Leserbriefe per Email im JAHR 1999


4.11.99 Selbstbestimmtes Ableben

Hallo Claudia,

in deinem Diary schriebst du:

„Ich würde mich weniger vor dem Prozeß des Sterbens fürchten, gäbe es die Möglichkeit, zu jedem Zeitpunkt in diesem sicher gewaltätigen und schmerzhaften Prozeß den finalen Mausklick zur Verfügung zu haben. Vielleicht gelingt es meiner Generation noch, bevor es ernst wird, dieses Menschenrecht auf ein selbstbestimmtes Ableben durchzusetzen!“

Oh Gott ja, wie ich das hoffe! Ich kann nicht begreifen, wieso diese Diskussion als so heikel angesehen wird, und ich mache mir schon lange Gedanken darüber, weshalb immer wieder Gründe vorgeschoben werden, dem Menschen nicht dieses letzte Recht auf Selbstbestimmung zuzugestehen.

Gut, es könnte Missbrauch Tür und Tor geöffnet werden, aber der Missbrauch würde voraussetzen, dass man sich nicht an die Regel hält, die an sich gnädig und human wäre. Doch diese in Einzelfällen vielleicht mögliche Abweichung von der Regel rechtfertigt für mich nicht den Einsatz der kompletten Apparatemedizin, wenn abzusehen, dass am Ende keine Heilung stehen kann, denn auch sie ist ein Eingriff in den natürlichen Prozess. Argumentierte man religiös, dürfte auch das nicht sein. Leben erhalten, wenn abzusehen ist, dass dieses Leben nicht erhalten werden kann, dass es nur eine Verlängerung der Qualen ist? Ich will das für mich nicht, und ich verlange, dass mein Wunsch respektiert wird, dass endlich die rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen werden!

Meine Hündin Mütze war vierzehn Jahre alt, als sie an Bronchialkrebs erkrankte, der sich immer weiter über den gesamten Körper ausbreitete. Zum Schluss bekam sie kaum noch Luft, quälte sich entsetzlich, ein Organ nach dem anderen versagte. Um ihrem Leiden ein Ende zu setzen, ließen wir sie einschläfern, und ich dachte dabei, wie erlösend es doch auch für manchen Menschen sein könnte, käme ihm eine ebensolche Gnade zuteil. Wieso geht man mit einem Tier derart gnädig und human um und warum lässt man Menschen in der gleichen Situation so verdammt starrsinnig leiden?

Liegt es daran, dass medizinische Geräte ausgelastet sein müssen, um sich zu rechnen, dass Betten belegt sein müssen? Ist das eine finanzielle Frage? Bastelt man sich die ethischen Begründungen zurecht, um ein Argument für die andauernde Folter zu haben, weil sie die Kassen füllt? Was ist das nur für eine Welt, in der dem Menschen nicht zugestanden wird, selbstbestimmt und menschenwürdig zu sterben, wenn es kein Leben mehr für ihn gibt?

Liebe Grüße

Ulrike



Stadt? Land?

Hallo Claudia,

Deine Tagebucheinträge verfolge ich nun seit einigen Wochen. In den vergangenen Tagen war es für mich besonders spannend, die weitere Entwicklung Deines Land-Daseins zu lesen. Stadt – Land, das ist ein Thema, das mich brennend interessiert. Denn offensichtlich spielt es im Marktgeschehen eine wachsende Rolle. In der Trendliteratur allemal, wenn wir über Echtheit und Authentizität lesen und nachdenken.

Was Du ausdrückst, über das Landleben, und Du sagst es zwischen den Zeilen, ist etwas, wovon wir alle träumen. Die Frage ist natürlich, können die Bauern, die es noch gibt, daraus „Kapital“ schlagen, denn sie haben ja einen wesentlichen Teil des Stoffes noch in sich. Ich gebe zu: Natürlich nicht alle, vor allem alle die nicht, die schon zu Marketingexperten neuerer Art geworden sind (übrigens halte ich Casanova für einen Marketingexperten alter und echter Art, aber dazu später mal ein paar Gedanken).

Marketingmaßnahmen kommen dann langfristig gut an, wenn sie wirklich ernst gemeint sind oder wenn sie echt und natürlich herüber kommen. Denken wir nur an Italiener, Portugiesen, Griechen, Türken in ihren Restaurants. Es macht Spaß dort zu sein. Sie haben Zeit für einen kleinen Plausch. Sie haben ein Stück ihrer ursprünglichen Lebenskultur hierher mitgenommen. Nicht mehr alle, das ist klar. Die Edelrestaurants in dieser Kategorie haben sich schon sehr verdeutscht.

Aber warum haben die kleinen Kebab-Stuben, die kleinen Pizzerien so einen Zulauf? Dieser Zulauf ist vergleichbar mit dem Zulauf, zu der „echten“ Weinstube beim Winzer, mit dem „echten“ Bauernladen beim Bauern, der mit Herzlichkeit und weniger mit Hintergedanken seine Gäste bedient.

Nun heißt es, nicht nur in der Erfolgsliteratur, daß Du dann erfolgreich bist, wenn Du ganz Du selbst bist, dich also nicht verstellen mußt.

Sicherlich kann man dieses Echt-sein auch lernen oder wieder lernen, weil alles was wir heute wirtschaftlich tun, diese Echtheit abstreift, einen Krampf hineinbringt. Nehmen wir nur, und Du hast es so wunderbar ausgedrückt, die „gespielte Freundlichkeit von Call-Centern“ oder von Servicemitarbeitern.

Kundenorientierung, Kundenbindung sind Schlagworte dafür, wie sehr oft das authentische Verhalten abgebaut wurde. Gespielte Freundlichkeit macht auf die Dauer niemandem Spaß. Das ist was ich in chinesischen Restaurants empfinde: das Lächeln geht mir auf den Keks. Ich spüre, daß es überhaupt nicht ich bin, der angelächelt wird, sondern einzig und allein mein Portemonnaie.

