wein ertränken…) – was immer ich tue, es ist eine Art Scheitern, ein unangemessener Umgang mit etwas, mit dem ich nicht zurecht komme, obwohl es doch das Allerwundervollste ist.
Glück eben.

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Claudia am 17. September 2003 — Kommentare deaktiviert für Frei vom Anderen, frei vom „Damals“

Frei vom Anderen, frei vom „Damals“

Seit ich alleine wohne, verändert sich mein Leben in staunenswerter Geschwindigkeit. Die Einheit zwischen Leben, Arbeiten, Geld verdienen und über all das schreiben, die über lange Zeit Bestand hatte, gibt es nicht mehr: ich hab sie einfach auseinander fallen lassen, mich sogar begeistert an der Demontage beteiligt. Nun liegen alle Teile unverbunden herum, neue sind hinzu gekommen und ich bin gespannt, welche neue Gestalt das alles noch annehmen wird.

Gespannt? Ja, schon, aber es ist nicht mehr so, dass ich einfach nur zusehe, was „sich ergibt“. Im Frühjahr hab ich beschlossen, in Zukunft mit dem, was mir am meisten Freude macht, auch Geld zu verdienen. Ich will nicht mehr (bzw. immer weniger) Brotarbeit leisten, um freie Zeit für „das Eigentliche“ zu haben, wobei das „Eigentliche“ recht formlos und spontan bleibt und selten zu dem Niveau heran reift wie meine bezahlten Dienstleistungen.

„Im Auftrag“ zu arbeiten, so richtig mit Termin und konkretem Ziel, bedeutet innere Sammlung, Konzentration, Mobilisierung aller Fähigkeiten und natürlich Anstrengung. Dieser Anstrengung entspricht am Ende die Freude über das Werk und das verdiente Geld. Warum sollte diese „High Performance“ immer nur im Dienste Anderer stehen, deren Aktivitäten unterstützen, fremden Werken und Unternehmungen dienen? Womit ich nicht sagen will, dass ich keine Lust zum Dienen hätte, im Gegenteil: gerade das fühlt sich am stimmigsten und glückbringendsten an, wenn man das „Ureigene“ als Beitrag in die Welt setzt und es tatsächlich Menschen gibt, die etwas davon haben und denen es etwas wert ist.

Gedacht hab‘ ich das lange schon, aber nichts gemacht. Dazu brauchte es tatsächlich das alleine Wohnen: es bewirkt eine radikalere Art, auch innerlich mit sich alleine zu sein. Nicht mehr „der Andere“ steht stets bereit, zu sagen, was gut und richtig, was angesagt und überflüssig ist, sondern ich muss es selber tun. Das ist keine nachträgliche Kritik an meinem Ex-Lebensgefährten, denn JEDER Andere sagt bereitwillig diese Dinge. Jeder Mensch gibt das je Eigene nach außen und vertritt es als das Richtige. Und es ist ja so leicht, da zuzuhören, die eigenen Impulse nicht ganz ernst zu nehmen! Der konkrete Andere ist „die Welt“, er begegnet mir als Realität, als Tatsache, wogegen ich mir selber immer als „unfertig“ vorkomme, ständig im Fluss. Ich kann jederzeit umdenken, stelle mich selber ständig in Frage, springe von Idee zu Idee, von Verlangen zu Verlangen, von Meinung zu Meinung, wogegen der Andere einfach so sagt, was Sache ist. Er mag innerlich ebenso unsicher sein wie ich, allein der existenzielle Unterschied zwischen „Ich“ und „Du“ bedingt dieses Erleben.

Nun sind alle „Anderen“ gleich weit von mir entfernt, zumindest empfinde ich das im Alltag so. Ich kann mich sammeln, bleibe automatisch länger bei meinen jeweiligen Ideen und Vorhaben und erlebe, wie es ist, alle Entscheidungen alleine zu treffen und zu verantworten. Dabei ist mir erst richtig bewusst geworden, wie sehr ich das im bisherigen Leben vermieden habe! Zwar war ich immer schon recht aktiv und unternehmungslustig, aber ich brauchte Andere, die gemeinsam das Entscheiden besorgten. In einer Gruppe habe ich kein Problem, meine „Sicht der Dinge“ durchzusetzen, bzw. dies zumindest zu versuchen. Wenn es gelingt, wenn das, was ursprünglich allein meine Idee war, sich als Gruppenbeschluss durchsetzt, gibt’s auch kein „Problem“ mehr: sie haben es geprüft und für gut befunden, jetzt muss ich es nicht mehr alleine verantworten, mir mögliche negative Folgen und schlechte Ergebnisse nicht alleine ans Bein binden.

Die Gruppen hatte ich lange schon hinter mir gelassen, doch zumindest brauchte ich EIN Gegenüber! Einen Auftraggeber, der weiß, was er will. Einen Co-Worker pro Projekt, der mit mir entscheidet, was wir jetzt machen. Und im Privatleben EINEN Gefährten, sicherheitshalber einen, der „im Prinzip nichts will“, denn schließlich wollte ich frei sein, mich nicht groß anpassen müssen, gar einem fremden Willen unterwerfen. Eine Illusion, wie ich im Nachhinein sehe, denn ich habe mich ans „Nichts -Wollen“ angepasst.

All das hab‘ ich gewählt, weil ich es brauchte, weil ich es so wollte, ohne mir ganz klar zu sein, aus welchen Antrieben oder Verweigerungen heraus es geschah.

Und jetzt bin ich also allein! Folge meinen Impulsen, treffe Entscheidungen, mache wieder Pläne, setze um, was ich für gut und erfolgsversprechend halte und tatsächlich: es geht! Es macht sogar ungeheuer Spaß, wenn ich mich auch immer wieder frage: Ist das jetzt richtig? Darf ich das? Sollte ich das? Kann ich das?

Ich kann, darf und sollte auf jeden Fall weit mehr, als ich bisher glaubte. Da mögen Rückschläge kommen, Misserfolge und mancher Ärger: im eigenen Leben sitze ich nicht nur in der ersten Reihe, ich gestalte auch das Stück selber, das gespielt wird. Eigentlich eine verdammt banale Erkenntnis, aber wie langwierig, sie auch wirklich zu leben!

Die Last der Vergangenheit abwerfen

Ebenso schwierig wie die Befreiung vom „schützenden Anderen“ ist die Loslösung vom eigenen „Meinen“. Ich bemerke einen ungeheuren Wust von Meinungen über mich selbst, die ich in etlichen Jahrzehnten angesammelt habe. Die sind zustande gekommen aus Situationen heraus, aus leid- oder freudvollen Erfahrungen, in denen ich mich so oder anders verhielt und daraus dann meine Schlüsse zog, ein Selbstbild aufbaute. Ich will jetzt nicht mit Beispielen langweilen, nehme nur eine typische Schiene, die viele kennen und selber erleben: der Blick in die Kindheit. Immer wieder höre ich Menschen sagen „Ich bin so, weil…“, und dann folgt irgend eine Traumatisierung oder andere, weniger drastische Formungserlebnisse, die als Erklärung für das „Jetzt“ dienen soll, bzw. als Rechtfertigung für eine Einschränkung im Heute.

Nichts dagegen, das alles anzuschauen! Es ist erhellend, die Traumatisierungen, Indoktrinierungen und Konditionierungen zu erkennen, seien sie aus der Kindheit, der Jugend oder der heutigen Gesellschaft. Aber muss das heißen, daran kleben zu bleiben? Bin ich denn ein Stein, von Bildhauern geformt, mit denen sich nicht diskutieren ließ, und heute „fertig“, unveränderbar, leider SO und nicht anders geworden? War ich denn nicht auch schon „damals“ durch mein Denken und Meinen an der Art beteiligt, WIE ich die Realität erlebte? In welcher WEISE zwingt mich Vergangenheit JETZT? Inwiefern ist sie heute „real“, wirk-lich, wirksam?

Sie ist „da“ als mein Gedanke, als Erinnerung, die sich sogar fortlaufend verändert, je älter ich werde, denn meine Einsicht und meine Bewertungen ändern sich. Und sie wirkt fort im Körper: bestimmte Erlebens- und Verhaltensweisen bedingen bestimmte Muskelverspannungen und Körperhaltungen, die dazu neigen „chronisch“ zu werden. Der eine geht dann gebückt durchs Leben, der andere läuft besenstilartig gerade umher und kann das Becken kaum mehr bewegen. Irgendwann entwickeln sich dann die dem entsprechenden „Krankheiten“.

Müssen wir wirklich immer weiter „an der Vergangenheit kranken“??? Zwölf Jahre Yoga haben mir gezeigt, dass die psychophysische Ebene wieder in ihr natürliches, spontanes Zusammenwirken zurückgeführt werden kann (die heftigsten Veränderungen und Lockerungen spürte ich bereits nach einem halben Jahr!). Aber das alleine reicht nicht, auch im Geist muss ich bereit sein, meine Vorstellungen loszulassen. Endlich damit aufhören, mir immer wieder vorzusagen: Ich bin SO, weil..

Wie? Einfach so. Wenn der Gedanke kommt, glatt ignorieren! Ich staune selbst, wie erfolgreich das ist, aber eigentlich wundert es nicht: So ein Gedanke erhält und mästet sich durch meine Aufmerksamkeit, meine innere Resonanz, mein stetes „darauf Eingehen“. Wenn das ausbleibt, kommt er immer seltener und dann gar nicht mehr. Dafür braucht man keinen Therapeuten und spart jede Menge Geld. Das Einzige, was nötig ist, ist die Entscheidung, es für wahr zu halten, dass das SO funktioniert. Mir persönlich hat schon gereicht, es für möglich zu halten – den Rest besorgt die Erfahrung des Erfolgs.

Der Gedanke allerdings, dass ich jetzt (es ist schon halb elf!) dringlich „was Richtiges arbeiten“ muss, lässt sich nicht wegschicken. Das wird sich erst ändern, wenn auch das Digital Diary einen größeren Anteil an meinem Einkommen generiert – aber keine Sorge, das Lesen wird hier immer kostenlos bleiben!

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Claudia am 12. September 2003 — 1 Kommentar

Bondage, die Kunst des erotischen Fesselns – ein Workshop

„Ich beiße nicht“, sagt der alte Mann mit den schneeweißen Haaren, und rückt seinen wuchtigen Leib ein wenig mehr in die rechte Ecke des Zweisitzersofas, um mir Platz zu machen. „Ich auch nicht“, sag ich, setze mich neben ihn und schaue in die Runde. Ein Paar um die 40 nestelt kundig an diversen orangenen, weißen und grünen Seilbündeln, die beiden dröseln die Stricke sorgfältig auf, messen die Längen mit den Armen, und wickeln sie wieder ordentlich zusammen. Wir sind jetzt zu acht, drei Männer, fünf Frauen, die Ladeninhaberin mitgezählt, Stühle und Sofa stehen im Kreis. Es ist hell und gemütlich im RauslinkLa Luna, dem „Frauenerotiklanden, in dem auch Männer willkommen sind“. Warme Farben dominieren, an den Wänden stehen Regale mit Büchern und jeder Menge erotischer Objekte, im Hintergrund ein Kleiderständer mit Dessous. Ein prominent platziertes riesiges Ganzschalenkorsett fällt mir auf, die Walküren-Ausmaße signalisieren: auch dicke Frauen sind sexy!

