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Von einem solchen Verständnis von "Apparat" läßt sich dann leicht der Bogen zum nächsten Vortrag von Bernardo Gustavo Krause schlagen, der abermals am Absurden ansetzte, nun bei Kafka, worauf sich ein früher Artikel Flussers bezieht.
Gustavo Bernardo Krause (Universidade do Estado do Rio de Janeiro, Brasilien) konnte leider nicht persönlich teilnehmen. Sein Beitrag, der in einer von Edith Flusser besorgten Übersetzung von Andreas Ströhl vorgetragen wurde, beschäftigte sich mit dem Thema "Vom Gebet zur Literatur. Das Denken Vilém Flussers" Die eigentliche Originalität Krauses liegt in seiner erfrischend anderen, wenn man so will 'brasilianischen' Perspektive, die stark geschult ist an den bisher leider noch weitgehend unübersetzten portugiesischen Texten der 60er Jahre.
Geste des Suchens
In seinem Vortrag geht es hauptsächlich um die Bedeutung Kafkas und Joao Gumimaraes Rosas. Verknüpft mit diesen zwei Autoren, die zugleich zwei Kontinente und zwei wesentliche Seiten von Flussers Denken und Schreiben darstellen, sind zwei zentrale Themen: das Absurde, der Ursprung der Sprache, und deren gemeinsame Wurzeln im Unsagbaren. Zudem versucht Krause, so etwas wie einer grundlegenden Konvergenz epistemologischer, literarischer, d.h. ästhetischer, und ethischer Fragestellungen in Flussers Werk nachzuspüren. So trifft die Phänomenologie Husserls, mit ihrem, der jüdischen Tradition verwandten Gebot des Bilderverbots, auf den Surrealismus eines Magrittes und kulminiert in einer Kritik der Modelle als "falsche Götter" und der Forderung, durch die Entwicklung einer neuen Geste des Suchens, das "Staunen über die Welt" zurückzugewinnen.
Geht es bei Kafka um das Verhältnis von Freiheit und Absurdität, um "den Widerspruch zwischen dem großrednerischen Bild des Menschen von sich in der Öffentlichkeit und der intimen, erschreckten, Erfahrung, die jeder mit sich selbst macht", so dient Guimaraes Rosa dazu, die religiöse Dimension des Schreibens, den Übergang von Gebet zu Literatur, zu verdeutlichen. Auch die Begegnung mit Rosa und der Maßlosigkeit des kaum noch in Worte zu fassenden Sertao ist eine Lektion der Bescheidenheit, ein
Aufruf zur Aufgabe "falscher Götter" und zur radikal anderen Einstellung den Phänomenen gegenüber.
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Sprache und Bilder
Wie Robert Musil hat es Flusser vorgezogen, essayistisch zu schreiben. Damit verbunden ist, im Gegensatz zur wissenschaftlichen Abhandlung, nicht nur eine explizite "Standtort - Signalisierung", d.h. das Eingeständnis der eigenen, subjektiven Befangenheit, sondern auch jeder Verzicht auf einen vereinfachenden Überblick, auf "Sätze über das Ganze." Zentral ist dabei die Idee der
Mehrsprachigkeit, die hier im weitesten Sinne zu verstehen ist.
Martin verwendet den Begriff im Sinne einer unüberbrückbaren Differenz - zwischen den Sprachen, den Bewußtseinsschichten, zwischen Poesie und Technik, Wissenschaft und Kunst - einer Differenz, die als Untrennbarkeit des Unvereinbaren und Unvereinbarkeit des Untrennbaren zu verstehen wäre. Flussers Texte, so Martin, entfalten eine "phänomenologische Erzählung", eine "poetologische Grunderzählung der Sprache", die von der Desillusionierung, der "poetischen Annihilation", d.h. dem Verzicht auf alle positiven Voraussetzungen, ausgeht, einer Nullsituation, die zu einer Umkehr aller Vorstellungsarten führt. Diese Enttäuschung bedingt jedoch keine Sprachlosigkeit, sondern ist Voraussetzung für eine neue, radikal andere Sicht der Dinge, die darauf abzielt, nicht eine hierarchische, hypotaktische, sondern eine parataktische Erzählweise zu forcieren, deren Zweck die Erschließung des unhierarchisch strukturierten, zwiebelartig geschichteten Etagenbewußtseins wäre.
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