Eine Frage die mich umtreibt ist nun: Wie weit ist das Echte wirklich ein bestimmender Faktor im Marktgeschehen? Imagestudien haben das, was Du ausdrückst, herausgearbeitet. Nur Bauern, die sich so verhalten, gehen in der Regel früher oder später zu Grunde, weil sie von der Freundlichkeit allein nicht leben können. Die Freundlichkeit muß bezahlt werden. Und bezahlen für eine Dienstleistung tun wir freiwillig ungern. Wir geben höchstens ein Trinkgeld. Aber einem freundlichen Bauer in einem Bauernladen ein Trinkgeld geben? Das geht zu weit. Das Trinkgeld geben wir dann, wenn wir happy gestimmt sind, lieber dem netten Bettler in der Fußgängerzone, der unser Gemüt durch seine unplugged-Musik erhellt. Der uns wirklich Freude bereitet, bekommt auch seine zwei Mark.

Die Peruaner-Gruppe mit MC-/ CD-Verkauf und Playbackshows sind zwar nett anzuhören und anzusehen, aber sie bringen es nicht.

Von erfolgreichen Direktvermarktern oder aus der Landwirtschaft herausgewachsenen Gastronomen (die mit Urlaub auf dem Bauernhof angefangen haben und nur so dahin dümpelten) höre ich, daß die Verbindung zur Landwirtschaft relativ unbedeutend ist. Das Bedeutende ist die schöne, nette, ländliche Umgebung. Man geht gern einkaufen, wenn damit ein Erlebnis des Spaziergangs oder eines Picknick mit den Kindern verbunden werden kann.

Selbst pflücken von Früchten ist ein Erlebnis, aber nur noch für Türken. Deutsche kaufen lieber das gepflückte im Bauernmarkt und für sie ist es unwichtig, woher das Obst und Gemüse kommt. Für sie ist offensichtlich nur wichtig, daß die gespielte Professionalität entweder sehr gut ist oder fehlt und stattdessen ein engagierter freundlicher und echter Dilettant vor ihnen steht.

Das sind ein paar Empfindungen und Ideen von mir. Es kann sein, das ich voll daneben liege, aber vielleicht kommen ja Stimmen zu dir oder auch zu mir. Ich freue mich auf Kommentare. Meine Email-Adresse: vfeddersen@t-online.de.

Volker Feddersen, Sommerloch 06.09.99


Alt? Jung? Angst?

Hallo Claudia Klinger,

finde Ihr Tagebuch ein sehr nette Idee, schaue gern immer wieder mal rein um die Einträge zu lesen…

zum Thema Jung / Alt möchte ich spontan als 22-Jährige sagen, daß ich den Jugendwahn noch nie verstehen konnte, keine Ahnung auf wen der Abzielen soll…

Für mich persönlich schien es immer eher Nachteile zu haben jung zu sein. Man schlägt sich mit seinen Minderwertigkeitskomplexen rum, steht unter Erfolgsdruck, will um alles in der Welt geliebt sein, hat aber dazu keine Erfahrung, nichts erlebt und nichts geleistet.

Das Bild des jugendlichen Glücks trifft meiner Meinung und meiner Erfahrung nach auf die allermeisten Menschen überhaupt nicht zu.

Auf mich jedenfalls nicht (oder wird alles nur noch schlimmer?! :) ) Ich träume seit ich denken kann immer davon endlich älter zu sein und besser mit der Welt und dem Leben fertig werden zu können; und damit auch glücklicher zu sein. Ich bin immer froh ältere Menschen zu treffen, die erzählen daß es ihnen je älter Sie werden immer besser geht.

Die glücklichsten und schönsten Menschen die ich in meinem Leben getroffen hab waren jedenfalls keine jungen dynamischen erfolgreichen Yuppies sondern behinderte und alte Menschen…

Regina Michl

Alt? Jung? Angst?

Liebe Claudia,

Alt werden? Oder zumindest älter? Im Grunde gut, dass es so ist. Gut auch, dass sich diesem Gesetz jeder zu unterwerfen hat. Für mich selbst denke ich, dass ich – je älter ich wurde – reifer geworden bin (hoffe es jedenfalls, und es gibt Indizien dafür).

Ganz sicher jedoch bin ich reicher an Erfahrungen und – was das Schönste ist – ich hab inzwischen die Autonomie, von der ich als 17-jährige immer träumte. So etwas wie Wehmut bereitet mir eigentlich nur, dass das Innere und das Äußere mit der Zeit nicht mehr übereinander passt. Dass man beim Blick in den Spiegel Identitätsprobleme bekommt. Dass man sich einfach anders „fühlt“, als es außen sichtbar wird. Jeden Tag ein Stückchen mehr. Da werden die Haare grau, die Figur gerät aus den Fugen, die Haut bekommt (positiv formuliert) eine neue „Struktur“. *g* Und der Zeitgeschmack fördert das Unbehagen dabei.

Aber ich denke, das ist eine Frage der Schwerpunkte, die jeder für sein Leben setzt, der Wertigkeiten. Ich glaube, dass es eine große Bedeutung hat, wie sehr das Äußere in jungen Jahren dem Leben seine Richtungen diktierte. Schöne Menschen haben es sicher schwerer, dem Verfall der äußeren Attribute zuschauen zu müssen, als die, die sich schon früh damit abzufinden hatten, dass ihr Gesicht keine Sympatien fängt. Dass die Erfolge immer über andere Kanäle erkämpft werden müssen. Der Vorteil dieser Menschen im Alter liegt dann natürlich deutlich auf der Hand. Sie haben gelernt, sich als Individuum einzubringen, als ein exklusives Ich. Auf welche Weise auch immer.