Da der Laden ebenerdig liegt und von außen eingesehen werden kann, verhängt unsere Gastgeberin Fenster und Türen. Dann könnte es eigentlich losgehen mit „Bondage, der Kunst des erotischen Fesselns“, doch zunächst wird über die Lautstärke der Musik diskutiert. Sphärische Klänge aus dem Hintergrund, fast jeder möchte sie noch ein bisschen leiser haben – sehr sympathisch, ich mag nicht gegen Musik anreden müssen, und vermutlich wird hier mehr geredet als „geübt“. So zumindest lässt es der Artikel im Stadtmagazin erwarten, der mich hergelockt hat.

Helena Esprie, die 52-Jährige Kursleiterin, ist leider verhindert, erfahren wir jetzt. An ihrer Stelle werden uns Maya und Ingo (das kundige Paar) in die Kunst einführen, FAST richtige Profis, die seit Jahren miteinander Seilspiele praktizieren und zweimal im Monat in einschlägigen Clubs Performances geben. Maya beginnt mit einer einführenden Rede, erzählt von sich, von ihren Erfahrungen mit vielerlei Spielarten erotischen Tuns, die nicht so ganz dem Mainstream entsprechen. Es geht ihr darum, die Zuhörenden zu lockern, mögliche Unsicherheiten zu besänftigen, doch so, wie hier alle neugierig und interessiert zusehen, ist Schüchternheit eher nicht das Problem. Allenfalls die übliche, zögerliche Konsumhaltung: man erwartet einen professionellen „Input“ und dann klare Anweisungen, welche Art der Beteiligung gewünscht wird. Maya „lockert“ indes weiter, verliest uns eine minutenlange erotische Fantasie, eine Geschichte, die einzig davon handelt, was einer alles denkt, der seine Freundin erstmalig erfolgreich gefesselt hat und nun zu Taten schreiten will. Er denkt viel, sehr viel, und ich denk bei mir: das ist ein Fehler!

Wann werden wir endlich selber reden, miteinander ins Gespräch kommen? Es wirkt fast ein wenig absurd, alle sehen so aus, als würden sie gerne reden, aber niemand mag anfangen. Auch ich nicht, hab‘ ich doch gelernt, meine Löwennatur nicht mehr immer und überall in den Vordergrund zu drängen und das Wort zu ergreifen, wenn die anderen sich nicht trauen. Maya „droht“ schließlich mit einem Assoziationsspiel, was gottlob von einer der Frauen abgelehnt wird: „Ich bin besser im Erzählen, als in Assoziationsspielen“, sagt sie, und alle atmen erleichtert auf. Elke (ich nenne sie mal so) berichtet, dass sie auf Anregung ihres Freundes einige passive Erfahrungen gemacht hat und dabei feststellte, dass sie lieber selber aktiv sein möchte, selber fesseln! Dafür sucht sie nun Tipps und Tricks. Auch Andrea und Birgit wollen ihren Horizont erweitern, Andrea ist stark, kräftig, mächtig und immer aktiv, es reizt sie, die Macht abzugeben und einfach mal „machen zu lassen“. Birgit ist mit einer Hure befreundet, von der sie sich seit zwei Jahren Geschichten erzählen lässt, spannende Geschichten aus deren Berufsleben, doch jetzt will Birgit mal „selber was erleben“.

Andy, der junge Mann auf dem Stuhl rechts neben mir, hat seit vier Wochen eine neue Freundin, die ganz nebenbei erwähnt hat, dass sie „so was“ mag – und da sitzt er nun und will sich informieren, ganz auf die Schnelle, denn morgen schon wird sie wieder kommen. Auch Hermann, mein Sofa-Nachbar, hält nun seine Vorstellungsrede: „Wenn Fantasien da sind“, sagt er, „dann neigt man schon dazu, ihnen in der Beziehung auch mal Gestalt zu geben!“. Alle nicken. Und alle sind erstaunt, als er weiter erzählt, er habe ein einziges Mal, so ungefähr vor dreißig Jahren (!), seiner Frau ganz locker die Hände gefesselt. Das habe, für beide völlig unerwartet, eine Panik-Attacke zur Folge gehabt, weswegen es dann nie wieder zu derlei Experimenten gekommen sei. Und nun hätte er gerade zufällig vor diesem Laden gestanden, hätte die Workshop-Ankündigung gelesen, und da sei er nun!

Ich bewundere innerlich seinen Mut, mit 70+ hier so locker in der Runde zu sitzen. Auch in mir ist offensichtlich die diskriminierende Vorstellung lebendig, im vorgerückten Alter käme allenfalls noch das Gartenzwerge-Aufstellen in der Kleingartenkolonie als passendes Hobby in Betracht. Schön, dass es nicht so ist! Nach ihm bin ich selber dran, erzähle von den immer schon vorhanden gewesenen Fantasien, von den Spielen in der Kinderzeit, die mich auf mir unbekannte Weise erregt hatten; erzähle, dass es nicht möglich war, solche politisch unkorrekten Fantasien in den Beziehungen meiner ersten Lebenshälfte zu realisieren, da diese Beziehungen immer auch Machtkämpfe waren – unmöglich, mich da in eine physisch machtlose Situation einzulassen, Fantasien hin oder her. Und ich erzähle von meinem fernen Freund in B., der mich dazu inspiriert hat, mich für die Seilkünste zu interessieren – im Januar wird er mich besuchen. Bis dahin will ich nicht mehr ahnungslos sein.

Ein Hauch von Utopie…

Ach, es ist wunderbar, in dieser gemütlichen Runde zu sitzen und über erotische Träume und Aktivitäten zu reden wie über Kochrezepte und Yoga-Übungen! Warme, friedlich-fröhliche Gefühle sind im Raum, alle stehen zu sich und dem, was sie hierher geführt hat, jede und jeder ist auf je eigene Weise unterwegs zu neuen Ufern, will MEHR als das erotische Standardprogramm, ist bereit, Risiken einzugehen und sogar bereit, sich mit anderen, wildfremden Menschen darüber auszutauschen. Was für ein Unterschied zur „normalen Gesellschaft“, wo niemand je über das eigene praktische Liebesleben spricht, aber die Speise-Eis-Werbung in drastisch aufgeilender Bildersprache daher kommt. Wo man täglich mit unzähligen medial vermittelten erotischen Reizen konfrontiert wird, immer mit der Aufforderung verbunden, irgend etwas zu kaufen, was nichts, aber auch gar nichts mit Sex zu tun hat. Was würde aus dieser Kommerzwelt werden, wenn sich die Menschen einfach nähmen, was sie suchen? Ohne Umwege über nutzlose Produkte, einfach so, sich einander zuwendend???

Maya reicht jetzt Materialien herum – Tücher, Seile, gepolsterte und ungepolsterte Leder-Manschetten – und erzählt, was man alles damit anstellen könne. Sabine, die Ladeninhaberin, die „eher vom Tantra her kommt“ und erotische Massage-Wochenenden anbietet, verweist auf Federn, Handschuhe, Fell und Eiswürfel für neue Erfahrungen auf gelangweilter Haut. Dann beginnt endlich der praktische Teil: Ingo fesselt Maya! Sie ist klein und sehr schlank, trägt enge schwarze Jeans und einen entsprechenden Body – das orangene Seil, mit dem er sie kunstvoll verschnürt, sieht auf dem dunklen Stoff spitze aus. Die beiden erwähnen, dass in ihren Performances diese Seile schon mal im Schwarzlicht leuchten – hm, ich bekomme Lust, mir das mal anzugucken! Ob ich mich hintrauen werde? Es ist in Kreuzberg, meiner alten Heimat – na, mal sehen…

Danach sind wir dran. Wer mag, darf jetzt experimentieren, sich auf einen Stuhl fesseln lassen oder einfach Knoten üben – ich frag mich einen Moment, ob ich Hermann ermuntern soll, mir die Hände zu fesseln. Wer dreißig Jahre davon träumt, sollte vielleicht hier zum Zuge kommen – aber da steht schon Ingo vor mir. Er sieht aus wie ein Musketier, was Haare und Bart angeht, eine fast romantische Gestalt. Nichts dagegen, mich von ihm fesseln zu lassen! Ich schäle mich aus meinem Rock, unter dem ich eine dunkle, blickdichte Strumpfhose trage – detailliert erklärt er mir, was er macht: eine sehr einfach umzusetzende Seilführung mit diversen Knoten, einmal längs um mich herum, dann werden die Seilenden von hinten nach vorne und wieder zurück geführt. Am Ende sieht das auch an mir richtig toll aus – ich spüre die dicken Schnüre, doch meine Bewegungsfreiheit ist nur minimal eingeschränkt. Das Seil ist zu kurz für Weiterungen, es müsste ein zweites her – aber na ja, wir sind hier ja nur, um erste Anregungen zu bekommen.

Alle üben jetzt irgend etwas, Ingo vertieft sich in Anleitungen für einfache und kompliziertere Knoten – es hat jetzt was von einem Segel-Workshop. Maya steht in einer anderen Ecke und erzählt der Gastgeberin und Hermann, was es in Berlin für Clubs gibt und was dort im Einzelnen geboten wird, bzw. erlebt werden kann. Neuerdings hat sogar ein Restaurant eröffnet, in das man „im Outfit“ gehen kann. Nun ja, essen gehen ist nicht das, was ich in diesem Kontext suche!

Andy, der ja gleich morgen in die Praxis einsteigen will, fragt noch in die sich auflösende Runde, was mann eigentlich tun solle, wenn das Kunstwerk vollendet sei. Wer es gehört hat, muss lächeln: ist es nicht witzig, dass diesem gut aussehenden Twentysomething dazu nichts einfällt?

Versehen mit allerlei Infomaterial und Adressen strebe ich schließlich beschwingt in Richtung U-Bahn, fest entschlossen, Ingo und Maya wieder zu sehen, dann aber „voll in Action“. Es gibt sie also wirklich, ganz real und nicht nur im Internet: eine freizügige erotische Kultur, allein der Lust verpflichtet, voller Respekt und Achtung vor dem Anderen. Ich bin entzückt – und gewiss werde ich weiter forschen. Das Knoten-knüpfen übe ich aber besser erst mal allein daheim mit einem Buch.

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Claudia am 11. September 2003 — Kommentare deaktiviert für Sich veröffentlichen: Vom Schreiben und vom NICHT schreiben

Sich veröffentlichen: Vom Schreiben und vom NICHT schreiben

Ein Webtagebuch ist keine “technische Weiterentwicklung” eines traditionellen Tagebuchs. So manche fragend-kritisch hochgezogene Augenbraue (”Ach, du führst ein Tagebuch im Web??”) erklärt sich aus dieser schlichten Verwechslung: für die Schublade schreiben, womöglich noch in eines dieser “abschließbaren” Poesie-Alben-artigen Leerbücher, wie es viele zu Teeny-Zeiten praktizierten, ist etwas gänzlich Anderes, als sich mit persönlichen Texten einer unüberschaubaren Öffentlichkeit auszusetzen. Das gilt selbst dann, wenn im Einzelfall die Inhalte dieselben sein mögen: Im “geheimen Tagebuch” will sich der Schreibende verbergen, im Webtagebuch will ich mich zeigen.

