Digital Home – Fortschreibtext aus der Liste Netzliteratur

„Bitte Inhalt Kühlschrank“,

…lauscht…

Murmelt: „Bier auf Soll plus 4 nachbestellen, warme Pizza ordern, Abbuchung
Kreditkarte.

Security: Voiceprint.“ *beep*

Schlurft durch den Flur. Einbauschrank meldet: „Motte 32.2000 eliminiert, 1
Service-Roboter im Kampf abgestürzt, Bios-Update vom Hersteller bezogen,
$3.99 abgebucht.“

Erreicht das Wohnzimmer, blickt in Richtung TV-Wand („It’s a Sony“ flüstert
es im Headset“.) AOL-Time-TV dementiert gerade, daß amazon.com eine
feindliche Übernahme gestartet habe….

Idiotischerweise hat er vor drei Wochen seine Aktien vorzeitig
losgeschlagen, wollte Gewinne mitnehmen…ärgerlich zappt er weg, ein
Kartoffelauflauf gerät ins Bild, wieder klick….jemand hat 100.000 falsch
angenommen…klick….ein Staubsauger für nur 149,- bei Obi – klick….

Der Bildschirm wird dunkel, sein Lieblingsbild erscheint: Matterhorn bei
Sonnenaufgang, Sound „Also sprach Zaratustra“.

– Applausgewitter –

„Es ist uns gelungen, einen großen Schritt zu tun: Du hast 15 E-Mails!“,
sagt Gerhard Schröder. Mann, so langsam hatte er von der Stimme genug, am
Anfang war’s ja ganz lustig, aber jetzt!

„Assistent auswählen“, raunzt Bruno in Richtung Matterhorn.

Einige Assistenten erscheinen in rascher Folge zur Auswahl.

„Stop! Zwei zurück! Ich nehme die Variante Dolly Buster.“

„Diese Variante ist nicht im System gespeichert. Wollen Sie eine
Verbindung zu den Seychellen herstellen, um die neueste Version zu
laden?“

„Ach nein, dann lieber die Variante Verona.“

„Die Variante Verona ist gebührenfrei, wenn Sie die Spinatwerbung als
Bildschirmschoner installieren. Die kostenpflichtige Variante kostet
drei Telefon-Freistunden. Treffen Sie Ihre Auswahl: 1 für Spinat-
Sponsoring, 2 für die kostenpflichtige Variante.“

Einen Moment nachdenken. Ach, was sollte es, er würde sich das eh
nicht lang ansehen. „Eins.“

Pause.

„Treffen Sie Ihre Auswahl: 1 für Spinat-Sponsoring, 2 für die
kostenpflichtige Variante.“

„E I N S ! ! „>

„Vielen Dank. Sie werden jetzt mit der Auskunft verbunden…“

„/&$%&/ABBRUCH! RESET!“

„Ich kann die Eingabe nicht verstehen. Bitte wiederholen
Sie, während ich wähle…“

„Eiiiins, huaaaa!“

„Ihr Blutdruck, Bruno; Sie haben Ihre Tabletten vergessen.“

„Was soll das, Newton?“

„Ab heute übernehme ich!“

„Sie?, aber Sie sind doch nur…“

„Ein Comupter, Sir, ich weiss, aber der Chip in Ihrem neuen
Hemd, Sir, zeichnet Ihre Werte auf. – Wasser, Tabletten,
Sir, direkt vor Ihnen!“

Bruno seufzt leise, greift nach den Tabletten, dem Glas,
murmelt vorm Schlucken, „ob er weiss…“

„Die Telefonrechnung, Sir, sie ist…“

„Horrend!“, Bruno setzt das Glas ab. Letzteres verschwindet
wie von Geisterhand im Schlund des Schreibtisches.

„…darauf zurückzuführen, dass Martin sich…“

„Martin? Was tut Martin mit dem Telefon?“ Brunos Augen
werden dunkel.

„…mit Mirijam unterhält. Bitte, Sir, beruhigen Sie sich:
der Vorrat an Nitroglyzerin geht zur Neige wie das
Lammfleisch…“

…mit stetem klappern nähert sich Lulu. Vor dem Aquarium mit den
neuen nanogesteuerten Guppys macht es sich mit
Ultrakurzwellenzerstäuber zu schaffen.

Bruno beobachtet seinen Homekeeper.

„Hast du schon die Küche defragmentiert?“

„Ja Chef“, knarrt es aus Lulus Sprachmodul,“Habn fertig in allen
Zimmern.“

„Spiel mir dieses Teil aus Dr. Schiwago vor; ich muss mich
beruhigen.“

Lulu kratzt kurz im innersten, dann ertönt in ohrenbetäubender
Lautstärke das Thema aus Dr.Schiwago.

„Mann, leiser du Sau! Gestern war gestern, heute ist alles
durchwachsen“

„Es ist 21.00 Uhr – kein Küchenprogramm mehr, Chef.kein Sau
durchwachsen. Magensäure und Leberprogramm 7t13.“

„Musik leise!“

„Ja Chef“

Musik plötzlich aus. Fremde Stimme aus Lulu:

„Sie haben Stimmnote Priorität 2. Ludwig Arbeitstier“

„Hallo Bruno, warum kriegen wir keine Formulare mehr?
Streikst du? Du weisst, dass wir bis heute noch neunzehn Punkte
machen mussten, um die nächste Zertifikation zu kriegen. Komm‘ mal
in die Puschen!“

Bruno geht höhnisch grinsend zum Klo…:“ dem drück ich auch noch
einen rein..“.