Was die Medien und ihren Umgang mit dem Alter angeht: Die Tendenzen sind in der Tat dramatisch. Und dumm dazu. Ich weiß auch nicht, auf welche Weise in den jeweiligen Untersuchungen die Statistiken zustande gekommen sind. Kann mir nicht vorstellen, dass die Juppies so viel Zeit vor den Fernsehern verbringen wie die Alten, die man gern auszusperren und auszugrenzen versucht. Sie sind es doch, die die Zeit dazu haben und die finanziellen Möglichkeiten. Die sich in der Regel das leisten können, was von der Werbung angepriesen wird. Nicht alle natürlich, genauso wie nicht allen jungen Menschen das Geld locker in der Tasche sitzt.

Die Verlagerung der Werte, gerade auch in den letzten Jahren, ist erschreckend. Und erstaunlich dazu. Zumal – wie Du sagst – die Entscheidungsträger meist selbst der älteren Generation zuzuordnen sind. Die müssen wohl alle selbst in der Krise stecken, was das eigene Älter-Werden anbetrifft. Müssen voller Aggressionen stecken gegen sich selbst und diesen Frust dann gegen die anderen richten und auf sie übertragen, denen es ebenso ergeht. Die ebenso – wie alles auf dieser Welt – nicht dagegen an können, dass nun mal jede Form von Leben dem Prozess der Vergänglichkeit unterliegt.

Das waren noch Zeiten, was? Als es die Alten waren, die die Nachrichten überbrachten und die Traditionen auf dem Marktplatz weiter gaben an die Jungen, die ihnen voller Respekt, Achtung und Ehrfurcht an den Lippen hingen… Das einzig Positive an der Entwicklung ist, dass man heutzutage nicht mehr kritiklos alles hinnehmen muss, nur weil es von einem kommt, der älter ist. Dass man inzwischen erkannt hat, dass Respekt und Achtung auch in die andere Richtung zu gehen hat. Schön wäre es, wenn es bei diesem gleichwertigen Austausch geblieben wäre. Jung respektiert Alt und Alt respektiert Jung. Vielleicht ist es in ein paar Jahren oder Jahrzehnten ja auch wieder so… Doch anscheinend hat man im Augenblick noch eine ganze Weile mit der Umkehrung ins andere Extrem zu kämpfen. Da müssen wir wohl durch. Und es ficht mich im Grunde nur manchmal an. Dann, wenn es mir nicht gut geht und auch andere Dinge in meinem Leben aus den Bahnen geraten sind…

Liebe Grüße

Ulrike


Alt? Jung? Angst?

Hallo Claudia,

gerade am letzten Samstag hatte ich Klassentreffen: 30 Jahre Einschulung. Naja, du kannst dir vorstellen, wie stark das von den Medien genährte Bild der ewigen Jugend dort erschüttert wurde.

Leute, die man Jahrzehnte nicht gesehen hat, verändern sich nach völlig eigenen Gesetzen im Gehirn. Meinen damaligen besten Freund hätte ich nie wiedererkannt. Und in dem Gesicht einer Frau konnte ich den ganzen Abend lang beim besten Willen nicht das kleine, stets Bananen essende Mädchen von 1969 wiedererkennen.

Die anderen sind natürlich alle viel schneller alt geworden als ich selbst. So schmeichelt man sich; und doch ist es nur die schiere Gewöhnung ans eigene Alter.

Ich habe dieses Treffen organisiert und daher vor dem Treffen häufig darüber nachgedacht, wie die Leute wohl aussehen mögen. Beim Betrachten eines alten Schulfotos war ich stets der Meinung, dass in meiner Klasse besonders viele schöne Mädchen gewesen seien. Mein damaliger Schwarm hatte sich auch noch so eine gewisse mädchenhafte Frische bewahrt – aber alle anderen sahen sehr sehr alt aus. Die Falten hatte ich erwartet. Da ich die meisten zuletzt vor der Pubertät gesehen habe, haben mich die Körperformen allerdings schon ein wenig erschüttert. Und richtig schockiert war ich über die Zähne. Zwar hatte ich prothetische Hilfsmittel erwartet, aber nicht diese Steinbrüche und Billig-Prothesen. Sowas sieht man im Fernsehen ja nie.

Auch mich selbst hatte man sich anders vorgestellt: drahtiger und ohne Bauch.

Ob es an den vielleicht etwas oberflächlichen Gesprächen eines solchen Treffens gelegen hat, weiß ich nicht, jedenfalls habe ich den Eindruck bekommen, die meisten warten tatsächlich nur noch auf die Rente.

Aber der Abend war dennoch alles andere als deprimierend. Dreißig Personen habe ich wiedergefunden und angeschrieben, zwanzig Leute sind gekommen; drei haben mit großem Bedauern absagen müssen. Ich war total begeistert, dass so viele gekommen sind. Viel mehr als ich gedacht habe.

Moral von der Geschicht: Wir werden alle älter, und deshalb ist Jugend wohl ein Wert an sich.
Ciao!
Dieter K.


Alt? Jung? Angst?

Liebe Claudia

Aber, aber: wer zu den Over40s zählt und einen Sessel unter seinem Hintern hat, muss darauf achten, dass ihm der Sessel erhalten bleibt, d.h., er wehrt die ständig an am Gestell seines Sessels Sägenden ab. Er tritt nach unten und buckelt nach oben. Es ist ihm unmöglich, die Richtung zu wechseln; er kann nicht nach unten buckeln und nach oben treten. Er kann nur gut durchgekrümmtes Rückgrat zeigen. [Vielleicht gibts darum so wenig Menschen mit Zivilcourage?!]

Das Sagen haben nicht diejenigen, die für die Öffentlichkeit sichtbar sind, nicht die Repräsentanten der Fernseh-, Multinati- und anderen Gesellschaften. Das Sagen haben immer und überall die Unsichtbaren; sie sind diejenigen, die mit dem Daumen nach oben oder unten zeigen. Man nennt sie auch Investoren oder Shareholder. Und die sind, wenn auch nicht zwingend, so doch fast immer, dem Over40-Club bereits entwachsen.