Sich zeigen??

Wer vor den Zeiten der Ich-AG sozialisiert wurde, empfindet bei der Vorstellung, sich zu zeigen, einen gewissen Schauer von Sündhaftigkeit. Allerlei frühe Konditionierungen schlagen zu: Wer bin ich, dass ich von mir so ein “Aufhebens” machen sollte? Was habe ich schon zu sagen? Bescheidenheit, Zurückhaltung, Sich-nicht-vordrängeln, nicht “angeben”, das Persönliche hinter das Allgemeine zurück stellen – eine ganze Lawine von “Du-sollst” bzw. “Du-sollst-nicht”-Geboten purzelt aus den Schränken des Unbewussten und ergibt eine Gemengelage, deren Entwirrung sich viele lieber nicht zumuten. Der Exhibitionismus-Vorwurf droht, die Welt der Massenmedien, die ja “für die Allgemeinheit” bzw. große Zielgruppen gemacht werden, tradiert beiläufig eine Art gesellschaftliches Tabu gegenüber dem Persönlichen: Erst mal zehn erfolgreiche Romane schreiben, dann darf der Autor auch eine Autobiografie wagen! Oder Außenminister werden, und dann über den “Langen Lauf zu mir selbst” berichten.. Als veröffentlichungswürdig gilt nur das möglichst objektive Allgemeine, bzw. Verallgemeinerbare, aber weil es so schön Quote bringt, Tabus auch wieder zu brechen, werden Menschen andrerseits dazu benutzt, ihr möglichst exotisches Intimleben in unsäglichen Talkshows zum Besten zu geben. Nicht gerade förderlich, um ein entspanntes Verhältnis zum “Sich-Veröffentlichen” zu gewinnen!

Eines der ersten Webtagebücher, das ich zu Gesicht bekam, war untertitelt mit dem Satz “Diese Seite dient allein der eitlen Selbstdarstellung – was sonst?” Die Autorin hatte die “Rezeptionsproblematik” voll erkannt und sich entschlossen, den Stier mutig bei den Hörnern zu packen. Sie zeigte möglichen Kritikern lächelnd den Stinkefinger und schrieb, was sie schreiben wollte – natürlich nicht nur “eitle Selbstdarstellung”. Sie schrieb über alles, was sie beeindruckte und zum Ausdruck drängte, und war damit vielen Ermunterung und Beispiel, es ihr nachzutun.

Die Frage “Was soll ich schreiben?” ist damit im Grunde beantwortet: Wir bringen das, was uns beeindruckt, zum Ausdruck. Bereits die Eindrücke – seien es Sinneswahrnehmungen, Alltagserlebnisse, Medien-Inhalte oder Beobachtungen im Rahmen einer Introspektion – sind ganz persönlich, individuell völlig unterschiedlich. Der Schnee, der vom Himmel fällt, ist nicht für jede und jeden gleich kalt. Vom Liebsten verlassen zu werden oder eine Arbeit zu verlieren, berührt jedes Individuum anders – und das ist interessant! Indem wir uns zu lesen geben, wie wir die Eindrücke verarbeiten, was wir mit den Beglückungen und Katastrophen anfangen, die von allen Seiten täglich über uns herein stürzen, zeigen wir uns gegenseitig echte Alternativen auf. Egal, ob es sich um Großereignisse oder “Banalitäten” handelt: Wenn ich beschreibe, wie es mir damit ergeht, und zwar ohne bewusste Schönung oder sonstige Verfälschung, gibt es immer jemanden, der verwundert denkt: Ach, so geht das also auch, so kann das auch erlebt werden!

“Von sich schreiben” ist im besten Fall zweckfrei, aber deshalb nicht nutzlos. Jedes “andere Erleben”, das mir glaubwürdig und echt erscheint, obwohl es nicht das meine ist, erweitert den Raum dessen, was ich “für möglich halte” – und damit den Raum meiner Freiheit. Das je Eigene zum Ausdruck bringen ist also eine natürliche, lebensfreundliche, sowohl den Schreibenden als auch den Lesenden dienende Aktivität. Wer dazu Lust hat, ist gut beraten, die oben genannten “moralischen Vorhaltungen” locker zu ignorieren – sie treffen einfach nicht den Punkt.

Die Freiheit, NICHT zu schreiben

Wenn ich von mir schreibe, schreibe ich die Wahrheit – MEINE Wahrheit, soweit ich sie in diesem Moment erkennen bzw. überblicken kann. Manchmal ist völlig klar, über was ich schreiben werde, wenn ich mir die Zeit dafür nehme: etwas hat mich so beeindruckt, dass alle anderen Themen nicht in Frage kommen. Oft ist es auch so, dass ich mich hinsetze und warte, in mich hinein lausche und dabei regelrecht beobachten kann, wie mehrere Themen miteinander “konkurrieren” – das sitze ich dann aus, bis sich ein Inhalt erfolgreich durchgesetzt hat und ich mit dem ersten Absatz beginnen kann.

Diese Haltung zum Inhalt, der sich ausdrücken will, ist passiv, ist eher ein “Hören” als ein “Machen”. Es klappt nur, wenn ich mich unter keinerlei Druck gesetzt fühle, weder von außen, noch von einem selbst geschaffenen “Du sollst”. Es war immer gut für mich, mir in jedem Moment bewusst zu sein, dass ich auf meiner Website Königin bin: Was ich nicht zeigen will, kommt da auch nicht hin. Nichts und niemand auf dieser Welt zwingt mich, von dieser Haltung auch nur einen Millimeter abzurücken, gar wegen ihr Schuldgefühle zu empfinden! Ja, sie ist mir Voraussetzung, mich immer weiter vorzuwagen zu Themen, die bisher vielleicht “unschreibbar” wirkten, zumindest in einem öffentlichen Webdiary. Eindrücke drängen zum Ausdruck – das ist “Druck” genug!

Wenn ich zum Beispiel befürchten muss, dass etwas, das ich gerne schreiben würde, eine nahe stehende Person verletzt, dann lasse ich es. Oder wenn mich Bedenken überfallen, dass mein Auftraggeber X. bei der kirchlichen Einrichtung XY das jetzt mitlesen könnte und mich vielleicht nie wieder beauftragen wird, dann lasse ich es auch. Es bringt mir und auch niemand Anderem etwas, wenn ich mich da zugunsten einer “Offenheit” vergewaltige, die nicht WIRKLICH Tatsache ist! Die ich nicht tatsächlich spüre als vollständige Gelassenheit in Bezug auf das “Befürchtete”, sondern die ich mir sozusagen “verordne” – etwa, weil das meiner Bewusstheit und Selbsterkenntnis dienlich sei. Es ist gut, immer zu wissen, dass ich zu meiner Freude schreibe, nicht um mich unter einen “spirituellen Entwicklungsstress” zu setzen. Es genügt, wenn ich hinsehe, wenn ich zusehe, wie die Inhalte sich entfalten wollen und WARUM es an manchen Stellen hakt – dann ent-wickelt sich alles von selbst.

Es wird zum Beispiel dahin kommen, dass ich mich von der Person, die mich in Bezug auf gewisse Themen “im Ausdruck behindert” soweit entferne, dass keine Verletzungen mehr drohen. Oder ich entwickle eine andere Art, mein ökonomisches Überleben zu sichern, das mich weniger abhängig von einzelnen Auftraggebern macht. Die Impulse WIRKEN ja im Leben weiter, auch wenn ich nicht alles schreibe, weil ich dafür noch nicht frei genug bin. Bewusstheit und Selbsterkenntnis gewinne ich, indem ich all das bemerke und beobachte – und Schreiben ist ein wunderbares Mittel, da immer am Ball zu bleiben. Wenn ich FÜHLE, wie sich etwas ausdrücken will, was ich aber leider nicht “raus lassen” kann, aus welchen Gründen auch immer, dann versetzt mich das in Bewegung: wie ein Bach, der sich an einem Hindernis staut, wird der (immanente, nicht äußere!) Druck irgendwann so groß, dass ich in meinem Leben etwas verändere.

Deshalb: Auch “nicht schreiben” ist nützlich – aber nur für den, der “normalerweise” alles schreibt und auch veröffentlicht.

***

Da heute der 11.September ist, las ich mal wieder meinen ersten Diary-Eintrag nach dem Ereignis – tagelang war ich verstummt, beobachtete in mir teils erschreckend abgründige Gefühle, schnell wechselnde Meinungen, verstörende Empfindungen. Anders als sonst wusste ich, dass ich dem Thema nicht einfach ausweichen können würde. Doch während sich aller Orten die Leute mittels “spontaner Statements” in regelrechte “Flame-Wars” verstrickten, Foren schlossen, Freundschaften zerbrachen und Stockhausen ein Engagement verlor, weil er den Anschlag “Kunst” genannt hatte, schrieb ich keine Zeile. Ich wartete ab, bis ich etwas ruhiger geworden war, setzte mich dann hin und ließ heraus, was ‘raus wollte – auch die verstörenden Gefühle, mein “Gefallen” an der Katastrophe. Ich vertiefte mich solange in den “Abgrund”, bis ich durch den Boden desselben in sein Gegenteil fiel – alles zusammen konnte ich dann schreiben und rundum dazu stehen.

* Digital Diary, 18.09.01: Vom Glück mitten im Grauen

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Claudia am 29. August 2003 — Kommentare deaktiviert für Gefühle, Gedanken – und GLÜCK

Gefühle, Gedanken – und GLÜCK

Haben Gefühle einen Grund? Üblicherweise glauben wir das, sind so fest davon überzeugt, dass die Frage niemals aufkommt und wir immer nur in der Betrachtung möglicher Gründe kreisen: Ich ärgere mich – woran liegt das? Wer ist schuld? Ist es der Andere, der mich da gerade nervt, oder bin ich es selbst in meiner ganzen Daseinsgefräßigkeit ? Ist mein Gefühl berechtigt oder anmaßend? Was sagt es über mich aus, dass ich in dieser oder jener Situation ausgerechnet dieses Gefühl habe?

Welchen Sinn haben solche Überlegungen? Ich kenne zwei große Gründe, sich in derlei Spekulationen zu vertiefen, um das Gefühl denkend zu be-greifen: die Suche nach Macht und die Suche nach Wahrheit. Im Dienste der Macht will ich den Ursache-Wirkungs-Zusammenhang verstehen, um bei nächster Gelegenheit etwas „anders zu machen“, die Dinge anders zu betrachten, mich anders zu verhalten, um etwa ein „übles Gefühl“ gar nicht mehr aufkommen zu lassen. Im Dienste der Wahrheit geht es einzig darum, „zu sehen, was ist“, ohne Rücksicht auf die eigene Person. Die Macht, das eigene Leben in den Griff zu bekommen, und die Wahrheit „jenseits des Ich“ werden als oberste Werte dabei nicht weiter hinterfragt. Sie sind Dreh- und Angelpunkte, um die alles andere kreist.