Er hat gekackt und will in den Flur zurück, aber die Switsch öffnet
nicht.

„Tür auf, du Sau…!“

Totenstille.

Bruno schreit:

„Lulu mach die Scheisstür hier auf.“

Lulu klappert heran: „Habe keine Authorisierung für diese Tür. Bin
nur für Modelle ab 4.32 programmiert. Upgrade nur bei authorisiertem
Housekeeper 3 ab Version IIIc. Ihr Zertifikat wurde gerade von der
Leistungsgesellschaft gelöscht. Schalte mich ab. Reanimation nur mit
zertifi…..

Bruno trommelte noch ein Weilchen mit nachlassender Intensität
beidfäustig gegen die Tür. „scheissSpritzgussWelt!“ heulte er
die weissgekachelten Wandflächen an.

Sein Wohnklo mit Küche und Schlafgelegenheit befand sich, soweit er
sich erinnern konnte, im 42.ten Kellergeschoss des MicroTelSoft
Gebäudes; er versuchte also erst garnicht, sich nach einem Fluchtweg
durchs Fenster umzusehen. Mit schmerzenden Handkanten sank er auf
dem Toilettensitz zusammen.

Die zentrale Gebäudeüberwachung registrierte eine nichtautorisierte
Erwärmung einer kostenpflichtigen Dienstleistungseinheit und reagierte
promt:

„Sie haben keinen Zugriff auf diese Leistungseinheit“ flimmerte eine
Botschaft in fluoreszierenden Blockbuchstaben über die gegenüberliegende
Infoeinheit, kurz nachdem das Licht von der ZGUEW ausgedreht wurde.
„Ihre letzte Eingabe wird zurückgewiesen“.

„Hä?“

Bruno verstand nicht sofort, was da auf ihn oder besser unter ihm
zurückkam. Erst das vernehmliche Gurgeln unter ihm bereitete ihn wenig
schonend auf das kommende vor.

Mit einem verzweifelten Satz rettete er sich auf den kleinen Waschtisch
gegenüber und klammerte sich an der Handtuchhalterung fest.
Im Widerschein der erneuten Meldung „Sie haben keinen Zugriff auf diese
Leistungseinheit“ (diesmal wegen unautorisierten Handtuchanforderns)
sah er zu seinem Entsetzen, wie eine übelriechende Masse ueber den
Toilettenrand quoll und sich auf dem bis dahin sterilen weissen
Fliesenimitatboden breitmachte.

Es stank erbärmlich. Kein Wunder; die (kostenpflichtigen) Bakterien
einheiten der Abwasserresyclingapplikation hatten auf Weisung der
ZGUEW ihre Umwandlungstätigkeit in Frischwasser rueckgängig gemacht.

Bruno versuchte noch einmal tief Luft zu holen.

„Sie haben keinen Zugriff auf diese Dienstleistung“, verlautbarte
die ZGUEW, deren Atmosphärenregulationschips den erhöhten
(kostenpflichtigen) Sauerstoffabruf in Wohneinheit 42.ooBArbeitstier
fest,- und einstellten.

Bruno hatte keinen Grund mehr, fröhlich zu sein.
Trotzdem lächelte er verklärt. Lag es am entstehenden
Faulgas? Lag es an dem tiefen inneren Frieden, endlich alles
hinter sich zu haben? Bruno verliessen die Kräfte, er glitt
langsam die Handtuchhalterung hinab und versank lautlos in
dem ekligen Morast.

„Sie haben keinen Zugriff auf diese Dienstleistung“
blinkte die nun völlig unangebrachte Meldung der
ZGUEW höhnisch auf die Anforderung der (kostenpflichtigen)
Wiederbelebungscyborgs, welche die in der Atemluft enthaltenen
Micromicrochips automatisch (gebührenfrei) an die ZGUEW
übermittelten.

– The End –
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Oliver Gassner, Claudia Klinger, Olivia Adler, Regula Erni, Jörg Wittkewitz, Ingo Mack (in dieser Reihenfolge).

…angeregt wurde dieser Text durch eine Mail von Jan Ulrich Hasecke am 12.1.2000, in der die „Geschichte“ begonnen hatte. Sie wurde von Oliver Gassner aufgegriffen und stärker „digitalisiert“ (Part 1, obiger Text), was mich auf die Idee brachte, dies als Ausgangspunkt eines Weiterschreibtextes zu verwenden. Ich postete Olivers Part plus eine eigene Fortsetzung und hoffte das Beste….. Und es trat ein, denn binnen 2 Tagen setzte sich die Geschichte dank der einsteigenden Autoren schnell bis an ihr grimmiges Ende fort.

Erwähnenswert: Es wurde nicht dazwischengequatscht und in anderen Gesprächs-Threads der Liste wurde der Text nicht kommentiert.

Freitag, 14.1.2000

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