Wer auf die Jugend setzt, setzt auf Gehorsam. Man nennt das natürlich nicht so, man nennt das Flexibilität. Und diese Flexibilität ist nichts anderes als ein gut durchgekauter Kaugummi, der bekanntlich in jede beliebige Richtung verformt werden kann.

Das alles ist nicht neu. Es war immer so und wird sich vermutlich nicht ändern. Bis diejenigen, die heute 20 sind, das, was ihnen aufgetragen ist, mit Enthusiasmus anpacken, ihre ganze Energie in etwas, das man Karriere nennt und meist nicht mal der Rede wert ist, stecken Over40 sein werden, werden sie vergessen haben, in welch wundersamem Licht sie die Welt und deren Inhalt mit 20 haben leuchten sehen.

Aber bitte: verurteilt nicht die JUNGEN; sie trifft am wenigsten Schuld, wenn es um den Jugendwahn, der einem immer und immer wieder z.B. auch in Formulierungen wie „gesucht für die Leitung eines Feldversuchs Soziologogen, nicht über 22, dynamisch, flexibel, wenn möglich mit mehrjähriger Erfahrung“ begegnet, geht.

Liebe Grüsse
eine sarkastische
Regula


Online-Welt

Liebe Claudia,

im Digidiary vom 31.7. hast Du geschrieben:

Mittlerweile ist es mehr als das: eine Lustlosigkeit, mich auch noch abends der Online-Welt zuzuwenden, Zeichen und Bilder zu generieren, anstatt physisch und psychisch etwas „Richtiges“ zu erleben. Es scheint, als erzeuge die Abwesenheit der städtischen Menschenmassen eine Sehnsucht nach Sozialem, wogegen der tägliche Anblick 1000er Unbekannter das Gefühl hinterläßt: Wie schön, daß ich wenigstens in meinen vier Wänden allein und ungestört bin! Ich bin gespannt, ob in der dunklen Jahreszeit die Lust auf „Medien“ wiederkommt.

Darüber habe ich mich etwas gewundert, und zwar deshalb, weil Du hier eine ganze Hälfte der Online-Welt unter die Tastatur fallen läßt. Die Hälfte, die über das Generieren von Zeichen und Bildern hinaus geht, auch psychisch „richtige Erlebnisse“ erlaubt/vermittelt und lediglich in Sachen Physis farb- und leblos bleibt – woraus sich freilich wiederum lebhafte Verfremdungseffekte ziehen lassen. Die Hälfte, deren Existenz und Gewicht ich nicht zuletzt durch Deine Arbeiten erst richtig kennengelernt habe.

Was ist denn das auf einmal für ein Gegensatz zwischen „Online-Welt“ und „Richtiger Welt“, „Sozialem“ und „Medien“? Deine Online-Freunde z.B. sind doch keine „generierten Zeichen und Bilder“ oder virtuelle Traumgestalten, sondern ganz normale lebendige Menschen, bloß anderswo. Wenn Du Sie einmal hast (und Du hast sie nicht, weil Du sie generiert hättest, sondern weil Du sie gefunden hast, oder sie Dich), gehören sie mit zum „Sozialen“, einem „Sozialen“, das allerdings komplexer ist als das Sozialgefüge eines Dorfplatzes, eines Kreuzberger Kiez oder der Wohnküche von Gottesgabe.

Dieser Komplexität wird man nicht Herr, indem man den Computer abstellt. Man reduziert die Zahl der genutzten Medien und damit der möglichen sozialen Kontakte: Wenn ich auf das Auto verzichte, kann ich die Leute in der Wohnküche im Nachbarort nicht mehr erreichen. Wenn mein Vater keinen Nerv hat, sein Hörgerät anzustellen, kommen wir auch am gleichen Tisch gegenübersitzend nicht weit. Wenn ich drei Wochen Urlaub mache und weder meine e-Mail abrufe noch mich vorher ordnungsgemäß bei meinen Mail-Partnern abmelde, erwartet mich am Ende des Urlaubs ein beträchtlicher Kladderadatsch in meinem sozialen Gefüge, und der ist höchst real und nix von virtuell.

Die Frage ist natürlich, wieso ein Netzmensch überhaupt den Wunsch verspüren sollte, die Kompexität seiner sozialen Beziehungen zu reduzieren – schließlich halten Netze umso besser, je mehr Knoten sie haben. Es hat vielleicht etwas mit der wohltätigen Erfahrung von Einfachheit zu tun, die der Wechsel aus der Millionenstadt in das 150-Seelen-Dorf mit sich bringen mag. Und solange Du Deinen partiellen Verzicht auf Online-Kommunikation noch online mitteilst, besteht ja noch Hoffnung.;-)

Liebe Grüße

Michael


Stadtleben, Landleben

Hallo Claudia,

Ich muß zugeben, daß mich das Thema sehr interssiert: Ein Mensch zieht aus der Stadt aufs Land. (Ich schreib mal klein weiter, dann bin ich schneller) ich lebe in essen seit meiner geburt und bin ein eingefleischter stadtmensch. ich kann mir ein leben auf dem land nicht vorstellen. zum einen, weil die landmenschen, die ich in meinem bisherigen leben kennengelernt habe, sich nicht wertbar von stadtmenschen unterschieden, zum anderen, weil ich die stadt liebe.

wie, so frage ich mich, kann es sinn machen, sich aus der privatsphäre einer großen menge in eine kleine zu begeben, in der jeder jedem über den gartenzaun schaut? hast du erfahrungen mit der toleranz auf dem land gemacht? alles, was ich bisher vom land mitbekam, ging gegen mein ungewöhnliches erscheinungsbild, gegen mein verhalten (soweit es nicht in erwartungen passte) und gegen mein wesen.

hast du ein land kennengelernt, auf dem man tolerant ist? sicher legst du auf toleranz wert. habe ich zu viele vorurteile? du verwirrst mich.