Aber zurück zur Frage: haben Gefühle Gründe? Und wenn, können wir sie erkennen, in Worten dingfest machen, sie erklären? Wenn ich einen Nagel in die Wand schlagen will, nehm‘ ich mir den Hammer, also ein Werkzeug, das die Aufgabe, um die es geht, auch zustande bringen kann. Ist das Denken ein solches Werkzeug, um damit Gefühle zu erklären? Können Gefühle überhaupt „erklärt“ werden – und bringt diese Erklärung das Gesuchte: Macht oder Wahrheit?

Finden oder erfinden?

Jemand rempelt mich auf der Straße an: augenblicklich kocht ein Schwall aus Wut und Ärger hoch. Ich könnte, wäre ich nicht zivilisatorisch gehemmt, sofort zuschlagen. Klare Sache, oder? Doch ein andermal schaue ich nur kurz auf, bemerke, dass mich da jemand in seiner weltvergessenen Beschäftigtheit zufällig touchiert hat, und gehe weiter meinen Gedanken und Beobachtungen nach. Gänzlich unberührt. Doch damit nicht genug: An einem anderen Tag, als mich wieder einmal jemand fast umrennt, sehe ich mir den Anderen an, gewahre seine Eile, seine Gehetztheit, sein Ausgeliefert-Sein an Dinge, die nicht aus ihm selber kommen – und fühle mit, empfinde Liebe, Wärme und Traurigkeit, weil ich ihm nicht helfen kann.

In jedem einzelnen der beschriebenen Fälle lassen sich Gründe für die jeweilige Gefühlsreaktion (er-)finden, sogar mehr als genug. Es ist eine Eigenschaft des menschlichen Geistes, in allem über kurz oder lang Ordnungen und Gesetze zu erkennen, selbst im größten Chaos. Ob aber die gefundenen Erklärungen „stimmen“, dafür gibt es KEINE Beweismöglichkeit – Gefühle sind etwas völlig anderes als Gedanken, sie lassen sich nicht auf Gedanken zurück führen. (Das ist so absurd wie gewisse Bildinterpretationen: Was will uns der Künstler damit sagen? Hätte er etwas SAGEN wollen, hätte er geschrieben, nicht gemalt.)

Vernetzte Impulse

Haben Gefühle also KEINE Gründe? Stehen sie völlig isoliert in der Welt wie Meteore aus unbekanntem Gestein von fernen Galaxien? Das nicht. Natürlich haben Gefühle Ursachen, und zwar jede Menge! Diese Ursachen reichen vom Mückenstich, der mich gerade belästigt, über Charaktereigenschaften, die mir eigen sind, bis hin zu allgemeinen, nur abstrakt formulierbaren Gegebenheiten der Welt, in der ich lebe, vom Klima bis zum Kapitalismus.

Ein Gefühl, wenn ich es schon in Worte fassen soll, ist für mich vergleichbar dem, was man sieht, wenn in einem bildgebenden Verfahren ein „aktiviertes Hirnareal“ sichtbar gemacht wird. Vernetzte Impulse, ein Energieschub bringt allerlei Drähte zum Glühen, und zwar quer durch verschiedene Seinsdimensionen. Der Impuls breitet sich aus, verzweigt sich vielfach, gibt Anstöße und erzeugt Reaktionen – dann beruhigt sich alles wieder und schon gleich geht es anderswo los.

Die „Drähte“, ihre Kontakte und Verzweigungen, also die Kommunikationswege in diesem Bild, sind immer sowohl Grund als auch Wirkung – und alles ist organisch gewachsen, nicht etwa nach einem Plan vorab entworfen oder entstanden, der uns Orientierung ermöglichen würde, könnten wir ihn nur endlich erkennen. Dennoch kann ich einzelne „Drähte“ und Kontakte ansehen, und sehe immer „einen Grund“, bzw. „eine Wirkung“. Diese zu verabsolutieren wäre allerdings völliger Unsinn. Sie gänzlich zu negieren ebenso.

In dem, was ich gerade betrachte, gibt es selbstredend keine scharfe Kante zwischen INNEN und AUSSEN, zwischen „ich“ und „Welt“ – das macht die Sache für den Zugriff des Verstandes noch einmal un-begreiflicher. Denn dieser braucht die scharfe Scheidung zwischen dem Beobachter und dem Beobachteten, sonst gibt er den Löffel ab und zeigt den Blue Screen, ganz wie Windows nach dem Absturz.

..ein bisschen erkennen, ein bisschen leben..

Was folgt aus alledem? Wie steht es mit der „Macht“ und mit der „Wahrheit“? Komme ich diesen Zielen näher, indem ich über mögliche Ursachen von Gefühlen grüble und versuche, ein möglichst großes Stück der jeweiligen Zusammenhänge in den Blick zu bekommen? (Wohl wissend, das ich das Ganze nicht erkennen kann, denn „ich“ gehöre ja dazu, bin auf unabgrenzbare Weise überall hinein verwoben.)

Man könnte denken: Absolut gesehen bringt es nichts, aber „ein Stück weit“ kann man sich doch annähern: Je mehr ich überblicke und interpretieren kann, desto besser kann ich navigieren, kann mir meine Welt zu eigen machen. Und je mehr ich sehe, desto näher bin ich der „Wahrheit“, wenn ich dort auch (denkend…) niemals ankomme.

Ungefähr so hab‘ ich jahrelang gelebt und gedacht. Glaubte, das sei alles, was zu erreichen, zu erkennen, zu erleben sei. Jetzt aber bemerke ich eine grundstürzende Veränderung – und zwar eine, die sich über das Erleben von GLÜCK ins Bewusstsein drängt, nicht über Leiden, wie alles bisherige. Ein Glück, das ich fortlaufend in mir spüre, ohne dass es einen definierbaren Grund hätte – insofern ist das, was ich hier hinschreibe, natürlich auch nur wieder eine denkende Spekulation.

Macht und Wahrheit

Ich grüble nicht mehr über Gründe, sondern ich generiere Glück. Wenn es unübersichtlich viele Zusammenhänge zwischen allem und jedem gibt, wenn es eine Eigenschaft meines Denkens ist, Ordnungen im Chaos zu sehen, dann kann ich diese ebenso gut selbst auswählen und setzen. Kann selbst den Dingen DIE Bedeutung zuordnen, die aus meiner Gesamtsicht, aus meinem gesamten Erleben jetzt das Glück vermehrt und nicht das Leid. Nicht nur „mein Glück“ oder „dein Glück“ – aber auch!

„Jetzt“ ist das Stichwort: Die ZEIT verunmöglicht es grundsätzlich, mittels spekulierendem Denken zu wirklicher Macht, zur ganzen Wahrheit, oder gar zum Glück zu kommen. Im oben beschriebenen Beispiel aus dem Alltag wird ja klar: Alle drei Möglichkeiten der Gefühlsresonanz kann ich erleben, mal bin ich SO, dann wieder ganz anders. Was also könnte ich aus einer einzelnen Reaktion Sinnvolles folgern? Alle drei Varianten legen eine andere Antwort nahe auf die Frage „Was kann ich tun?“ und/oder auf die Frage „wer bin ich?“. Wenn ich eine dieser Antworten ergreife, ihr Wahrheit und Bedeutung zugestehe, mich also damit identifiziere, dann zahle ich auch den entsprechenden Preis! Ich schränke mich selber ein, indem ich begrenzte Vorstellungen von mir hege, die wiederum Folgen für mein Verhalten und meine Selbstwertschätzung haben.

Mit Staunen bemerke ich, was ich alles schon über mich glaubte! Da wirken Gedanken fort, deren Ursachen und Kontexte, in denen sie einmal entstanden sind, seit zwanzig, dreißig Jahren keinerlei Bedeutung mehr haben. Ja, die ich manchmal sogar gänzlich vergessen habe – aber DAMALS hatte ich eine zum aktuellen Geschehen passende Antwort auf die Frage „Wer/wie bin ich?“ gegeben – und das Verhalten, das Denken und Fühlen, das sich daraus (logisch-folgerichtig) entwickelte, hängt mir noch heute um die Seele wie der sprichwörtliche „Muff von 1000 Jahren“!

Dies alles rück-abzuwickeln ist müßig, bringt vielleicht allerlei interessante Einsichten, aber keine Veränderung. Was die Frage nach der Macht angeht, führt das Analysieren, Folgern und Planen zu einem „Leben vom grünen Tisch“ des Verstandes aus. Ich lebe dann nicht mehr aus dem Jetzt, sondern im Blick auf meinen Plan von der Zukunft, von einem besseren Verhalten und daraus sich vielleicht einmal ergebenden besseren Leben. So richtig „Leben“ ist das aber nicht, nur ein grauer, krampfiger Versuch, sich mangels Alternative irgendwie durchzuwursteln.

Was die Wahrheitsfindung angeht, führt die forcierte Selbstbespiegelung zwangsläufig irgendwann in die desolate Situation des Tausendfüßlers, der sich zu fragen beginnt, wie er das Laufen eigentlich bewerkstelligt. Die Bauchlandung ist programmiert: da liegt er nun auf dem Boden, kann nicht mehr gehen, nicht mehr leben, nicht mehr blühen und das Glück des Daseins fühlen, glaubt sich aber auf dem Grund aller Dinge angekommen: seine „Wahrheit“ hat ihn kalt erwischt!
Glück!

Der Knoten des „ergründen-wollenden Denkens“ ist nicht „in der Zeit“ zu entwirren, sondern nur im Augenblick zu durchschlagen. Ich bin NICHT Ergebnis und Opfer meiner Vergangenheit oder irgendwelcher „Verhältnisse“ – ich bin Opfer meines Denkens darüber, was das alles „zu bedeuten hat“ und was daraus folgt.

Das zu erkennen – und sich immer wieder daran zu erinnern, wenn eigene oder fremde Deutungen „zuschlagen – macht nicht nur frei von jeder Menge leidvoller Altlasten, sondern eröffnet auch die bis dahin ungekannte, weil nicht „für möglich gehaltene“ Möglichkeit, SELBST zu deuten, selbst Bedeutung (und damit Wirk-lichkeit) zu erschaffen und als ureigenen Beitrag in die Welt zu entlassen. Nicht mehr stets nur am „Bestehenden“ leiden, die Welt und mich selbst in Grund und Boden kritisieren, rechthaberisch im Elend kreisen – sondern etwas erschaffen: aus Liebe, Freude und Lust.

In diesem Diary und anderswo sprach ich oft davon, dass ich nicht viel grüble, sondern meistens „den Impulsen folge“. Jetzt erlebe ich, dass ich nicht nur Impulsen folgen, sondern sie auch GEBEN kann – sie setzen, aus mir selbst erschaffen.
Einmal angefangen, werd‘ ich gewiss nicht wieder damit aufhören. Es bringt riesengroße Freude, ist immer neu und abenteuerlich – ja, es macht einfach glücklich!

