home | 1 | 2 | 3 | 4 | 5      


F l u s s e r   -   auf dem Lande

 

  [2]

Der kurze einleitende Vortrag vom bereits erwähnten Referenten Antonio Lambertino, Autor u.a. eines Buches über "Psychoanalyse und Moral bei Freud", das man am Bücherstand einsehen konnte, gab eine Art freie Charakterisierung der Denkweise Flussers, arbeitete also nicht, wie überwiegend die anderen Referenten, mit Zitaten und Belegen.

Zentrales Motiv: Freiheit

Lambertino sieht eine der Triebkräfte des Flusserschen Denkens im Streben nach Freiheit und der Loslösung von allem Dogmatischen, so daß Versuche der Einordnung fehlschlagen würden:

"Tatsächlich gehört Flusser, in seiner Berufung und seinem Charakter, nur sich selbst. Er war allzu stolz auf sein 'Sich-frei-fühlen' als daß er sich auf Doktrinen, Autoren, Forschungsmethoden, beziehungsweise vorgegebene Muster stützte. Und gerade das psychologische Bedürfnis nach jener grenzenlosen Freiheit könnte sich als das Fundament und die hermeneutische Wurzel seines mannigfaltigen Denkens herausstellen."

Ein anderes zentrales Motiv sei bei Flusser die Erfahrung des Absurden:

"Wenn die Grunderfahrung Flussers in der Erfahrung des Absurden erkannt werden kann, so bleibt er andererseits, im Namen der Freiheit, doch nicht beim Absurden stehen (wie das bei Sartre passiert ist), sondern überholt das Absurde durch das Offen-sein für die Hoffnung, durch das tiefe Gefühl der Freiheit."

 
 

Strategien gegen das Absurde

Im Vortrag von Andreas Ströhl (Goethe-Institut, München) war einer der Ausgangspunkte ebenfalls das Absurde, für dessen Überwindung bei Flusser etwa ein Glaube an das ewige Leben nicht infrage komme. Ströhl erkannte drei andere Strategien im Werk Flussers, dem angesichts des Todes absurden menschlichen Leben noch Sinn zu geben: im Spiel, in der menschlichen Kommunikation und in kultureller Überlieferung.

Der Referent ging speziell Flussers Konzept von "Dialog" nach, gerade in Differenzierung von Bubers Ansatz, auf den sich Flusser an einer Stelle ausdrücklich bezieht. Aber Flusser nimmt eine entscheidende Verschiebung vor, so daß es bei ihm zu einer ganz anderen Dialogkonzeption als bei Buber kommt - so das für den Referenten selbst überraschende Ergebnis:

"Während Bubers Darlegung des Dialoges zwischen Ich und Du seiner Beschreibung der Beziehung zwischen Ich und Gott als notwendige Grundlage dient, meint Flusser, wenn er von 'Gott' spricht, Beziehungen unter Menschen. Anders gesagt: Während Buber den Menschen als Metapher für einen letztlich immer unvollkommenen Kommunikationsakt gebraucht, der erst mit Gott als Dialogpartner seine Erfüllung findet, dient Flusser der Begriff 'Gott' als Metapher für das Heilige im Menschen."

Und die heute mögliche dialogische Verschaltung der Kommunikationsmedien wäre eine "technische Implementierung freier Anerkennungsverhältnisse", wie Norbert Bolz in seinem Nachruf feststellte (Kunstforum International, 1992, Bd. 117, S. 107).


 

Irmgard Zepf (Universität Köln und zusammen mit Wolfang Martin Initiatorin einer dortigen Flusser-Forschungsstelle für Kunst und Medientheorie) hat sich schon auf früheren Symposien als intensive und wache Leserin Flusserscher Texte hervorgetan. In Puchheim ging es ihr um "Flusser als unorthodoxen Lehrer". Sie unternahm den Versuch, Flussers Schriften in ihrer Gesamtheit als "Lehre" zu deuten und bezog sich im einzelnen auf zwei Lehrstücke, erstens die Emigration aus Prag und die Immigration nach Brasilie n, was sich textlich im Buch "Brasilien" (Mannheim 1994) und in "Bodenlos" (Mannheim 1992) niederschlug, und zweitens Technik als Geste des Entwerfens, textlich abgestützt durch ein Kapitel in "Menschwerdung" (Bensheim/Düsseldorf 1994).

Flusser als Lehrer

Die ihr wichtigen Punkte stellte sie gleich zu Anfang ihres Vortrages heraus: "

  1. Flussers Lehrerpersönlichkeit scheint durch seine Schriften hindurch; ... dies begründet die dialogische Struktur seiner Schreibart und ist von dorther aufzuschlüsseln.

  2. Flussers Schriften sind 'Lehren' durch das Wie ihrer Schreibart. Sein spezifischer essayistischer Schreibstil involviert den Lesenden und macht ihn zum Lernenden - falls er sich einläßt - indem Flusser in seinem spielerischen, experimentierenden Sprachverhalten seinen eigenen Lernprozeß im Verlauf der Beschreibung und Betrachtung der Phänomene aufdeckt.

  3. Im Gefolge der Frage nach dem Wie seines lehrenden und lernenden Schreibens und Sprechens läßt sich die Frage nach dem Was stellen."

Und hier schließt sie die o.g. zwei Lehrstücke an, die sie im weiteren sorgfältig belegend ausfaltet und interpretiert. Ihrerseits lehrreich waren diese Ausführungen vor allem in den Hinweisen zur Genese zentraler Flusserscher Konzepte in den frühen Schriften (hier speziell im Brasilienbuch), bevor sie in späteren Schriften eine eher medientechnische Einfärbung annahmen. So bezog sich das Konzept "alternativer Welten" auf die Erfahrung der spannungsreichen brasilianischen, multikulturellen Lebenswelten, bevor sie in späteren Schriften eine zusätzliche medientechnische Aufladung erfuhren, insbesondere durch die mit computerunterstützten Verfahren gegebenen Möglichkeiten, durch künstliche Bilder eine "zweite Einbildungskraft" auch technisch umzusetzen.

Die Referentin sah auch andere Konzepte wie "Netz", "Dialog" und "synthetisieren" in den frühen Schriften und den eher kulturell als technisch geprägten Erfahrungen begründet. Dies würde bedeuten, daß etwa Flussers Diktum, Freiheit bestünde darin, "gegen den Apparat zu spielen", nicht nur als Hinweis auf die dem apparativen Gestell (z.B. des Fotoapparates) abzutrotzenden künstlerischen Bilder zu lesen wäre, sondern auch im Sinne von "Apparat" als staatliche Verwaltung oder verbreiteter kultureller Orthodoxien.

weiter