Grüße aus Essen.
Jan Bojaryn.

www.ryn.de (Text für alle)


Thema: zum 45., Landleben

oh, mögen es nochmal mindestens 45 weitere werden!

Herzlichen Glückwunsch, so sagt man wohl:-).

Ich sehe in Eure Küche, streife durch Dein Arbeitszimmer, frage mich, wer die Gitarre wohl spielen mag, die da so lässig rechts an der Wand lehnt und freue mich ganz einfach über die Seiten, die Du da so freizügig ins Netz stellst.

„Städte, nicht Dörfer“ werden auch auf Dörfern gebaut, nicht?

Ich meine, Ihr baut, weit vom Lärm der Grosstadt entfernt, einen Ort, der -lichtdurchflutet- von der Einzig artigkeit jedes Einzelnen spricht, nein: singt; wenn ihm nur der Willen zu eigen ist, aus dem Gegebenen etwas Eignenes zu gestalten.

Ist es die Langsamkeit der Schnecken, sind es die Polizisten oder die Ganoven, die Deine Texte würzen?

Eher wohl Deine hemmungslose Freude über das Neue, das Dir auf Schritt und Tritt entgegenlacht.

Ich meine Dylan zu hören, stöbere ich in deinem Tagebuch:

„how do’s it feel, to be on your own, (..) like a ro’ling Stone?“

Grüße vom Land

Ingo Mack


Thema: Landleben

liebe claudia klinger

so schön,
wohin Du da geraten bist.
die bilder Deines gartens
noch schöner
kein westliches garten design
let it grow
take it easy
fragen beantwortet der garten selbst
kein gärtner
ich bin gärtner
im realen leben
hier sind die
gärten
leer so leer
fremde pflanzen verängstigt
in kaltem boden ohne kreislauf
keine mitte
kein kompost
nur ausgekratzte erde
ohne einen wurm
der Wurmkosmos
ist
ein dunkles reich
proteinesisches netzwerk
lecker lecker
der mutige wok koch
findet am ende
im spritzenden öl
knuspriges
jetz‘ isset aber gut,

;-) Ingo Schuch

Thema: Landleben

Hallo,

schöne Seiten, die Du da ins Netz gestellt hast, wirklich schön. In dieser hektischen Welt findet man dort wieder die Ruhe, um auch mal einen längeren Text online zu lesen, ohne gleich nervös auf die Kosten-Uhr zu blicken.

Ich habe jedoch auch einen Kritikpunkt, hoffe, Du bist mir deswegen nicht böse. Es betrifft Deine Ansichten über das Landleben. Ich weiß ja nicht, ob das Land, das Du erlebt hast, diese Grundzüge trägt, jedoch bin ich mir sicher, daß das nur eine Ausnahme ist. Ich wohne seit siebzehn Jahren hier in der Nähe von Augsburg, also wirklich „mitten in der Pampa“ und habe bisher noch keines Deiner im Web-Diary genannten Probleme erlebt, weder die „Kittelschürze von nebenan“, und auch keinen einzigen wirklichen Streit mit den Nachbarn.

Natürlich, wenn Menschen nebeneinander leben, muß man sich arrangieren, doch das ist in der Stadt doch nicht anders, oder hat sich das mittlerweile geändert? Unsere Gesellschaft lebt doch von diesen Arrangements, von dem Kompromisse-finden. Und auch die Tatsache, von allen gekannt zu werden, beunruhigt nicht wirklich, im Gegenteil, es schafft eine einzigartige Atmosphäre, nämlich das Gefühl, in etwas eingebunden zu sein, das größer ist als jeder Einzelne. Dies war doch, wenn ich mich nicht irre, einer der Argumente des globalen Dorfes, daß jeder einzelne Teil des großen Ganzen ist! Und ist das in der Großstadt möglich??

Trotzdem ist es natürlich nicht so, daß die Intimsphäre gegen Null geht. Es ist hier genau wie in der Stadt: Türe zu und Außenwelt bleibt draußen. Doch auf dem Lande geht dies noch ein wenig weiter. Es gibt nicht die hellhörigen Wände, das Horchen an der Wasserleitung der neugierigen Alten über mir, der Nachbar, der wegen meiner Musik nicht einschlafen kann. Auf dem Land – wobei diese Bezeichnung eigentlich auf wieder gefährlich verallgemeinernd ist – hat man da Gott sei Dank noch den Garten, der nicht nur als Schmuck dient, sondern, zusammen mit dem Zaun, auch in einer Weise Schutz bietet, die in der Stadt so gar nicht möglich ist.

Aber natürlich ist es nicht so, als ob das Landleben der Himmel auf Erden ist, bestimmt nicht. Wer zum Beispiel am Abend irgend etwas unternehmen will, und aus irgendwelchen Gründen kein Auto zur Verfügung hat, schaut im wahrsten Sinne des Wortes „in die Röhre“, da die Verkehrsanbindung über öffentliche Verkehrsmittel äußerst dürftig ist. Auch die Infrastruktur läßt zu wünschen übrig, wir sind hier ein viertausend-Seelen-Dorf und haben noch nicht einmal einen eigenen Bahnhof, keine eigene Polizei, eine freiwillige Feuerwehr, die ankommt, wenn das Haus im Notfall abgebrannt ist etc. Doch auch daran gewöhnt man sich!

Ich glaube, das alte Vorurteil von der geschwätzigen kleinen Gemeinde, in der die Leute über alles Bescheid wissen, ist überholt. Im Gegensatz dazu steht die Realität, die ein ganz eigens Erlebnis ist, welches den meisten „Stadtmenschen“ verwehrt bleiben wird. Ich hoffe, Du siehst diese Mail als das, was sie ist – eine positiv gemeinte Anmerkung zu einem im Web veröffentlichtem Artikel – wobei ich mich natürlich über eine Antwort freuen würde.