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Claudia am 18. Juni 2003 — Kommentare deaktiviert für Weiblich und männlich – Alles und Nichts

Weiblich und männlich – Alles und Nichts

Wenn die Schubladen verschwinden:

Wenn die Bäume sich im Getöse der „orkanartigen Bö“ ungewohnt weit zur Seite neigen, wenn der Sturm mit Knall und Geschepper Gegenstände von den Baugerüsten reißt, Staubwolken, Pappe, Blätter und herab gestürzte Äste durch die Straßen treibt, wenn der Himmel sich verdunkelt, Blitze durch die Wolken zucken, und in den Sekunden danach sich die Zeit in Erwartung des Donnergrollens regelrecht zu dehnen scheint: wenn dann manche einfach vor den Kneipen sitzen bleiben und interessiert zusehen, als liefe ein Naturfilm im Fernsehen, bis der knapp vor den eigenen Füßen zerschellende Blumenkübel aus dem 4.Stock doch aufmerken lässt – ja, dann fühl‘ ich mich seltsam glücklich!

Jetzt scheint die Sonne, nur ein paar sanfte Schönwetterwolken segeln am Horizont daher. Ein vermutlich gemeinnütziger Arbeiter gießt den frisch eingesähten Rasen rund um das neue Schachspielfeld auf dem Rudolfplatz – am kollektiven Freizeitpark wird weiter gebaut, auch in Zeiten dramatisch leerer Kassen. Schach hab ich auch mal gespielt, fällt mir da ein, Anfang 20, Regionalliga Hessen Süd: Sonntags vier bis fünf Stunden gezittert, geschwankt zwischen einer Art Mordlust und der Angst, zu verlieren, mich zu blamieren, wo sie – alles Männer! – doch sowieso dazu neigten, mich erst mal für die Bedienung zu halten. Schweißausbrüche, extreme Spannung, heiße und kalte Schauer über den Rücken, wenn der Gegner endlich den falschen Zug machte. Die Aufregung versetzte den Körper in gänzlich unbekannte Alarmzustände – ohhhhhhh, der Adrenalinrausch hatte mich fest im Griff, während Freund und Feind des eigenen und gegnerischen Vereins ums Brett herum standen und kibitzten, wie „das Mädel sich wohl schlägt“, dabei mit entsprechenden Bemerkungen nicht sparend. Als dann in allen Vereinen endlich klar war: neben der 70jährigen Frau J. gibt’s jetzt NOCH EINE FRAU, die auch nicht schlecht spielt, war dann aber bald die Luft raus. Schach war mir nur Mittel bzw. Waffe gewesen, nicht Selbstzweck. Ohne es mir ganz bewusst zu machen, kämpfte ich darum, als Frau „ernst genommen“ zu werden, und das konnte nur geschehen, indem ich die Herren der Schöpfung in ihren traditionell angestammten Domänen aufsuchte, heraus forderte und – wenn immer möglich – auch besiegte.

Kämpfen, siegen oder verlieren: meine Liebesbeziehungen waren lange Zeit Arenen einer fortlaufenden Auseinandersetzung über alles und jedes. Für Männer mit einer starken oder gar übermächtigen Mutter war ich die Richtige, um ihren eigenen Kampf weiter zu führen – so hatten beide Seiten, was sie brauchten. Nur schade, dass diese Phase so lange dauern musste! Bis Mitte dreißig währte mein ganz persönlicher Beziehungskrieg mit wechselnden Gegnern, dann hatte ich endlich geschnallt, dass das „Siegen“ gleichzeitig ein Verlieren ist. Ich hatte „meinen Mann gestanden“, um als Frau geliebt zu werden, wie absurd!

Genießen statt bekämpfen

Da ich mich nun lange schon blendend „verwirkliche“, ohne dass mir einer aufgrund seines Mann-Seins noch irgend eine Butter vom Brot nehmen könnte, kann ich’s mir mittlerweile leisten, das andere Geschlecht einfach nur zu genießen. Und zwar gerade in seiner Andersartigkeit: wenn es ums Erotische geht, liebt mein weiblicher Aspekt das Männliche im Mann. Die Polarität generiert Spannung und schlägt Funken, nicht die Gleichheit. „Als Frau“ will ich nicht diskutieren, sondern fasziniert, erobert, erkannt werden. Die erotische Ebene ist ja zum Glück KEIN Unternehmen, nicht mal ein Familienbetrieb: nicht aus dem Verstand zu gestalten und zu „bespielen“, sondern aus Gefühl und Intuition.

Gelegentlich ecke ich mit solchen Äußerungen an. Zum Beispiel wehren sich viele Frauen dagegen, bestimmte Eigenschaften dem einen oder anderen Geschlecht zuzuschreiben. Ihre feministische Seite fühlt sich verletzt, wenn ich „althergebrachte“ Zuordnungen benutze, etwa Sanftheit, Weichheit, Launenhaftigkeit dem Weiblichen zuordne. Natürlich haben sie auf eine Weise recht: auch in Männern leben diese Eigenschaften, genau wie mir – physisch und im Ausweis ohne Zweifel weiblich – auch Härte, Durchsetzungsvermögen und Konsequenz zu Gebote stehen. Wir sind eben potenziell ALLES, und gerade dieses Wissen sollte uns in die Lage versetzen, das Spiel mit den Unterschieden, die nichts als unterschiedliche, manchmal jahrtausende-alte Schwerpunktsetzungen und Ausprägungen sind, zu genießen. Die Eigenschaften, die sich jeweils nach außen zeigen, sind ja nicht etwa die einzig vorhandenen, sondern finden ihre Entsprechung, ihren Gegenpart im Inneren – UND im Anderen, im andersgeschlechtlichen Gegenüber. Wie wunderbar!

Das Selbst nicht definieren

Dass es als wunderbar erlebt werden kann, setzt allerdings ein Selbstverständnis, ein Selbst-BEWUSSTSEIN voraus, das von Definitionen völlig absieht. Wenn ich auf die Frage „Wer bin ich?“ einfach nur mit „weiblich“ antworte und es damit bewenden lasse, dann habe ich ein Problem. Dann muss „frau“ tatsächlich GLEICH sein, muss in jeder Hinsicht ebenso geartet sein wie Mann, denn nur so lässt sich Gleich-Berechtigung rational begründen – und diese ist unverzichtbar, schließlich geht es im Leben nicht nur um Liebe und Erotik, sondern auch um die weltliche Macht.

Tatsache ist aber: ich bin nicht „nur“ weiblich. Es gibt auch meinen männlichen Aspekt, der ist sogar recht ausgeprägt. Ein anderer Teil bleibt immer und ewig Kind, „zuständig“ für eine ganze Welt aus Spaß, Freude und Spontaneität, die allen verloren geht, die dieses innere Kind einkerkern und es nicht mal kennen wollen. All diese Aspekte können mal im Vordergrund stehen, mal sind sie eher versteckt – und alle können Beziehungen dominieren: meine männliche Seite kann in Beziehung zu einem Mann stehen, der vor allem seine weibliche Seite nach außen lebt – in der Regel wird das aber keine sexuelle Beziehung sein, denn dafür muss (zumindest bisher), meine „innere Frau“ sich angesprochen fühlen. Um meine Rechte, um das nicht zu vergessen, kümmere ich mich nicht „als Frau“, sondern als Bürgerin, die sich gegen jede Diskriminierung ganz selbstverständlich zur Wehr setzt, öffentlich und wenn’s sein muß auch ganz privat – wobei mir langsam die Diskriminierung „wegen Alter“ brisanter erscheint als die „als Frau“. (Nicht hauptsächlich Frauen werden entlassen bzw. früh verrentet, sondern tendenziell alle über 50!)

Frau, Mann, Kind, nicht zu vergessen die/der ALTE WEISE, ein Aspekt, der in späten Lebensjahren nach außen tritt, aber in gewisser Weise immer schon da ist: ich bin sie alle, aber damit ist noch lange nicht ALLES genannt. Es ist unmöglich, „alles“ aufzuzählen und betrachtend vor sich hin zu stellen, weil wir es eben SIND.

Zu mystisch?? Dann denk mal an dein Lieblingstier. Ist es ein Hund? Oder magst du Katzen besonders gern? Schwingst dich vielleicht gar mit den Raubvögeln in die Lüfte? WARUM glaubst du, liebst du dieses Tier so? Ist es nicht einem Teil von dir unglaublich nah? Dieser Teil WEISS, wie und was dieses Tier ist, es fühlt mit ihm, kann seine Sprache, sein Verhalten in jedem Augenblick verstehen – warum?

Ich weiß nicht, wie du diese Frage beantwortest, ob du dem überhaupt je nachgespürt hast. Spätestens, wenn wir im Zoo den Affen ein Weilchen zusehen, ergreift dich vielleicht auch das Bewusstsein, das ich hier meine: DAS sind wir AUCH!

Hetero – und sonst gar nichts?

All die Seinsaspekte, die ich so schon als Aspekte des „Ich bin….“ kennen gelernt habe, sind nun üblicherweise auch schon gleich wieder „zu Tode definiert“. Zum Beispiel: Ich bin Frau – und hetero-sexuell. Ehrlich gesagt hab ich diese Überzeugung nicht selbst entwickelt. In meinem Umfeld schien es „normal“, hetero zu sein, also war ich es auch. Kam gar nicht erst auf die Idee, Frauen als erotische Wesen anzusehen – ich meine damit nicht „für möglich zu halten“, sondern wirklich persönlich HINZUSEHEN: ihr Lächeln, ihre Haare, ihre Figur… Weil ich immer nur Männer aus diesem erotischen Blickwinkel betrachtete, hatte ich natürlich nie eine gleichgeschlechtliche Beziehung und war umso überzeugter: ich bin heterosexuell, und zwar ausschließlich.

Wer jetzt glaubt, ich hätte gerade die Frau meines Lebens getroffen und fühlte mich deshalb genötigt, meine Lebensphilosophie umzuschreiben, irrt. Es verhält sich eher anders herum: umstellt von Definitionen und Vorgaben, wie man/frau zu sein und zu leben, zu empfinden und zu denken habe, bleibt irgendwann nichts anderes mehr übrig, als all das nicht mehr zu glauben. Sämtliche Konkretisierungen, die auf „Ich bin…“ folgen, sind mir suspekt geworden. Allesamt stehen sie zur Überprüfung an, sind keinesfalls mehr in Stein gemeißelt, sondern geben sich als bloße Programme zu erkennen. Programme, die dazu neigen, den Arbeitspeicher zu verstopfen, auch dann, wenn ich sie gerade nicht benötige.

Seit ich in diesem Sinne nichts mehr glaube, wird auch die Welt, in der ich lebe, zunehmend „undefiniert“. Ich erkenne und ERLEBE, dass die Selbstdefinitionen meine Erfahrung erzeugt, geformt und ausgestaltet haben – sobald ich an der jeweiligen Definition nicht mehr klebe, sie gar in Frage stelle (also beobachtend frage: Ist das wirklich so? NUR so?), eröffnet sich mir auch „der ganze große Rest“ als eigene Möglichkeit: Auch DAS bin ich, bzw. kann ich sein – wenn ich es wähle, ihm Aufmerksamkeit schenke, meine Energie in die neue Richtung lenke.

Himmel noch mal! So hier hingeschrieben hört sich das wunderbar an und das ist es auch. Allerdings fühl ich mich angesichts der vielen Möglichkeiten und Potenziale, die sich mir plötzlich zeigen und immer noch weiter zunehmen, zeitweise etwas desorientiert: Wenn ich so vieles SEIN kann und tatsächlich auch erleben – was WILL ich denn eigentlich? Es ist vergleichsweise leicht, in einer Welt der Schubladen und „Gegebenheiten“ gegen Widerstände zu kämpfen. Kein Problem, sich irgendwie „bei den Guten“ zu fühlen oder den Weg des geringsten Widerstands zu einem ganz bestimmten persönlichen Ziel zu finden. Was aber, wenn „gut“ und „böse“ mitsamt der „Persönlichkeit“ sich im Nebel des Alles & Nichts auflösen? Will ich Heilige oder Hure, Unternehmerin oder Künstlerin, Initiatorin sozialer Netze oder Seelen-Coach für Einzelne sein – oder vielleicht doch lieber ganz „Schreibende“?

Oh, was für Fragen! Überlegen lächelnd rufe ich mir zu: Hey, das ist ein Scheinproblem! Dein Kopf macht sich wieder mal allzu selbständig, die Dinge ergeben sich, wenn es so weit ist, ganz von selbst. Jeder Tag hat seine Erfordernisse. Folge einfach den Impulsen, gib dein Bestes. Iss, wenn du hungrig bist, verteile Wasser, wenn jemand Durst hat und vergiss das sprichwörtliche Holzhacken nicht!

Klar doch. Das sag ich mir dauernd. Was auch sonst. Wenn sich etwas Neues ergeben sollte, gibt’s dann die Fortsetzung. Das Diary lass ich jedenfalls nicht im Nebel verschwinden.

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Claudia am 14. Mai 2003 — Kommentare deaktiviert für Wille und Wahrheit: Die „Matschbirne“ erkennen

Wille und Wahrheit: Die „Matschbirne“ erkennen

Wie funktioniert der „freie Wille“? Wo kommt er her, wie kann er wachsen und was lässt ihn verschwinden? Ich frage nicht, „was IST der freie Wille?“, beziehe mich nicht auf die philosophische Endlos-Diskussion, ob ein Wille überhaupt frei sein kann oder nicht. Meine Frage richtet sich auf den Willen schlechthin: das Wort „frei“ benutze ich nur, um ihn von unfreiem Wollen zu unterscheiden. Was das ist, weiß jeder: das Streben nach Macht, Besitz, Anerkennung, Liebe ist uns irgendwie mitgegeben, es ist da, ohne dass wir es wählen, allenfalls können wir uns in gewissen Grenzen im Lauf des Lebens davon frei machen – zum Beispiel aufgrund von Erfahrungen, insbesondere Erfolgen. Wenn ich immer wieder erreiche, was ich „will“ und dann feststellen muss, dass es mich nicht glücklich macht, sondern nur der nächste Wunsch ins Rampenlicht tritt, dann erwischt mich irgendwann das Aha-Erlebnis: DAS ist es offensichtlich nicht! Und das einschlägige Wollen und Streben stirbt ab, ganz ohne Anstrengung und Indoktrination von außen.

Was aber dann? Mein eigenes Wollen reicht seit langem nur noch dahin, meinen Lebensunterhalt auf bescheidenem Niveau zu gewährleisten, meine Arbeit so zu gestalten, dass sie mir Freude macht und mich nicht nervt. Zudem habe ich gelernt, förderliche und freudvolle Beziehungen zu Mitmenschen zu pflegen und schädigende Verstrickungen gar nicht erst wachsen zu lassen. Es geht mir gut, und zwar sowohl von der Warte des eigenen Daseins-Gefühls aus betrachtet, als auch im Vergleich zu unzähligen Menschen, die ich mitbekomme, deren Innenraum gefüllt ist mit Ängsten, Agressionen, Mangelgefühlen und vielem mehr.

Und doch kann ich nicht sagen, dass ich „zufrieden“ bin. Oberflächlich betrachtet schon, aber untergründig ist da immer ein kleiner Stachel, der sich mal mehr, mal weniger spürbar zeigt. Eine leise Stimme, die zu mir sagt: Das ist doch nicht alles! Du kannst doch nicht mit 48 psychospirituell in Rente gehen! Was ist mit deinen Fähigkeiten, deiner Kreativität, deiner Kraft? Du lebst weit unterhalb deiner Möglichkeiten, schöpfst deine Potenziale nicht aus, hängst zufrieden herum und fängst mit deiner persönlichen Freiheit eigentlich nichts an. Gehört denn alles, was du erworben und entwickelt hast, dir? Reicht es, ein angenehmes und stressfreies Leben zu führen? Was hat die Welt davon?

Den Stau wahrnehmen

Bei der letzten Frage „Was hat die Welt davon?“ könnte man glauben, es gehe um Moral, um die Pflicht, den Kriegsdienst an der Realitätsfront im Geiste der Aufopferung abzuleisten. Das ist es aber nicht, ich fühle es nicht als Forderung, die Welt auf meinen Schultern zu tragen und mich in irgendwelchen Kämpfen aufzureiben, weil das nun mal jeder tun soll, damit die Gesellschaft prosperiert. Nein, es ist mehr ein Gefühl mangelnden Austauschs, als wäre der Fluss meines Aktiv-Potenzials irgendwie gestaut – und immer, wenn ich mich zurücklehne und meine Gelassenheit feiere, spüre ich diesen Stau, spüre, dass da etwas nicht stimmt.

Wenn ich über längere Zeit denselben Aspekt als „unstimmig“ empfinde, aber so gar nicht „von selber“ darauf komme, was da eigentlich los ist und wie ich etwas ändern könnte, dann werde ich wieder offener für Anregungen von außen. Allerdings müssen es Inhalte sein, die schon irgendwie nah an meinem Thema sind. Derzeit hätte ich gar nichts davon, etwa noch weiter spirituelle Texte zu lesen, die Gelassenheit und Selbstbeobachtung, Meditation und Loslassen predigen. Mein inneres Gefühl sagt mir, dass ich genau in die andere Richtung will – zwar auf einem neuen Niveau, nicht mehr in der unbewussten und extremen Art, wie ich in der ersten Lebenshälfte versuchte, die Welt und mich selbst durch überaktives Herumwurschteln zu beglücken, aber doch in Richtung HANDELN, mich einlassen, verpflichten, fordern – auch auf die Gefahr hin, an die Grenzen meiner Kraft und meiner Fähigkeiten zu kommen. Schon dass ich das „Gefahr“ nenne, ist ein Zeichen des „Problems“!

An die Grenze gehen

Eine Yoga-Übung zelebriert, wie es „richtig“ wäre: Man nimmt langsam und bewusst eine ungewöhnliche Körperhaltung ein und geht an die Grenze des Möglichen, die gleichzeitig die Grenze zum Schmerz ist – nicht aber darüber hinaus. Dort verharrt man, solange es geht und schaut sich an, was das im Körper, in den Gefühlen und Gedanken bewirkt. Dann lässt man ebenso langsam los und entspannt sich wieder, nun beobachtend, was die Übung für weitere Wirkungen entfaltet.

Im Leben tu ich das nicht, lange schon nicht. Ich gehe NICHT an die Grenze der Möglichkeiten, geschweige denn an die des Schmerzes. Wenn sich die Gelegenheit zeigt – und das Leben ist immer voller Gelegenheiten – frage ich mich: „Wozu denn? Mir geht’s doch gut, was will ich denn noch? Es gibt doch nichts zu erreichen!“. Das ist, so seh‘ ich es jetzt, ein klarer Fall von spiritueller Matschbirne. Diese Gedanken sind nicht Weisheit, sondern kaschieren und rationalisieren einen Fehler, eine Unstimmigkeit, irgend eine Altlast, die mich behindert und einschränkt, ohne dass ich sie schon genau sehen könnte.

Ein erstes Aha-Erlebnis verschaffte mir ein Buch über „Techniken zur Erforschung des Bewusstseins“, dessen Arbeitsbögen zur Erhebung eines Persönlichkeitsprofils ich einfach mal ausfüllte, ohne noch die Texte dazu zu lesen. Zwei hintereinander stehende Fragen und meine ohne Zögern gegebenen Antworten ließen mich stutzen:

Frage:
Welchen Abschnitt deines Lebens hältst du für den besten? Weshalb?

Antwort:
Mitte dreißig, die Zeit nach meiner „Befreiung vom Alkohol“ – weil ich da entdeckt habe, dass alles „von selber“ geht und nicht von mir „gemacht“ werden muss.

Frage:
Welche Aspekte deines gegenwärtigen Ichs magst du am wenigsten?
Antwort:
Entschlusslosigkeit und Ziellosigkeit, Zerstreutheit und Unkonzentriertheit, physische Beschwerden am rechten Arm und Bein (=Schäden von zu vielem Sitzen).

Das hat mich ein bisschen wach gemacht! Die wunderbare Wende in meinem Leben, von der ich noch heute zehre, hat mir Erkenntnisse und Weisheiten vermittelt, die für mich über allem anderen stehen, da sie selbst gefunden, selbst erlebt sind, nicht von außen vermittelt. Auch nicht in einer Umkehrung angenommen, wie man etwa als junger Mensch GEGEN das ist, was von den Eltern oder der Gesellschaft an Wahrheiten tradiert wird. Es war wirklich neu, völlig unerwartet und eröffnete mir eine neue Weise des In-der-Welt-Seins, die alles übertraf, was ich mir bisher ausmalen konnte. Ich glaubte, das Geheimnis des Glücks und des „richtigen Lebens“ gefunden zu haben.

Das „richtige“ Leben

Dem war auch so. Ich sehe das jetzt nicht als falsch an. Eher scheint mir der Prozess so zu verlaufen, wie das Yin Yang-Zeichen – wenn man es animiert, in Bewegung versetzt – zeigen will: der eine Aspekt der Polarität, sagen wir „schwarz“, wird immer größer und größer bis er allen Raum einnimmt – doch im Augenblick seiner totalen Dominanz, entsteht in seiner Mitte das Gegenteil: Weiß. Ab jetzt beginnt Weiß zu wachsen und Schwarz schrumpft zusammen – bis jetzt Weiß dominiert, in dessen Mitte dann wieder ein zunächst winziges Schwarz erscheint.