Schöne Grüße aus Bayern
Tobias Schmidl

Thema Geldmacke / Preisgestaltung / Landleben:

Hallo Claudia

Wenn Du Designerpreise verlangen würdest und den Aufschlag für Überzeugungstäter, dann, ja dann – würde der Traum zusammenbrechen. Keiner würde mich engagieren, keiner bräuchte mich mehr!

Deine Arbeiten gehören mit zu den Besten, das ist unbestritten, doch wir wissen alle, die wir 40 sind (->UND IN DER GROSSSTADT LEBEN), daß Das Beste nur gekauft (erkannt?) wird, wenn es auf den Auslagen mit dem Durchschnitt dargeboten wird und sich preislich nicht davon abhebt.

Wenn wir heute in einen Zeitschriftenladen gehen, können wir erkennen, daß eine andere Generation anderer Meinung sein muß. Es sieht so aus, als gäbe es einen Käuferkreis mit der Maxime: Was gut ist, wird kosten. (Nebenbei: Gerade bei Ralf Segerts Sites assoziiere ich, daß er dazu geeignet wäre, für die Träger dieser Maxime zu publizieren.) Aber dies sind die Kunden, die ich nicht will. Die denken, ich wäre zu kaufen.

Wir mit 40 sind die Unbestechliche Generation.

Man kann einen ganz deutlichen Unterschied erkennen, zwischen den 40 jährigen, die rebellieren ::UND IN DER GROSSSTADT LEBEN, (ganz besonders wenn sie vor 20 Jahren in die Großstadt gezogen sind.) und den 40 jährigen, die geworden sind, was unsere Eltern von uns erwartet haben (und zu Hause geblieben sind). Ich bin vor 7 Jahren nach Hause zurückgekehrt. Ich konnte es nervlich einfach nicht mehr ertragen, für 3 (Mamma, Tochter und Babytochter) die Häufchen auf dem Trottoir zu sichten und zu umschiffen.

Hier treffe ich zuweilen Klassenkameradinnen wieder, inzwischen auch 40jährige Mammis. Sie tragen peppigere Frisuren als unsere Mütter und sie sind allgemein nicht so grau. (Genauso wie die Generation vor uns, sind sie an ihre Zeit angepasst.) Doch wie damals dreht sich die Kleinstadt nur um die Kleinstadt. Was die macht und was der macht, was man macht und was das Kind macht. Was man gerne machen würde, was aber blöd ist und was man dabei erlebt hat als man es fast versucht hat.

Die Assoziation zwischen den beiden Bereichen (das Beste/der Durchschnit und Großstadt/Kleinstadtfrauen) war mir so stark, daß mir erst Tage später auffällt, daß ich keine logische Verbindung sehen kann. Eher ist es so, daß wir die Einstellung NICHT auffallen zu sollen in der Stadt und auf dem Land, als Nestflüchter und als Häuslebauer gemeinsam haben.

Du wirst jetzt mit den Umzugsvorbereitungen voll beschäftigt sein. Du sagst/schreibst/denkst, Du hast nicht viel. Es könnte sein, daß Du Dich gewundert hast, als Du mit packen angefangen hast. Doch es wird alles in den Umzugswagen passen und dann wirst Du Deinen Traum in Wirklichkeit erleben. Ich wünsche Dir einen stresslosen Umzug und einen gesegneten Einstieg in Deinen neuen Lebensabschnitt.

Gruß
Oskopia Kaleid

Liebe Claudia,

*** Die Geldmacke – ein Generationenproblem….

Du hast die Gabe, Erfahrung auf den Punkt zu bringen, klar und kritisch und mit einer Portion eleganter Ironie auszudruecken:-) Toll!

Das Geld-Problem kenn‘ ich auch, obwohl ich die 68er Jahre als 7jaehriger Pimpf wahrnahm und erst Ende der Siebziger die verkorsten Radikalen kennenlernte, die mir als die Adepten einer gerechteren Welt keine Haltung der Aufopferung mehr einreden konnten. Wie schade aber auch! *g*

Wahrscheinlich ist die Geldmacke auch ein ureigenes persönliches Geschehen, das im Spannungsfeld zwischen Sensibilitaet, Angst und Lebensphilosophie unsere Kreativitaet herausfordert. Die gesellschaftlichen Konditionierung spielt dabei sicher ihre Rolle, aber Sie kann uns nur mentale Anhaltspunkte fuer ein besseres Verstaendnis unser eigenen Lage geben. Aus meiner Sicht ist sie nicht die maechtigste Ursache fuer die Geldmacke.

Lieben Gruss,
Ralph

KriT-Journal
zum Thema Umzug nach Gottesgabe (Mai 99):

Liebe Claudia,

Du schreibst im diary: … Hinaustreten auf eine Wiese, wenn der Morgentau noch auf den Pflanzen liegt, wenn der Nebel noch nicht ganz verschwunden ist und die Luft so klar ist, wie der Geist nur sehr sehr selten! Wenn Du dann nur noch zur Arbeit an den PC zurueckkehren kannst ;-) Ich wuerde Dein perfektes design sehr vermissen.

Viel Glueck beim Umzug und moege nicht allzuviel zu Bruch gehen! Das Haus ist ja mehr eine Philosophie als eine Wohnstatt und ich bin schon gespannt, wie es Dir dann ergeht, wenn Du so die Hypothenuse oder eine der Katheten entlangschlenderst. Man sollte sich mehr um die Grundrisse der Haeuser kuemmern, rechtecktig ist doch fad und rund erinnert zu sehr an Narrentuerme. Fuenfecke ans Pentagon – aber da sind wir ja schon wieder beim Thema Nr 1 ;-)

Herzlichst
WS 8-})

zum Thema umgeben von Iditoten (19.4.99):

Und würde ich morgen oder nachher oder gleich, in zwei, drei Minuten diesem Planeten Aufnimmerwiedersehen sagen, woher will ich wissen, wie die wahrscheinlich endlose Musik aus Einzelstimmen weitergespielt wird? Bleibt da nicht doch noch ein kleines, gewisses Recht auf Zweifel?

Angesichts all der unglaublich komplex strukturierten und mit- und-wegen einanderwirkenden Kleinigkeiten, die ein mehr oder weniger bewußtes und je nach Empfindungsfähigkeit skalierbares Leben auf diesem Planeten ausmachen? Es ist die reine Neugier, die noch unbebauten Flächen hinter der nächsten Mauer zu erkunden.

Die Anderen?

Na und, wenn sie alles und jeden, selbst den selbstvergessendsten Idioten, der in einer Heil- und Pflegeanstalt über einem selbstgemalten Buntstiftbild versunken brüten mag, beurteilen, sezieren, mit ihrem leeren Gewäsch auf Käuflichkeit und Marktwert abschätzen, bestenfalls mit einem selbstzufriedenen Grinsen im Mundwinkel dann wieder zu ihren dicken Autos, wohlgefüllten Brieftaschen, Aktienpaketen, oder nur in den warmen Darm ihrer Vorgesetzten zurueckkehren, DIESE anderen interessieren NICHT.

DIE ANDEREN tragen die falschen Klamotten und wählen die falsche Partei.

Nur um den anderen einen Gegenpol zum Überleben zu liefern. Sie wissen es nicht, es spielt auch keine Rolle. Sie sind die dunklen Hinterhöfe und Slums einer Stadt, die ohne Untertanen noch nicht existieren kann. Sie spielen ihr Spiel. Doch die Stadt wächst und gedeiht.
Sie sind voller fertiger Urteile und nie wieder in der Lage, ihre eigens für sie aufgestellten Mauern einzureißen oder auch nur zu umgehen. Sie erzeugen Lärm, der ihrem inneren leeren lärmen entspricht und reißen alle ohne eigenes Erleben mit hinab in ihren Strudel aus Ignoranz, Unfähigkeit und Hass. Ihre Sterblichkeit, ihre Versicherungen, ihr gesamtes Junkfoodscheinleben bildet einen schwülstigen Tellerrand, der den Stadtbewohnern vergeblich versuchen wird, den Löffel abzunehmen. Ihr Schein hat das Sein vergessen und damit die Liebe zum bewußten Augenblick, wie die zur Zukunft. Sie leben in ständiger Vergangenheit; stetig erschaffen sie sich durch Nachplappern eine Welt, die so niemals wirklich existieren kann und haben dabei die Fähigkeit zu leben verloren. Sie bestehen aus unnützem Lärm, der schnell verklungen sein wird.

Mit liedern aus Haß läßt sich nichts Neues erschaffen. Haß ist den Schweiss der Eedlen nicht wert und wird sie auch niemals überzeugen.

Ingo Mack

zum Thema Schwere der Materie (18.4.99):

Hallo Claudia,

ja, fürchte sie, die Ehre der Materie! Sie nötigt Dir so oder so Abneigung auf, denn der Mensch ist nie mit dem zufrieden, was er hat. Auch dann nicht, wenn er es selbst wollte. Am Anfang steht der Wunsch, am Ende Arbeit.

Den Garten pflegen! Diese Art Materie lebt in der Tat – und wie. Kann mir das Moos im Rasen nicht eigentlich egal sein? Mit meinem Sohn kann ich auch auf Moos Fußball spielen. Das Ergebnis bei Regenwetter ist allerdings Matsch. Und so plagt mich die Sorge um die richtige Sorte Regenwürmer, die mir den Boden lockern helfen. Damit beispielsweise auch schöne Sträucher wachsen, die mir Farbe in mein Leben bringen. Ja, richtig, die müßten auch mal wieder geschnitten werden. Ebenso wie die Buchenhecke, Heimat einiger Vogelnester der zweiten Brut. Einer dieser kleinen Sänger meint allerdings, er müsse sein Nest partout im Blumentopf direkt neben der Terrassentür bauen. Wie mache ich dem den Zusammenhang zwischen meinem Leben und der Tatsache klar, daß seine Jungen unterernährt sein werden, weil er öfter beim Füttern gestört werden wird? Kommunikationsprobleme offline. Aber live.

Die Freuden des glücklichen Landmannes sind geradezu unbeschreiblich beim Ausräumen des Kompostsilos, damit die Erdbeeren noch ein bißchen dicker werden, während er eigentlich grade das nächste Reisebuch vor dem inneren Auge hat. Ich will allerdings nicht verschweigen wie groß die Freude war, als der Rasenmäher nach der langen Winterpause ohne Murren einfach angesprungen ist.

Den Staub der Stadtwohnungen kenne ich auch noch. Er ist grau bis schwarz. Der Vorteil des Landlebens besteht eindeutig darin, daß er bei uns farbig ist. Gelb. Oder erdfarben. Letzteres vor allem durch massives Eingreifen lebendiger Materie, in ihrer spezifischen Konstellation Fabian genannt. Gelegentlich kommt sie auch in leicht abgewandelter Organisationsform, behaart und schnurrend, mit dem Namen Cleo daher.

Klick und weg! Ich glaube, Dein Anliegen zu verstehen. Was Du so vornehm „Schwere der Materie nennst“ artet bei mir nicht selten in deftige Flüche aus. Und dennoch: Wieviel Freude würde uns fehlen ohne sie. Steuerbescheide, unbefriedigende Antworten auf Reklamationen, Angebote und Werbung, der Ballast verblaßt vor der Anwesenheit dieses einen Lebenszeichens eines alten Freundes aus Afrika. Dort, wo er sich aufhält, ist noch niemand online. Plötzlich scheint mir Papier wertvoller als die mir so lieb gewordene Altpapiertonne. Es lebe die Materie! Sie ist Du, und sie ist ich.