Mich hat offensichtlich die Begeisterung über das erste vollständig selbst durchlebte „Umschlagen“, das Gefühl der Befreiung und Erlösung, das damit verbunden war, derart beeindruckt, dass ich irgendwann anfing, fest zu halten. Ich hielt das Gewonnene für die absolute und letzte Wahrheit und begann, in meinem Leben das „Weiß“ zu verstärken, das so wunderbar inmitten des „Schwarz“ erschienen war. Das ist solange gut und unschädlich, solange das „Weiß“ von selber wächst – wenn es aber Zeit ist, wieder in Richtung des anderen Pols zu leben, wenn die Bewegung wieder umschlägt, dann bremse ich mich so nur selber aus. Tue also (unbewusst!) genau das Gegenteil von dem, was ich als „Extrakt der gewonnenen Weisheit“ gerne predige: den eigenen Impulsen zu folgen, sich ihnen hinzugeben, mitzuleben und nicht aus dem Kopf heraus daran herum zu rechten und das Leben zu be-rechnen. Meine Willensimpulse hab‘ ich dabei zunehmend gelähmt, innerlich alles diskriminert, was über das Bestehende, das „von selbst Entstehende“ hinaus greifen will. So lange und so erfolgreich, bis ich nicht nur jeden Draht zu dieser Art Wollen verloren hatte, sondern auch physisch an den Handlung symbolisierenden Gliedmaßen „Krankheiten“ auftraten. Unglaublich!

So ist jetzt also „Wille“ mein Thema. Etwas erreichen wollen, Ziele haben, die eigenen Aktivitäten auf diese Ziele hin ausrichten, auch längerfristig. Mich verpflichten und „Verstrickungen“ riskieren – und nicht aus den Augen verlieren, ob ich den Zielen mit meinen Schritten auch näher komme. All das hört sich für mich noch äußerst fremd an, da ist eine, wie ich jetzt sehe, selbst geschaffene innere Ablehnung dieser Dimension. Wie könnte ich die wieder „abschaffen“?

Was du nicht erfühlen kannst…

Wo eine Frage als solche erkannt ist, folgen Suchbewegungen auf mögliche Antworten hin. Bisher weiß ich nicht viel, obwohl ich mich schon ein wenig in den üblichen Formen mit „Ziele finden“ auseinander gesetzt habe, zunächst auf der beruflichen Ebene. Allerdings sprang da noch kein zündender Funke über, berufliche Ziele sind eben nur operationale Ziele, also solche, die eigentlich Zielen auf ganz anderen Ebenen dienen sollten.

„Was du nicht erfühlen kannst, das kannst du nicht erjagen“ – der Satz von Goethe geht mir seit langem nach. Nur darüber zu grübeln, welche Ziele es wert wären, sich ihnen zu verpflichten und richtig Einsatz zu bringen, ist gewiss nicht der Weg. Nein, ich muss mich neu öffnen, nicht immer gleich das beschwichtigende Zufriedenheits-Programm im Kopf ablaufen lassen, wenn mich irgend etwas stört oder ein Änderungswunsch auftritt. Ich muss nicht noch mehr „Gelassenheit üben“, sondern das Gegenteil an mich heran lassen, es wieder erwecken und wachsen lassen.

Muss ich? Nein, ich muss nicht. ICH WILL.

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Claudia am 20. April 2003 — Kommentare deaktiviert für Vom Fühlen

Vom Fühlen

Ein Leser schrieb mir, das Gehirn „brauche Wissen, um für meine Zufriedenheit zu arbeiten“. Er bezog sich auf den Artikel „Vater UND Mutter ehren“ und meinte wohl damit: Hätte ich gewusst, warum mein Vater war, wie er war, hätte ich ihn als Kind nicht so gehasst, wäre weniger einsam gewesen und zufriedener.

Dieser Irrtum über den Nutzen des Wissens ist weit verbreitet. Kein Wunder in einer Gesellschaft, die sich „Informationsgesellschaft“ nennt. Tatsache ist: Ich wusste immer, warum mein Vater war, wie er war, denn sobald ich denken konnte, erzählte er seine Geschichte. Nicht nur einmal, sondern immer wieder. Doch ich konnte und wollte in frühen Jahren nicht „verstehen“ – wobei „verstehen“ schon ein Stück in die Irre führt: ich wollte nicht VERZEIHEN, war völlig außerstande dazu, denn er trampelte bei jeder Gelegenheit auf meinen Gefühlen herum. Ich litt und er war der Feind Nr.1 – so einfach, so üblich.

Erst, als ich später mit mir selbst und der Welt besser zurecht kam, als ich tat, was ich tun wollte und damit auch Erfolge hatte, hinter denen ich stehen konnte: erst da änderte sich das Verhältnis. Mein Hass verschwand, zunächst zugunsten einer gewissen Neutralität: weder Hass noch Liebe. Für die Liebe musste ich erst „werden wie er“, am eigenen Leib erleben, dass ich nicht die tolle Person bin, die ich mir ausmalte, sondern genauso eine Schreckschraube, die für Andere (und sich selbst) zum Horror werden kann. Aber das ist eine andere Geschichte.

Anders denken?

Wissen allein bringt wenig. Denken macht nicht glücklich, obwohl das Denken durchaus Anteil daran hat, wie ich die Welt erlebe. Manche Menschen denken sich in den Keller, Tag für Tag. Sie erwarten immer das Übelste, sind misstrauisch und filtern so die Informationen heraus, die zu ihrem Elend passen. Manche benötigen nicht einmal Input von außen, sondern spinnen sich selbst zusammen, worunter sie dann leiden.

Die Lehrer des „positiven Denkens“ versuchen, an dieser Stelle anzusetzen: Denk positiv, dann geht’s dir gut! Das klappt allerdings – wenn überhaupt – nur für kurze Zeit. Zu sehr sind wir üblicherweise mit dem Denken identifiziert: Wo, wenn nicht im „denken über die Welt“ spüren wir uns so sehr als erste Person: Ich denke SO, also bin ich „ich“! Dieses Denken dann mittels einer „Übung“ zu kanalisieren und zu domestizieren, kann gar nicht funktionieren. Immer wieder meldet sich das „alte Denken“ doch zu Wort, sieht Schatten, wo nun Licht gesehen werden soll, meldet Zweifel an beim morgendlichen Blick in den Spiegel, wogegen das „Jeden Tag geht es mir besser und besser“ nicht wirklich hilft, ja, es wird schnell lächerlich.

Auch Meditation wird gelegentlich als alternative Umgangsweise mit dem Denken empfohlen und praktiziert: Einfach da sitzen und die Gedanken Gedanken sein lassen. Wer das Kopfkino einfach nur beobachtet, stellt fest, wie automatisch es abläuft, wie schnell die Gedanken vom Hundertsten ins Tausendste kommen, wie gering der Bezug zur Realität ist, und vor allem, dass es eine WAHL gibt: sitze ich dem Gedanken auf, identifiziere ich mich mit dem Problem und entwickle es grübelnd weiter – ODER bleibe ich einfach sitzen und sehe zu, was als nächstes vorbei kommt.

Das kann durchaus eine gewisse Entspannung bringen, Einsicht in die Mechanismen des Denkens, ein teilweise Lösung der starken Bindung an Gedanken. Allerdings: sobald ich nicht „nur sitze“, sondern wieder tätig im Leben stehe, handeln und entscheiden muss, ist es nicht mehr damit getan, die Gedanken ziehen zu lassen. Die Meditationsübung gibt mir im besten Fall die Gewissheit, mich jederzeit „heraus ziehen“ zu können, doch was ich tun, wonach ich mich richten soll, solange ich „mitten drin“ stehe, sagt sie mir nicht.

Mehr?

Was also? Gibt s nur die Möglichkeit, sich mit dem abzufinden, was nun mal ist? Immer wieder auf dieselben Weisen im Elend kreisen, im festen Rahmen eigener Konditionierungen und gesellschaftlicher Traditionen? Immer mal wieder Ausbruchs- und Therapieversuche, eine neue Lehre, ein neues Gedankengebäude, ein neuer Partner? Und immer die Ahnung: es muss MEHR geben als das!

Ja, es gibt dieses MEHR. Aber es ist nicht machbar, es kann nicht gejagt, errungen oder erübt werden. Es ist immer da, nur wollen wir es nicht sehen, es nicht hören, uns nicht nach ihm richten. Wir wollen tun, was wir für richtig halten, was sich sinnvoll begründen lässt – und nicht das, was anliegt, nicht das, was getan werden will.

Was könnte das sein? Ich weiß, es klingt verdammt hermetisch, doch ist es auch kein „Geheimnis“, nur weil es sich im Rahmen des logischen Denkens nicht darstellen lässt. Denken ist nicht unser einziges Potenzial, wir können auch fühlen, spüren, empfinden, intuieren. Obwohl offiziell das Denken die erste Stellung einnimmt („animal rationale“) und die Gefühle einen schlechten bis kitschigen Ruf haben, bestimmen sie doch untergründig unser Denken – immer schon. Ja, den ganzen Zirkus um die Rationalität kann man als einziges Bemühen beschreiben, das Gefühlsleben zu domestizieren. Es soll mit (ge-)rechten Dingen zu gehen nicht nach persönlicher Willkür. Wer an der Welt mitbauen will, muss seine Beiträge wissenschaftlich begründen, sonst kann er in die Unterhaltungsindustrie gehen. Wer Verträge schließt, soll sich ins Kleingedruckte vertiefen, wo genau ausgeführt ist, was „sich vertragen“ im Einzelnen hier heißt – und nicht etwa auf Gefühle achten! Die Welt ist so kompliziert geworden, dass nur Rationalität noch den Schimmer einer Chance bietet, die Massen mit ihren 10.000 Dingen und Bedürfnissen halbwegs friedlich zu organisieren – also muss auch der Einzelne ein hohes Maß an Rationalität aufbieten, um sein (möglichst komfortables) Durchkommen zu bewerkstelligen.

How-To ist nicht alles

Alles nachvollziehbar, es gab keinen anderen Weg. Doch leider sind wir auf diesem Weg in Trance gesunken, haben uns selbst vergessen und das „HowTo“ zum „Um-Zu“ werden lassen. Das mit all diesen Umtrieben so aufwändig geschützte individuelle Privatleben hat kaum mehr originäre Inhalte und immer mehr Leute fragen sich zu Recht: Wozu die ganze Äktschn? Wofür dieses hohe Maß an Anstrengung und Selbstverleugnung?

Uns wird vermittelt, das bloße Erhalten des Bestehenden wäre schon jedes Opfer wert. Wenn wir – immer noch im Luxus schwimmend, verglichen mit der Mehrheit auf diesem Planeten – nicht weiter und mehr als bisher strampelten, dann würde das alles in Teilen oder ganz zusammen brechen und DAS bekäme uns sehr sehr schlecht!

Stimmt das? Das ist die Frage. Die Antwort findet jeder nur entlang an sich selbst (oder eben nicht). Nicht etwa in Zeitungen und Büchern, in Comedy- und Talkshows, auf Kongressen oder in Besprechungen – und auch nicht auf einer Website. Nur, wenn ich mich selber ansehe, weiß ich, was mir schlecht bekommt und was mir gut tut. Damit bin ich wirklich ganz alleine.

Wechsel der Blickrichtung

Also bleibt nichts übrig, als mich dem zuzuwenden. Was tut mir gut? Was macht mich wirklich glücklich? Was kann ich gerade noch ertragen, ohne zu leiden? Wovon ist mein Wohlbefinden wirklich abhängig: eher vom Kontostand oder mehr vom Wetter? Wieviel Beschränkungen und Unfreiheit bin ich bereit hinzunehmen, um bestimmte Dinge zu erreichen: materiellen Komfort, soziale Anerkennung, sichere und heimelige Beziehungen, Sex? Lohnt das Erlebte und Erreichte weiterhin ungebrochenen, möglicherweise gesteigerten Einsatz? Brauch ich dieses und Jenes wirklich – zum Beispiel, um mich sicher zu fühlen?

Ich war immer gegen Versicherungspolicen, hatte selber nie welche und hab‘ mich gern lustig gemacht über Leute, die Unsummen pro Jahr bezahlen, für den Fall, dass ein unwahrscheinliches Unglück eintritt. Mittlerweile hab‘ ich die idealistische Arroganz der sowieso mittellosen Jugend hinter mir gelassen, aber trotzdem mit den Versicherungen nicht angefangen. Weil da einfach nichts ist, was soviel wert wäre, dass der Verlust nicht locker verschmerzt werden könnte: Es gibt nichts zu holen, also brauch ich keine Diebstahlversicherung. Ich streite mich nicht um Kleingedrucktes, also spar ich mir den Rechtsschutz. Ich vertraue darauf, Geld zu verdienen, wenn ich es wirklich brauche, deshalb sind mir Sparverträge und Vermögensanlagen fremd. Für den Fall der Notlage hab‘ ich ein paar gute Freunde, die bei Bedarf weit mehr Geld mobilisieren könnten als ich, ohne darunter besonders zu leiden – ob sie es im Fall des Falles für mich täten, kann ich nicht wissen, wohl aber darauf vertrauen.. Für die Basics bin ich Mitglied in einem sozialen Netz, für dessen Verteidigung ich eintrete: Sozialhilfe für alle, die es brauchen. Mehr nicht, denn ich bin es gewohnt, jedes Mehr selbst zu erarbeiten. Klar hatte ich auch Zeiten, in denen ich den Luxus eines Arbeitslosengeldes nach BAT 2A Vollzeit genießen konnte – es war schon gut, aber nicht unverzichtbar, ganz gewiss nicht Bedingung meines Glücks oder Unglücks in den jeweiligen Zeiten.

All diese Einsichten bewegen sich nun noch auf der materiellen und sozialen, also psycho-mentalen Ebene. Um wirklich beurteilen zu können, was mir gut tut, muss ich tiefer steigen, herunter auf die psychophysische und physische Ebene: Was fühlt sich gut an? Was spüre ich gern? Was tut mir weh? Wovor habe ich Angst? Wie hängen diese Empfindungen oder die Angst vor ihnen mit meinem sonstigen Fühlen und Denken zusammen?

Der Körper, Freude und Schmerz

Freude ist nichts Abstraktes, zum Beispiel. Freude spürt man im Brustraum und um sie zu fühlen, muss er beweglich genug sein, um mehr oder weniger tiefes Atmen zu gestatten – im Fall der Freude ein Mehr. Die Zwischenrippenmuskulatur darf also nicht zum unflexiblen Panzer erstarrt sein, die Lungen müssen das volle Atmen kennen/können, nicht nur in den unteren zwei Dritteln (wie sie von Rauchern fast ausschließlich genutzt werden). Ich behaupte nicht, dass ein entsprechend flexibler Brustraum bereits die Freude garantiert, aber umgekehrt gilt eben: unterm Brustpanzer hat die Freude schlechte Karten, bzw. ist nur ein im tiefsten nicht befriedigendes Gedankenspiel.

Warum aber wenden sich so wenige ganz konkret den Umständen des eigenen Wohlbefindens zu? Eines der größten Hindernisse liegt aus meiner Sicht auf dieser körperlichen Ebene, bzw. deren psychischer Integration ins Selbstempfinden. Dort – wie auch überall sonst – gehen wir dem Schmerz aus dem Weg und suchen das Wohlgefühl. Ja, auf keiner anderen Ebene wirkt das so natürlich und selbstverständlich. Überall sonst machen wir womöglich Kompromisse und zahlen mit seelischen Schmerzen, aber physisch gesehen ist uns jedes Mittel Recht, dem Schmerz nicht begegnen zu müssen.

Das macht nicht nur jeder für sich allein so, dass wird auch von klein auf eingelernt bzw. anerzogen. Jedes Kind verbrennt sich mal die Finger, spürt den Schmerz und lernt: DA sollte ich besser nicht hinfassen! Soweit ist alles ganz natürlich, denn Schmerz hat eine informatorische Funktion und dient der Orientierung in der Körperwelt. Dann aber gerät das Kind schnell in die Fänge der „Niemals-Schmerzen“-Kultur: Überall soll es aufpassen, an seine Verletzlichkeit denken und sich entsprechend verhalten. Lustvolles muss unterlassen werden, um möglichen Gefahren auszuweichen. Um jedes trotzdem eingehandelte Wehwehchen wird ein großer Aufstand gemacht und bald schon gibt’s gegen alles eine Pille oder Spritze: Fieber, Husten, Halsweh, Kopfschmerzen, Zahnweh, Bauchweh, Menstruationsbeschwerden – später dann vielleicht auch gegen Nervosität, gegen Angst, Schlaffheit und schlechten Schlaf. Und dann vielleicht noch gegen Falten, Übergewicht und Erektionsprobleme. Es endet beim alten Menschen, der seine zehn bis zwölf verschiedenen Tabletten täglich braucht, nur um „eingestellt“ zu bleiben. Von außen eingestellt, das Wort trifft es gut!

Sich einstimmen

Können wir uns denn nicht selber auf das Leben einstellen? Von innen, statt von außen? Uns einfach weiter entlang an unseren Empfindungen von Schmerz und Lust in ihren tausend Gestalten orientieren, wenn wir durch die Ebenen unterwegs sind? Warum den Blick abwenden und „das Physische“ Experten überlassen, die aufgesucht werden, wenn etwas nicht zu stimmen scheint? Warum sich nicht gleich auf das einstimmen, was da so alles los ist, Angenehmes wie Unangenehmes?

Dies zu tun, bedeutet, den Schmerz anzusehen. Egal, wo er auftritt. Ihn immer wieder ansehen, sich versuchsweise anders verhalten und dann fragen: Ist er immer noch da? Hat er sich verändert? Oder einfach mal abwarten: Wie lange bleibt das so? Verändert sich mein Empfinden, je länger ich hinschaue?

Ich erinnere mich, als Kind eher ein forscherisches Interesse am Schmerz gehabt zu haben. Wieviel halte ich aus? Wann muss ich „Stopp!“ sagen? Es gab Kinderspiele der härteren Art, um das auszutesten. Das war spannend und aufregend, niemand hat geklagt oder sich beschwert, solange keine Erwachsenen anwesend waren. Auch das aufgeschürfte und schnell heilende Knie bosselten sich viele selber wieder auf, um mal zu fühlen, wie das so ist. Noch mit meinen ersten Liebespartnern probierte ich (außerhalb jeglichen erotischen Tuns) aus, wer den sich verstärkenden Biss des Anderen in die Handkante länger erträgt.

Doch bald schon verliert sich dieses ganz unbelastete Interesse in den Fängen der Niemals-Schmerzen-Kultur und an seine Stelle tritt Angst und Abwehr. Da Angst und Abwehr unangenehm sind, verschwindet im Zuge des Heranwachsens die Wahrnehmung der physischen Ebene mit all ihren schlecht oder gar nicht kontrollierbaren Empfindungen dann fast ganz. Nur wenn etwas mal richtig weh tut, wird es noch bemerkt und schnellstens beseitigt. Das erfolgsorientierte, rechnende Denken tritt an Stelle der Empfindungen und Gefühle, der Mensch ist vernünftig geworden, kann problemlos kratzende, schwitzige Kunststoff-Klamotten tragen und hat Versicherungen. Schließlich driften pro Tag zehn E-Mails herein, die den auf der Suche nach lustvollem Sex befindlichen Männern raten, Pillen und Pumpen einzusetzen, um „die richtige Größe“ zu erlangen. Als wäre es das!

Fühlend navigieren

Es ist Zeit, zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Das Fühlen, nicht das Denken, ist der Wegweiser zu jenem MEHR, das wir im Innersten ersehnen, wenn wir uns fragen: „Wozu das alles?“ oder „Was soll ich tun?“. Um aber fühlend und spürend zu navigieren, muss ich mir das Fühlen erst wieder zurück erobern, in all seinen vielfältigen Formen. Dazu gehört zuvorderst die Wahrnehmung der physischen Ebene, inklusive ihrer groben Aspekte, also einschließlich Feind Nr.1: Schmerz.

Das Üben dieser umfassenden Wahrnehmung, das Nicht-mehr-Ausweichen vor dem, was vielleicht ängstigt, bringt vielfältige Einsichten: ich spüre und sehe, WIE ich mich krank oder unglücklich mache, in dieser oder jener Hinsicht. Es bleibt auch nicht auf der groben Ebene stehen, sondern entfaltet sich in alle Lebensbereiche, immer besser spüre ich, was gut tut und was nicht, was jetzt „das Richtige“ ist – aber nur, wenn ich auch auf die Stimme höre, den Weisungen folge, die „von innen“ kommen: zunächst vom Körper, doch bald schon von anderen Ebenen. Jede einzelne Seelenverbiegung erzeugt ihren ganz spezifischen „Schmerz“, den ich ganz genau bemerken und mich also fragen kann: Steht es dafür? Muss das sein? Will ich das wirklich? Oder verzichte ich nicht besser auf das Zu-Erreichende und entscheide mich gleich für „weiter wohl fühlen“, hier und jetzt?

Mit diesem Wohl-Fühlen ist NICHT das Wohlgefühl als „Wellness“ gemeint, sondern das „im Einklang“ sein. Sich nicht passend machen wollen, wo es nicht von selber passt, sondern darauf lauschen, was ist, und tun, was anliegt. Was getan werden will. Zur Not auch ohne es mittels logischen Denkens begründen und kommunizieren zu können – also tatsächlich im Vertrauen auf etwas Unsagbares. Sich dem immer weniger denkend, abwehrend und absichernd entgegen zu stellen, sondern mehr und mehr darauf zu „hören“, macht das ganze Leben wieder zu dem faszinierenden Abenteuer, das es – eigentlich – immer schon war.

Mein Yoga-Lehrer, den ich nach zwölf Jahren im Dezember letzten Jahres während einer übungsstunde Türen knallend verlassen habe, sprach manchmal vom „Hören des tonlosen Tons“, während wir da lagen und auf den Atem achten sollten. Ich lauschte ins Nichts und hörte leider auch nichts, allenfalls ein Rauschen, wenn der Atem durch die Teer-verengten Brustbereiche strich.

Ob er DAS gemeint hat? Das, auf das zu hören, einzig glücklich macht?

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