Viele Gruesse
Klaus Brandstetter
AndererSites

zum Thema Selbständig arbeiten:

Liebe Claudia,

zufällig auf deine Seiten gestoßen, hab ich mich in deinem Diary festgelesen. Von Works & Words aus wird meine Expedition auf deinen interessanten Seiten demnächst sicher weitergehen.

Ich wollte dir nur kurz zu deinen Gedanken am 2.4. schreiben, wo du über die Zusammenhänge zwischen Arbeiten und Leben schreibst. Ich kann das alles sehr gut nachvollziehen, habe aber das Gefühl, daß du die Selbständigkeit ein wenig zu sehr glorifizierst. Es ist schön, wenn du für DICH darin einen zufriedenstellenden Weg gefunden hast, aber das für die Allgemeinheit als erstrebenswert hinzustellen, halte ich für äußerst fragwürdig. Du hast ja selbst erkannt, daß das Freiberuflertum viel Eigeninitiative und Eigenverantwortlichkeit verlangt. Somit ist es für mich ein äußerst privilegiertes Arbeiten, denn ich glaube nicht, daß man diese eigene Initative und Verantwortlichkeit allen Menschen abverlangen kann. Daß es so etwas wie Kündigungsprozesse (also -fristen) gibt, hat schließlich seinen guten Grund AUCH im Interesse der Arbeitnehmer. Und was soll so erstrebenswert daran sein, sich selbst zu versichern?

Ich glaube auch nicht, daß Projektarbeit generell machbar ist, so sehr ich selbst mich auch als Projektarbeiterin einschätze. „Sich je nach Laune zu mehr oder weniger Projekten zusammenschließen“ wäre ja schön und recht, wenn da nicht tausend Kleinigkeiten und Sachzwänge usw wären, die jeweils berücksichtigt werden müssen. Nach Sekretärinnen- und Datentypistinnenjob war ich einige Monate als freiberufliche Redakteurin tätig und stehe im Moment am Anfang einer Umschulung zur Mediengestalterin. Nebenberuflich arbeite ich als Schriftsetzerin in einem kleinen, sich links zuordnendem Stadtmagazin, in dem niemand angestellt ist. Folge dort: 1/3 der Leute ist GAR NICHT krankenversichert, rund die Hälfte zahlt keine Steuern (machen erst gar keine Steuererklärung), auch Leute, die schon jahrelang dabei sind, bekommen keinen höheren Lohn usw. Alles in allem ziemlich scheiße.

Inzwischen mußte auch ich begreifen lernen: Es gibt viele Leute, die in einem Angestelltenjob stecken, den ich wegen der Ödnis kein halbes Jahr ertragen würde, den die Betroffenen selbst aber als einigermaßen zufriedenstellend empfinden. Es gibt viele, die gar nicht „frei“ arbeiten wollen. Und die, die es wollen, können es ja tun. Ich persönlich brauche wohl irgendwas dazwischen. So ganz mit freier Zeiteinteilung und nur von zuhause aus (teilweise mach ich das noch als Schreiberline) wäre nichts für mich – weil ich KollegInnen brauche. Menschen, denen auffällt, wenn ich mal einen Tag nicht da bin. Menschen, die ich täglich sehe.

Die Fragen, die ich viel spannender finde bei den Zusammenhängen Leben und Arbeiten sind Fragen um Teilzeitarbeit, um das Aufteilen zwischen gewinnorientierter und sozialer Arbeit, um geschlechterspezifisches Arbeiten und generell um eine gerechtere Verteilung der Arbeit. Da gibt es noch unheimlich viel zu tun, und es wird noch viel Umdenken nötig sein.

Ansonsten weiterhin viel Spaß bei der Arbeit ;-),
liebe Grüsse
Anja

zum 15:03:99, Helfen

Verehrte Claudia,

Hilfe ist möglich wenn denken nicht die Tat verstellt. Sehen was zu tun ist, handeln! Der Helfer kann auch ein körperloses Wesen sein, das gar nicht weiß, daß es hilfreich ist. Hilfe vollzieht sich nicht nur im Beheben eines Beinbruches. Diese Unterstützung, Hilfe genannt, ist auch eine Art von Resonanz, die, wenn sie ihre Wirkung entfaltet, wirken kann. Schwingungsübertragung bewirkt mitunter dort, wo sie hin gelangen kann, erfolgreich die notwendige Bewegung, ohne die alles erstarrte bald stirbt.

:-)
byby_Ingo
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Liebe Claudia Klinger,

das ist ein sehr interessantes und kompliziertes Thema: Das „Helfen“, worüber Du kürzlich geschrieben hast. Ich finde, Du hast einige wichtige Ideen angesprochen, die auch mir vor einiger Zeit durch den Kopf gegangen sind.

Woher soll man denn wissen, ob jemand, der einem anderen hilft, dies nicht aus irgendwelchen neurotischen Motiven tut (wie es einige Psychologen sagen – ich bin aber keiner). Das hab ich mich oft gefragt und noch immer keine Antwort gefunden!

Aber vielleicht sollte man hier nicht alzu tief eindringen, und einfach mal helfen, wenn es benötigt wird. Ob dann Eitelkeit und Stolz im Spiel sind, ist dann gar nicht so wichtig. Ich meine, es ist ja nicht so wichtig, daß diese schönen Rettungsschwimmerinnen aus der Baywatch Filmserie (wie Pamela Anderson – na ja eigentlich nicht meine Traumfrau) eitel in ihren engen Bikinis herumstolzieren; sondern wichtig ist, daß sie den verunglückten Surfern, dort im großen Ozean, eine helfende Hand geben.

Vielleicht sollten sie dann auch irgendwann meditieren, um diese Eitelkeitskanten wegzuschleifen oder sie einfach von selbst verschwinden zu lassen! Aber dann eher in ihrer Freizeit, denn wenn die Sonne scheint – sind viele Surfer unterwegs!…

Lieber Gruß
Robert Gabriel

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